[101] Ja! nicht etwa auf ofner, freyer Heerstraße nur, nein! was noch ärger ist, in einem hohlen Wege haben wir unser Frauenzimmer gelassen. Wie mancherley Gefahren konnte nicht das wehrlose, schwache Geschöpf hier ausgesetzt seyn; Uns treten die Thränen in die Augen, wenn wir alles erwägen, was dem armen Mädchen da hätte begegnen können. »O!« würde hier ein Schriftsteller ausrufen, dem es um die moralische Besserung seiner Leserinnen zu thun wäre. – Darauf aber haben wir, im Vorbeygehn zu sagen, es gar nicht angelegt, sondern nur auf Belustigung und Honorarium. – »O!« würde er sagen, »Ihr leichtsinnigen Kinderchen! wohin kann nicht eine einzige Übereilung führen! Da spiegelt euch nun an dem Beyspiele der Jungfer Margaretha Dornbusch, die Ihr jetzt wie eine Landläuferinn an Hecken und Büschen und in hohlen Wegen herumirren sehet, und lasset mir das vermaledeyete Roman-Lesen unterwegens, wodurch Ihr Euch nur Thorheiten in den Kopf setzt!«
Doch wir wollen uns bey den Ausrufungen nicht aufhalten, sondern schlecht weg erzählen, was unsrer Schönen begegnete. Sie mogte ungefehr ein Paar hundert Schritte in besagtem hohlen Wege ängstlich eilig fortgerennt seyn, als sie auf eine andere Straße stieß, welche dies Defilé durchkreuzte, zugleich auf derselben eine Kutsche erblickte, die, von drey Pferden gezogen, langsam daher wackelte, und ihr schon ziemlich nahe war. Der Kasten dieses Fuhrwerks sahe für sein Alter noch ganz reputirlich aus, war ein wenig groß und der Untertheil bauchartig ausgeschweift. Mit gelben Nägeln sahe man an den beyden Thüren die Buchstaben v.B. angebracht; Ein kleiner, mit Seehundfell überzogener Koffer war hinten aufgebunden und ein Bettler, der gern mit Gelegenheit reisen wollte, hatte sich diesen zum Sitze gewählt. Außerdem befanden sich noch zwey Körbe und eine Schachtel an dem Bock mit Stricken befestigt; der Fuhrmann aber, in einem so genannten Futterhemde, mit einer kleinen Tabacs-Pfeife im Munde, gieng neben den drey Gäulen her, die der Autor als ein wenig zu mager schildern müßte, wenn er nicht[101] aus gewissen Ursachen, die Parthey magerer Geschöpfe nähme. Der Zug gieng langsam und bedächtlich und unsre Demoiselle hatte volle Muße, sich auf den Schritt vorzubereiten, den sie zu thun Willens war, ehe die Kutsche den Platz erreichte, wo die Straße den hohlen Weg durchschnitt.
Ein nicht ganz lieblicher und nicht sehr harmonischer, zweystimmiger weiblicher Gesang, von einem grämlichen Alt und einem durchdringenden Nasen-Sopran in Octaven vorgetragen, schallte aus der Kutsche heraus, deren disseitiges Fenster geöfnet war. Der Fuhrmann brummte, so oft er die Pfeife aus dem Munde nahm, um auszuspucken, im Basse die letzte Note nach; Übrigens war es die Melodie des Abendliedes: Nun sich der Tag geendet hat.
