[216] Das Gesicht.
Das auszudrücken, was er empfindet, denkt,
Wenn sich mit seinem Reitz' ihm das Schöne zeigt,
Kohr unter uns der Geist; doch welchen?
Ah ich erröthe, den Sinn der Schwelger!
Ich ward verschmähet! Aber er war es ja
Auch nicht der Geist der Alten, der auserkohr;
Der Neuern war's! und diesem mag wohl
Stärkung des Heerdes zum Fluge noth thun.
Mich, mich verschmähen? dem an dem Walde ruht
Die Morgenröthe, dem in der Frühe Thau,
Umringt von allen Blumen, allen
Farben, sich Mädchen und Jüngling freuen!
[217]
Dem im Gemählde täuschend die Zauberhand
Des Künstlers nachahmt, den sie ergötzt, wenn ihn
Der Abendstern, wenn ihn des Himmels
Weisslicher, schimmernder Pfad nicht hinreisst.
Das Gehör.
Mich, dem des Hains Säuseln ertönt, und der Quelle
Stimchen, der Sturm, und der Donner, und das Weltmeer,
Dem die Nachtigall, dem der Liebe
Froher, und weinender Laut,
Dem Melodie, Harfengetön, und die Flöte,
Sie die Posaun', und die Laute, und des Menschen
Stimme, mich hat er auch, in seinem
Schlummer, der Wähler, verkant!
Das Gesicht.
Mit stillem Lächeln hörest du uns Gefühl;
Schweig ferner, der du Seher dich, Hörer dich
Darfst nennen; dann uns wegen stolzes
Wahnes mit Röthe die Wange färben.
[218] Der Geruch.
Tödte denn, Geschmack, für der Esse Lanzen
Auch die Sängerin, die entzückte Lerche;
Süssre Labung ist der bemoosten Rose
Düfte zu athmen.
Der Geschmack.
Mag die Schüssel denn stehn; schmüchte sie auch das Reh,
In der Blüthe gefällt, schmückte der Weizner sie
Oder selber die Schmerle,
Jener Liebling des Kieselbachs.
Doch des hellen Pokals helleres, ah den Saft,
Welchen Berg mir, und Thal, Winzer, und Kelterer
Geben, wie er mir röthlich,
Oder wie er mir golden blinkt,
Trink' ich, schlürf ich mit Lust, liebend, mit Mässigung,
Zwar mit weiser, doch nicht mit der platonischen:
Evan bleibet mir sanfter
Jüngling, hebt nicht den Rebenstab.
[219]
Durch mich sprachest du einst, Trinker Anakreon,
Bildlich, da du von dem sprachest, was schön dir war:
Aber Maale versanken;
Und dein attisches Wort verscholl.
Buchempfehlung
Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.
270 Seiten, 13.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro