[69] Wir haben den Förster, in Gesellschaft des Pastors Ehren Schottenii, mit dem jungen Frauenzimmer eben so eilig aus Peina fortgeschafft, wie jetzt die beyden Herrn, welche ihnen nachreisen, ohne es zu Erläuterungen unter allen diesen Leuten kommen zu lassen. Damit nun unsre Geschichtschreiber-Schulden sich nicht gar zu sehr häufen und wir, wenn endlich alles sich zum Ziele neigt, nicht gar zu viel aus ältern Zeiten nachzuholen haben mögen, was der Leser noch nicht weiß, wollen wir, während diese fünf Personen auf der Reise sind, der Herr Amtmann aber und sein Erbe, im süßen Schlafe, der müden Natur balsamischen Labsale, sich erquicken, eine kleine Skizze von dem kurzen Lebenslaufe der Jungfer Margaretha Dornbusch entwerfen.
Sobald der Förster in Biesterberg das ihm von seinem Bruder anvertrauete kostbare Unterpfand in Besitz genommen hatte, beschloß er, das kleine Mädchen wie seine eigne Tochter zu behandeln. Er selbst hatte mit seiner ehrlichen Hausfrau keine Kinder erzeugt, aber ein ansehnliches Vermögen erheyrathet, so daß er an Margarethens Erziehung, wenn er und sie auch nicht mit den nöthigen pädagogischen Gaben ausgerüstet waren, doch genug verwenden konnten, um das Kind durch Andre zu einem feinen Frauenzimmer bilden zu lassen.
Der Förster war ein biedrer, aber freylich gänzlich uncultivirter Mann. Sein Handwerk verstand er aus dem Grunde, in der politischen, literarischen und galanten Welt hingegen war er ein Fremdling. Außer einigen Andachtsbüchern, in denen er Morgens und Abends seine bestimmte Seitenzahl gewissenhaft las, wie man das an den braunen Flecken unten auf dem Rande, wo der geleckte Finger beym Umwenden seinen Stempel hingedruckt hatte, sehn konnte, sodann außer einer alten Chronic, an welcher die vordersten Blätter fehlten und den Zeitungen, die ihm der Herr Amtmann mittheilte, hatte er sich nie mit Lesen abgegeben, und seit dem Frieden, da er seine jetzige Bedienung antrat, war er des Herumschweifens müde, liebte die Ruhe, kam nur[69] äußerst selten in die benachbarten Städte, und war daher auf alle Weise in einer gewissen Art von Cultur sehr zurückgeblieben. Dagegen hatte er einige andre kleine, unbedeutende Tugenden, die in dieser Welt wenig gelten, und wobey auch in der That nichts herauskommt. So hielt er zum Beyspiel immer strenge und redlich Wort, theilte gern seinen Bissen mit dem Nothleidenden, ohne nur einmal zu ahnden, daß dies etwas anders, als gemeine Christenpflicht wäre und nahm sich jedes Gedrückten und Verlassenen an, wenn er dazu im Stande war, wie wir denn gesehn haben, daß er sich zu seinem großen Schaden, in die bayerischen Händel mischte, als Agnese Bernauer sich im Gedränge befand.
Die kleine Grete wuchs unter der mütterlichen Sorgfalt der Frau Försterinn auf, versprach einst ein hübsches, reizendes Frauenzimmer zu werden, und war der Augapfel ihrer Pflegeeltern; Ehren Schottenius aber machte sich's zum Geschäfte, ihren Geist zu bilden, jedoch ohne die Bestimmung ihres Geschlechts und ihres künftigen Standes – denn zu einer braven Landfrau schien sie ihm einst ausersehn – aus den Augen zu verliehren. Neben dem Unterrichte in den Wahrheiten der christlichen Religion, in der Form des lutherischen Kirchen-Systems, lehrte er sie eine leserliche Hand und einen wohlgesetzten Brief schreiben, erklärte ihr ein wenig die Landcharte und das Firmamentswesen, die vier Species der Rechenkunst und die Bilderchen aus Raffs Naturgeschichte. So erreichte sie das vierzehnte Jahr, da sie dann, in einem neuen schwarzen seidenen Kleide, mit rothen Schleufen und einem großen Blumenstrauße, mit den übrigen Kindern aus dem Dorfe confirmirt wurde, wobey sämtliche Eltern Thränen vergossen.