»Ich bitte Sie um Gotteswillen, meine werthesten Frauenzimmer!« rief Margaretha und unterbrach dadurch das andächtige Lallen, »Ich bitte Sie, gönnen Sie mir einen Sitz in Ihrer Kutsche! Wo Sie auch hinreisen; Ich verlange nichts als Ihren Schutz bis zur nächsten Stadt. Ich will Ihnen auf keine Weise beschwerlich seyn. Nur einen sichern Platz gönnen Sie mir bis dahin!« – »Halt still, Nicolaus!« sprach bedächtlich, doch laut, eine alte Dame, indem sie ihre Brille von der Nase nahm, ein Probe-Flickchen von braunem Camelot als ein Zeichen in das Gesangbuch legte, welches sie zuschlug, dann das kupfrigte Gesicht zum Schlage hinausstreckte und ziemlich unfreundlich fragte: »Was will Sie, Jungfer?« Meta wiederholte ihre Bitte und erzählte ihre Geschichte. – Allein man merke wohl, ihre Geschichte war es; doch nicht die, welche ihr begegnet war, sondern die sie erfunden hatte; Es war ein Mixtum compositum von Wahrheit und Nothlüge. Von grausamen Verwandten und einer verhaßten Heyrath, wozu man sie arme Wayse zwingen wollte, kam etwas darinn vor; nur der Officier, von welchem sie Rettung erwartete, sobald sie an ihn schreiben würde, wurde aus einem Liebhaber, in einen würdigen Vetter umgeschaffen. Ich hoffe, diese geringe Abweichung von der Wahrheit soll unser junges Frauenzimmer in den Augen der Leser nicht herabsetzen; wenigstens werde ich die Leserinnen, die jüngern nämlich, auf meiner Seite haben.
Die alte Dame schüttelte während dieser Erzählung bedächtlich ihr Köpfchen und sagte dann: »Nun! Sie darf einsteigen. Ich reise, so Gott will, nach Braunschweig. Dahin mag Sie mitfahren. Aber dort muß Sie sehn, wie Sie unterkömmt, denn ich kann mich nicht mit fremden Leuten behängen.« Der Wagen wurde geöfnet und Meta übersah jetzt die ganze[102] Gesellschaft, in welche sie eingeführt werden sollte; denn der untere Theil der Kutsche verbarg noch, gleich dem Bauche des trojanischen Pferdes, mehr lebendige Wesen, als von Außen sichtbar waren. Der alten Dame gegenüber saß ein junges, schwarzäugichtes Cammermädchen, mit einer Hauben-Schachtel auf dem Schoße; An der Seite ihrer Gebietherinn hatte ein garstiger grauer Kater Platz genommen; Ein bejahrter, engebrüstiger Mops lag zu den Füßen und neben ihm ein kleiner weiß und braun gefleckter so genannter Spion-Hund; unter dem Himmel der Kutsche aber war, zwischen einigen in Tüchern aufgehängten Hauben, auch ein kleines Vogelbauer befestigt, in welchem ein Canarien-Männlein sein Wesen trieb. Es fand sich grade neben dem Cammermädchen noch Platz genug für Margaretha Dornbusch, um, wenn sie keinen großen Anspruch auf Raum für ihre Beine machte, ziemlich bequem zu sitzen.
Jetzt halte ich es für meine Pflicht, die Leser genauer mit den Personen bekannt zu machen, unter welche wir die Jungfer Dornbusch geführt haben, und dann soll uns nichts abhalten, sie ihre Reise fortsetzen zu lassen. Das Fräulein von Brumbei5 war Stiftsdame in ***. Da die Natur, bey Entwerfung des Plans zu ihrer sterblichen Hülle, sich ein wenig verzeichnet und ihre gnädigen Eltern kein baares Vermögen hinterlassen hatten; so ergriff sie die Parthey, die Lüste dieser Welt und die zeitlichen Güter zu verachten und sich nach den himlischen zu sehnen, auf welche sie sich durch fleißiges Beten und Singen ein Recht zu erwerben trachtete. Je älter sie wurde, desto wärmer eiferte sie für Keuschheit und Tugend und Margaretha hatte den Schutz, den sie ihr angedeyen ließ, größtentheils der Versicherung zu danken, daß sie dem Ehestande aus dem Wege gelaufen wäre. Weil aber der Geist des schwachen Menschen nur gar zu oft vom Fleische niedergedrückt wird; hatte sich das Fräulein nach und nach gewöhnt, jenem durch den Genuß eines reinen abgezogenen Kirschwassers einen höhern Schwung zu geben und würklich duftete unsrer Meta, als