Neuer Genuss

[263] Bild lebendiger Einsamkeit,

Schwebe näher! Sie ist, die sie war,

Da ich einst sie genoss, da ich voll Glut

Dichtete, ordnete,


Seelen gab dem Erfundenen,

Ihnen tönenden Leib. Tönte der

Sie nur an; so erschien leere Gestalt,

Wie in Elysium


Irrt der Schemen, an Lethe's Strom

Schweigend flattert. Getönt waren sie

Jene Seelen, der Leib sank nicht, wie du

Schatten Euridize,
[264]

Dort hinab, und ich klagete

Nicht dem schwindenden nach. Denn gewählt

Hatt' ich Leiber, die voll gleichender Kraft,

Treffend gestalteten;


Hatte, suchend im alten Hain

Thuiskona's, vom Stamm' hergeführt

Neue Leiber, wenn mir würdig der Wahl

Keiner im Walde schien.


Nothdurft war mir diess, war nicht Plan,

Wenn es mir nicht gelang; zog ich vor

Zu verstummen, und warf schnell in die Glut

's Blatt, so nur stammelte.


Bild lebendiger Einsamkeit,

Flieh nicht, weile! Sie ist, die sie einst

War im ersten Genuss, da ich erfand

Seelen, und Töne gab;


Weile, weile! In ihr durchdrang

Frohes innig gefühlt den, der kühn

In der Dichtenden Höhn schwebte, durchdrang

Wonne den feyrenden!
[265]

O der Wonne! Ich hätte sie

Da selbst, als sie mir ward, durch das Lied

Nicht erreicht. Sie ergriff mächtiges Arms,

Riss wie in Strömen fort!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 2, Leipzig 1798, S. 263-266.
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