In dieser Zeit erweckte der Erzvater der neumodischen Aufklärung, Satanas, der die ganze Welt verführt, den Geist eines pädagogischen Ehepaars, das sich kürzlich in Goßlar niedergelassen hatte, und nun durch die Posaune verschiedner Zeitungsschreiber allen Völkern verkündigen ließ:
Es haben Herr und Madam Deckelschall aus der Schweiz gebürthig, sich entschlossen, sowohl zum Besten der Menschheit überhaupt, als insbesondere zur Gemächlichkeit derjenigen Eltern, welche auf dem Lande wohnten und folglich nicht Gelegenheit hatten, ihren Kindern zu Hause denjenigen Grad der Bildung zu geben, welchen man jetzt in der feinern Welt fordert, in der Reichsstadt Goßlar am Harze eine Pensions-Anstalt für junge Frauenzimmer zu errichten. Daselbst geben sie für den sehr mäßigen Preis von *** jährlich, ihren Zöglingen Kost,[70] Wohnung und Unterricht im Französischen und Italienischen, in der Music und allen andern, dem weiblichen Geschlechte nöthigen Wissenschaften, Kenntnissen, Künsten, Hand-Arbeiten, in feiner Lebensart und der Gabe, die besten classischen Schriftsteller mit Geschmack, Gefühl und Nutzen zu lesen.
Dem guten Förster Dornbusch gieng plötzlich ein Licht auf, als er diesen Artikel in der Zeitung las. Es hatte seine Richtigkeit, daß Gretchen von den hier verzeichneten schönen Sachen noch wenig oder gar nichts verstand; Da nun diese Kenntnisse, wie es doch offenbar gedruckt da zu lesen war, einem wohl erzognen Frauenzimmer unentbehrlich waren, Gretchen aber, es koste was es wolle, ein wohl erzognes Frauenzimmer werden sollte, entschloß er sich kurz und gut, seine Nichte nach Goßlar zu bringen; Ehren Schottenius äußerte einige Zweifel, meinete, man müsse sich wohl zuvor genauer nach diesen Leuten erkundigen; allein bey Menschen von des ehrlichen Dornbusch' Cultur hat das, was gedruckt ist, ein großes Gewicht; Sein ganzer Glaube an erhabnere Wahrheiten beruhete auf keinem viel dauerhaftern Grunde; also blieb es bey dem Vorsatze und die Nichte wurde nach Goßlar gefahren.
Jetzt muß ich die Leser ein wenig genauer mit dem Herrn Deckelschall und seiner Frau Gemahlinn bekanntmachen. Er war auf Universitäten gewesen, mithin ein Gelehrter; Nur auf solche langweiligen Dinge, die man Brod-Wissenschaften nennt, hatte er nicht Lust gehabt sich zu legen, und da man ohne diese in der bürgerlichen Gesellschaft nicht fortkömmt; war er auf alle Einrichtungen in der jetzigen Welt und auf alle Staats-Verfassungen nicht wohl zu sprechen. Nach manchen vereitelten Versuchen, dennoch irgend ein Ämtchen zu erwischen (welches ihn denn ohne Zweifel mit den Regierungen versöhnt haben würde), beschloß er endlich, Hofmeister junger Herrn zu werden. Er brachte ein Paar Grafen-Söhne, die man ihm anvertrauete, so weit, daß der Eine, dem er, wie er es für Pflicht hielt, seinen Ekel gegen allen bürgerlichen Zwang und alle wissenschaftliche Pedanterey mitgetheilt hatte, durchaus keinem Fürsten dienen wollte, sondern, zum größten Kummer seines nicht so aufgeklärten Vaters, in seinem zwanzigsten Jahre als Musen-Almanachs-Dichter und Music-Liebhaber privatisirte; Der Andre aber, den er, um ihm den Adelstolz aus dem Kopfe zu bringen, überzeugt hatte, daß aller Unterschied der Stände eine Grille[71] wäre, aus seiner Eltern Hause nebst dem Garderoben-Mädchen davonlief und auf einem großen transportablen National-Theater in den Rollen des Licentiaten Frank und des goldonischen Lügners den Schneidern und Schustern in Speyer, Worms und den benachbarten Städten ungemein gefiel.