sie zu ihr in den Wagen stieg, der süße Geruch dieser Panacäe entgegen. Nun aber hatte es sich begeben, daß Beelzebub, welcher den Frommen immerdar auflaurt, einst den Augenblick genützt, als das Fräulein von Brumbei von der besagten Kirsch-Essenz fast viel genossen und dadurch das Fleisch so getödtet[103] hatte, daß alle Achtsamkeit auf den Gebrauch ihrer irdischen Gliedmaßen dahin war. – Es hatte sich begeben, sage ich, daß in einer solchen Stunde Beelzebub sie verleitete, die kleine Treppe in ihren Keller hinabzusteigen; ihr Fuß war ausgeglitten, sie war hinabgestürzt und hatte sich die linke Hüfte verrenkt. Der Stifts-Chirurgus wendete alle Kräfte seiner Kunst an, den Schaden zu heilen, nachdem die warmen Umschläge, welche das schwarzäugichte Cammermädchen ohne Unterlaß auflegen mußte, nicht helfen wollten – alles vergebens! Dann nahm sie ihre Zuflucht zu dem Scharfrichter in Goßlar, aber mit keinem glücklichern Erfolge. Sie hatte auch einen ganzen Sommer hindurch das Bad bey Verden gebraucht, ohne Besserung zu spüren; worauf sie sich endlich entschloß, nach Braunschweig zu reisen und sich einem Wundarzte anzuvertraun, von dessen Geschicklichkeit bey allerley Vorfällen ihr ein junger Cavallerie-Officier viel Gutes gesagt hatte. – Auf dieser Reise war sie jetzt begriffen.
Sobald Margaretha Platz im Wagen genommen hatte und der Fuhrmann die Pferde antrieb, weiter zu schleichen, fieng zuerst das alte Fräulein an, mit ihren Augen das junge Frauenzimmer zu mustern, wobey sie aus einer kleinen silbernen Tabacs-Dose eine Prise nahm. Dann ließ sie ihrer Neugier den Zügel schießen und setzte Meta durch eine Menge Fragen in einige Verlegenheit; doch half sich Diese mit aller weiblichen Kunst heraus. Hierauf kam die Reyhe an die nützliche Moral, welche sich aus solchen Begebenheiten ziehn läßt und da hatte sie nun ein weites Feld, gegen die Falschheit der Männer, gegen den Leichtsinn der heutigen Jugend und zum Lobe der Sittsamkeit und Keuschheit zu eifern. – Der Canarien-Vogel oben im Bauer pfiff zwischendurch sein Liedchen und machte ein wahres Melodrama aus dieser Declamation. – Endlich fieng sie an, über Magenschmerzen zu klagen und holte aus der Kutschen-Tasche ein Fläschgen voll Kirschengeist hervor; und als sie sich damit gelabt hatte, wurden die Gesangbücher wieder aufgeschlagen und Meta mußte sich's gefallen lassen, die noch übrigen Strophen des Abendliedes mitzusingen.
Der Tag neigte sich nun würklich zum Ende – es war, wie wir wissen, der Sonntag, an welchem Blanchard in Braunschweig aufstieg. Diese Stadt zu erreichen war heute nicht möglich; Es hatte aber das Fräulein von Brumbei, in einem seitwärts von der Straße gelegenen Dorfe, einen alten Bekannten, den Pastor Reimers, bey welchem sie sich ein Nachtlager erbeten hatte und der sie nebst ihrem Gefolge gastfreundschaftlich[104] aufnahm. Da Dieser nur zwey Betten liefern konnte, mußte Meta das eine derselben mit der Cammerjungfer theilen. Susanna war ein muntres Mädchen; Sie hatte vormals in Braunschweig gedient und dort allerley kleine Liebes-Abentheuer bestanden. Die böse Welt pflegt solche unschuldige Verirrungen zuweilen lieblos zu beurtheilen; das war auch Susannen begegnet; arge Lästerzungen hatten ihren Ruf zweydeutig zu machen gesucht; sie war von der Dame, bey welcher sie gedient hatte, nicht auf die ehrenvollste Weise verabschiedet worden und hierauf aus Verzweiflung auf's Land gegangen, da sie dann endlich Gelegenheit gefunden hatte, durch den vorhin erwähnten Cavallerie-Officier dem alten Fräulein empfohlen zu werden. Ihr Verlangen, das liebe Braunschweig wiederzusehn, gab ihr kräftige Gründe ein, ihre Herrschaft in dem Vorsatze, nach dieser Stadt zu reisen, zu bestärken, und niemand war froher wie sie, als diese Reise zu Stande kam.
Nichts ist leichter gestiftet und leichter getrennt, als die Freundschaft und Vertraulichkeit unter jungen Mädchen. Kaum war Susanna mit der Jungfer Dornbusch allein in ihrem Cämmerlein (die alte Dame pflegte sich, mit schwerem Haupte, früh zu Bette zu legen) als sie zuerst begann, ihrem Spotte über das fromme Fräulein freyen Lauf zu lassen; dann entlockte sie Margarethen das Geheimnis ihrer Herzens-Angelegenheit und gewann bald, durch die Theilnahme, welche sie ihr bezeugte, ihr ganzes Zutraun. Wir haben einmal in einem hübschen Buche gelesen, daß junge Frauenzimmer vor allen Andern Ursache haben in der Wahl ihrer Vertraueten vorsichtig zu seyn; daß so Manche bloß dadurch fallen, daß sie sich solchen Personen in die Hände liefern und Denen tausend gute Eigenschaften zutrauen, welche ihren Leidenschaften schmeicheln. Der Autor jenes Werks hatte dies gar artig auseinandergesetzt; ich kann aber das Buch jetzt nicht wieder auffinden, sonst schriebe ich die Stelle ganz ab; Doch vielleicht nehmen die Leserinnen Gelegenheit, aus der Geschichte unserer Freundinn selbst, sich die nöthigen Lehren herauszuziehn; wir fahren also in unsrer Erzählung fort.
Am Montage gieng die Reise weiter und unsre Damen erreichten vor Mittag noch die Stadt Braunschweig. Susanna hatte indeß beym Ankleiden ihrer Herrschaft Gelegenheit gefunden, derselben die neue Freundinn so warm zu empfehlen, daß jetzt schon nicht mehr die Rede davon war, sich eher von Margarethen zu trennen, bis diese von ihrem vorgeblichen Vetter würde abgeholt werden.[105]
Das Fräulein von Brumbei hatte sich, auf Empfehlung ihrer Zofe, die ihr ganzes Zutraun besaß, ein Paar kleine Zimmer in dem Hause des Schusters Wöllner, unfern dem Opernhause, für die Zeit ihres Aufenthalts in Braunschweig gemiethet. Dieser Schuster war ein andächtiger Heuchler, der sehr viel von der reinen Lehre und dem innern Lichte redete, seines Amtsbruders Jacob Böhms Schriften las, Betstunden für Personen beyderley Geschlechts in seinem Hause hielt, übrigens aber ein Erz-Schurke war und auf Pfänder liehe. – Ich bitte die geneigten Leserinnen nun nochmals zu überlegen, welche schreckliche Folgen die erste Übereilung der Jungfer Dornbusch für sie hätte haben können, da wir sie jetzt von solchen Menschen umgeben sehn müssen.
Sobald die Gesellschaft Besitz von ihrer Wohnung genommen hatte, setzte sich Meta hin und schrieb dem Freunde ihrer Seele einen zärtlichen Brief. Sie urtheilte nicht ohne Wahrscheinlichkeit, es werde der Hauptmann, sobald er in Peina im Posthause erfahren hätte, wohin der Förster mit ihr gereist sey, auch seinen Weg nach Goßlar genommen haben, wohin er, als Werbe-Officier, ohnehin in wenig Tagen zurückkehren mußte. In jedem Falle also schien es ihr am sichersten, dahin ihren Brief mit der Post zu schicken. Hätte sie das früher überlegt; so hätte sie in der That nicht nöthig gehabt, zu entlaufen, denn sie konnte sich doch leicht einbilden, daß Previllier nicht lange säumen würde, ihr nachzureisen und dann war, an der Seite dieses braven Kriegsmannes, von der Gewalt des Oheims nicht viel zu fürchten. Allein die Idee der Flucht war romanhafter, und folglich wurde sie vorgezogen.