In einem von diesen Häusern wurde Herr Deckelschall mit seiner jetzigen Ehefrau bekannt. – – Sie war Gesellschafterinn und Vorleserinn der Frau Gräfinn. Ihre Herzen sympathisirten; Herr Deckelschall spielte ein wenig Clavier; sie sang ein wenig. – Was bedarf es mehr, um vereint mit einander glücklich zu leben? An baarem Vermögen fehlte es freylich Beyden; sie besaß jedoch fünfhundert Reichsthaler an Schaustücken und Harz-Gulden; Es ist himmelschreyend, daß man in dieser Welt durchaus Geld haben oder irgend eine nützliche Arbeit verstehn muß, um auszukommen. Indeß verläßt der Himmel zwey liebende Seelen nicht, die mit einander Duetten singen können, und in dieser Hofnung heyratheten sich unsre guten Leute. Nach der Hochzeit überlegte man dann, wovon man leben wollte und, da man sich sogleich auf nichts besinnen konnte, zog man vorerst zu gastfreyen Verwandten, nach Goßlar.
Hätte Herr Deckelschall nicht eine so sehr unleserliche Hand geschrieben, so würde er gewiß sich am liebsten als Copist fortgeholfen haben, weil er gehört hatte, daß Hans Rousseau mit Notenschreiben seinen Unterhalt erworben hätte; allein seine Buchstaben waren von der Art, daß man sie eben so wohl für arabisch, als für teutsch ansehn konnte. Da es nun mit dem Abschreiben nicht gehn wollte, beschloß er, Autor zu werden. Er schrieb einen Roman, und nachher eine Schmähschrift gegen einen Rezensenten, der diesen Roman ein elendes Product genannt hatte. Beyde Bücher fanden keinen Abgang, und er konnte keinen Verleger mehr finden. Madam besaß würklich einige nützliche Talente; sie verstand die Kunst, allerley seidene Zeuge zu färben und russische Talchlichter zu gießen; Aber das schien ihnen Beyden eine kleinliche, elende Art von Erwerb, und so entschlossen sie sich dann, ein Erziehungs-Institut anzulegen. Ein Menschenfreund, der, wie die mehrsten Menschenfreunde, kein guter Wirth war, lieh ihnen eine Summe Geldes; Dafür wurden Hausrath und Bücher angeschafft, in welchen das stand, was sie zu lehren versprachen; und damit gieng's los – sie hatten in Monats Frist sechs junge Mädchen bey einander.[72]
Die Operation hatte treflichen Fortgang; den Eltern wurden vierteljährlich angenehme Berichte eingeschickt, und die Eltern schickten vierteljährlich angenehme Louisd'ors – was wollte man mehr? Herr Deckelschall errichtete nebenher eine Lese-Gesellschaft und einen gelehrten Clubb, welchen alle Honoratiores in Goßlar besuchten, um dort eine Pfeife Tabac zu rauchen.