Der Brief war nun fort, und da sie, bis Antwort oder der Liebhaber selbst kommen würde, sicher und unentdeckt in Braunschweig bleiben konnte; fieng sie an sich zu erheitern und an dem ungewöhnten Anblicke der Volks-Menge, die zur Meßzeit die Straßen von Braunschweig anfüllt, ihre Augen zu weiden. Susanne aber nützte diese muntre Stimmung, stand neben ihr am Fenster und machte ihr reizende Schilderungen von den Annehmlichkeiten dieser großen Stadt.
So kam der Abend herbey – ein schöner, heitrer Sommer-Abend. Die alte Dame hatte, aus Freude über ihre glückliche Ankunft, ihrer gewöhnlichen Portion Herzstärkung ein Paar Gläser Ratafia hinzugefügt; Das pflegt denn den Schlaf zu befördern; und so war sie schon um acht Uhr zu Bette gegangen. »Es wäre Sünde«, sagte Susanne zu ihrer neuen Freundinn, »wenn man sich bey dem herrlichen Wetter im Zimmer einsperren wollte. Wenigstens sollten wir doch vor der Hausthür[106] ein wenig auf- und abgehn.« Margaretha Dornbusch ließ sich den Vorschlag gefallen; sie schlenderten Arm in Arm längst dem Opernhause und auf dem benachbarten Kirchhofe hin und her. Nun wurde, wie die Leser wissen, an diesem Montage Mascarade im Opernhause gegeben; Susanne wußte das, denn sie hatte schon, während unsre Freundinn schrieb, allerley Besuche gehabt, Leute verschickt und Verabredungen genommen.
Jetzt fieng sie an, Margarethen, die dergleichen Festen nie beygewohnt hatte, eine reizende Schilderung von dem Vergnügen zu machen, das man auf einem solchen Balle schmeckte. »Ich habe einen guten Einfall, meine Liebe!« setzte sie hinzu, »Wir könnten uns leicht, als Fledermäuse maskirt, auf eine Stunde hinschleichen. Niemand kennt uns; Wir gehn da miteinander durch das Gewühl von verkleideten Menschen umher, Arm in Arm, wie wir hier gehen. Es wird Sie aufheitern, da Sie doch noch nie keine Mascarade gesehn haben; meine Alte erfährt nichts davon; unsre Wirthsleute sind gute Menschen, und ehe es Bettgehn-Zeit ist, sind wir wieder zu Hause.«
Margarethen wollte Anfangs dieser Plan nicht gefallen; er kam ihr zu kühn vor; allein die Sache schien ja so unschuldig; sie war in einer so ruhigen Stimmung, worauf die angenehme Abend-Luft, das Gefühl einer nie genossenen Freyheit, der Anblick der schönen, lebhaften Straßen und die Hofnung, vielleicht morgen schon den Freund ihres Herzens in ihre Arme eilen zu sehn, vortheilhaft würkten; ihre Neugier, ein ihr so fremdes Schauspiel kennen zu lernen, wurde immer auf's Neue gereitzt, so oft sie, in Kutschen, Porte-Chaisen und zu Fuße einen frischen Transport von verkleideten Personen beyderley Geschlechts in das nahgelegene Opernhaus eintreten sah – und kurz! sie gab dem Vorschlage Gehör und entschloß sich, den Spaß in der Nähe anzusehn.
Hier mein Herr! liegen zwei Louisd'or; nehmen Sie dies Geld und lassen mir dafür mit dem Postwagen einen Philosophen kommen, der mir auf bescheidnere Art diesen und ähnliche Wiedersprüche im weiblichen Character erkläre! Ein züchtiges, junges Mädchen, das noch vor vier und zwanzig Stunden voll Verzweiflung war, über die gewaltsame Trennung von dem einzigen geliebten Gegenstande, da sie nun unter fremden Leuten herumirren muß, fern von allem, was ihr theuer und werth ist, rennt jetzt leichtsinnig mit einer zweydeutigen Unbekannten in das Getümmel vermummter Freuden-Kinder; Ein Frauenzimmer, das[107] so viel Bücher über Menschenkenntniß gelesen und aus Romanen gelernt hat, sich entführen zu lassen, ahndet nicht, daß sie einer verdächtigen Rathgeberinn in die Hände gefallen ist, da sie doch gewiß zwanzigmal in ihren Büchern die traurigen Folgen ähnlicher leichtsinniger Schritte geschildert gefunden? Sollen wir hier lauter gegen die schädlichen Würkungen einer übel gewählten Lectüre, oder gegen die Inconsequenzen des schönen Geschlechts declamiren? Es giebt strenge Moralisten, welche behaupten, die Ursache, warum auch die feinste Menschenkunde oft bey Beobachtung des weiblichen Characters scheitre, liege darinn, daß die Frauenzimmer eigentlich gar keinen Character hätten, sondern unaufhörlich von unzusammenhängenden Launen und Grillen regiert würden. Es sey eben so wenig möglich, vorauszusagen, auf welche Weise ein Weib sich in der folgenden Viertelstunde bey diesem oder jenem Vorfalle betragen mögte, wie es, selbst dem geschicktesten Tanzmeister möglich sei, zu bestimmen, was für Schritte ein herumspringender wilder Indianer machen würde. – Wir halten das für baare Verläumdung und glauben vielmehr, es liege die Schuld nur daran, daß theils dies Geschlecht die feinern Übergänge ihrer Leidenschaften, wodurch ihre Handlungen motivirt werden, sorgfältiger verborgen hielte, theils das Spiel dieser Übergänge in ihnen schneller als in uns vorgienge. Aber wo gerathen wir hin? Bleiben wir bey der Klinge!
Die beyden Frauenzimmer vermummten sich also, en Chauve-fouris, schlichen nach dem Opernsaale hin und mischten sich unter den Haufen der Masken. Sie hatten sich kaum einmal von dem Eingange bis zum Ende des Theaters gedrängt, als ein männlicher Domino sogleich die schwarzäugichte Cammerjungfer erkannte, auf sie zueilte, ihr die Hand drückte und ausrief: »Ey, Susannchen! wie kömmst Du hierher?« »Um Gotteswillen!« sagte Margaretha, »wer ist das?« – Es war ein Vetter. Aber bald kamen der Vettern so Viele und unter Diesen Manche, die nicht die bescheidenste Sprache führten. »Wie führt dich der Teufel wieder nach Braunschweig, Du Wettermädchen?« sprach der Eine. »Bey meiner Seele! da ist unsre kleine runde Hexe«, sprach der Andre und lachte laut auf. »Und wen hast Du denn da bey Dir?« erschallte die dritte Stimme. »Das ist gewiß neue Waare vom Lande!«
Nun erst fieng unsre arme Meta an, zu argwöhnen, daß sie einen übereilten Schritt gethan hätte, daß sie nicht in die beste Gesellschaft gerathen wäre und nun wurde ihr Herzchen schwer und traurig. Indeß hatte sich der Cirkel der alten Bekannten um Susannen und ihre Begleiterinnvermehrt; man fieng an, sich allerley freye Reden gegen sie zu erlauben und zwey junge Herrn drangen mit Ungestüm darauf, daß sie mit ihnen in eine von den Logen gehn sollten.
Margaretha gerieth in die äußerste Verlegenheit und war im Begriff laut zu schreyen, als ein Mann in einem schwarzen Tabareau, der schon eine Zeitlang beyde Mädchen beobachtet und hauptsächlich seine Aufmerksamkeit auf Margarethens Schuhschnallen (oder waren es Bandschleufen?) geheftet hatte, die ihm bekannt vorkamen, begleitet von einer andern Person, sich mit Gewalt durch den Haufen drängte – »Bey Gott! sie ist es«, rief er aus und schloß Meta in seine Arme. – Rathen Sie nicht länger, hochgeehrteste Leser! Es war kein Andrer, wie der Hauptmann Previllier; und wie der hierherkam, das sollen Sie bald erfahren. Lassen Sie mich nur erst Othem schöpfen![110]
5 | Wir wissen nicht, ob der für die reine Lehre so eifrige Prediger Brumbei, welcher sich kürzlich bey der Inquisition gegen den Ketzer Schulz in ganz Teutschland so berühmt gemacht hat, ein Sprößling jener adelichen Familie ist. |
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