Margaretha Dornbusch kam als ein unerfahrnes, aber an Häuslichkeit, Fleiß und Sittsamkeit gewöhntes, hübsches, junges Mädchen in dies Haus. Dabey war ihr natürlich guter Verstand durch den Pastor Schottenius, wie wir gehört haben, ein bischen ausstaffirt worden, wenigstens in so weit, daß sie einigen Geschmack an Büchern und wissenschaftlichen Dingen fand; ja! wir dürfen nicht verschweigen, daß der Herr Pastor ihr Gellerts Schriften zu lesen gegeben, daß er dabey die Unvorsichtigkeit begangen hatte, ihr auch den Theil derselben zu schicken, in welchem die Geschichte der schwedischen Gräfinn stand, und daß dadurch in ihr die erste Lust zur Roman-Lectüre war erregt worden. Diese Lust nahm in Goßlar ansehnlich zu. Unter viel andern pädagogischen Gaben, welche dem Erzieher-Paare in Goßlar – fehlten, war auch die, ihre jungen Frauenzimmer in beständiger nützlicher Thätigkeit und einer heitern, ruhigen Gemüths-Stimmung zu erhalten. – Sie haben Recht Madam! ja, ich weiß es, das ist grade das einzige Haupt-Geheimniß in der weiblichen Erziehung. – Nun denn! dies einzige Haupt-Geheimniß besaßen sie nicht. Wir haben aber gehört, daß Herr Deckelschall sich eine Lese-Bibliothek angeschafft hatte – und was für eine Bibliothek? Romanen und Schauspiele, wie des Sandes am Meere, besonders Ritter-Geschichten und dergleichen. Dieser ganze Schatz von Literatur nun war den jungen Frauenzimmern preißgegeben und eben aus diesem Magazine sollten sie die in der Ankündigung versprochne Gabe, die besten classischen Schriften mit Geschmack, Gefühl und Nutzen zu lesen schöpfen.
Jungfer Margarethe gieng mit Riesenschritten auf dieser Bahn der Cultur fort, und schon begann ihr, die nur in der Ideenwelt sich herumtummelte, die Alltagswelt niedrig und ekelhaft zu werden, als ein Gegenstand in derselben sie wieder mit dem würklich lebenden Menschengeschlechte aussöhnte. Welcher Gegenstand das war, ist leicht zu errathen; es war kein andrer, als unser Freund, der Hauptmann Previllier. Dieser gute Mann stand als österreichschen Officier in Goßlar auf Werbung und war Mitglied des von dem Herrn Deckelschall gestifteten[73] Gelehrten-Clubbs. Dies literarische Institut gab ihm zugleich Gelegenheit, genauere Bekanntschaft mit dem Pädagogen zu machen, welche sich denn bald auch auf die weiblichen Zöglinge ausdehnte. Er brachte manche Abend-Stunde in diesem Cirkel zu.
Der Capitain war kein solcher süßer Geck, der sich selbst und allen hübschen Mädchen weiß macht, er sey verliebt in sie; auch war er kein ausschweifender Jüngling, der, wie ein Wolf um die friedlichen Heerden herum geschlichen wäre, ein Schäfchen zu fangen, das sich sorglos von dem Haufen getrennt hätte; aber er war ein gefühlvoller, junger Mann; Margaretha Dornbusch gefiel ihm und wir verdenken es ihm gar nicht.
Indessen hatte der Herr Förster seit langer Zeit den Plan in seinem Kopfe herumgedreht, seine Nichte an den einzigen Erben des wohlhabenden Herrn Amtmanns Waumann zu verheyrathen. Sein Gretchen glücklich an den Mann gebracht zu sehn, das war Tag und Nacht sein einziger Wunsch. Die Haupt-Erfordernisse des Ehestandes waren bey ihm: eine gute Versorgung und ein gesunder Leib; Beydes hatte Musjö Valentin aufzuweisen. Von der nöthigen Seelen-Sympathie, die, wenigstens in den ersten vier Wochen, so viel Seligkeit in den Ehestand bringt, und von dem Einfluße des Mondenscheins auf dies Wonnegefühl, ließ der arme Mann sich gar nichts träumen. »Dat hab' ich mir so ausgedacht«, sprach er zum Herrn Amtmann. »Meine Grete kriegt auch mal einen hübschen Thaler Geld, wenn ich und meine Frau sterben. Wenn aber der Herr Amtmann was anders mit Musche Valentin vorhaben, so soll mein Vorschlag niks gelten, und wir bleiben doch mans gute Freunde.« Allein der Herr Amtmann fand den Vorschlag sehr annehmlich, und der Handel war unter den Eltern bald geschlossen.
Während dieser Verabredungen kam im Oster-Feste das junge Frauenzimmer zum Besuche nach Biesterberg. Jedermann fand sie verändert; Leib und Seele waren anders aufgestutzt; allein sie blieb noch immer das gute, unschuldige Mädchen; weiter als bis auf die Oberfläche hatte sich die Reform nicht erstreckt. Der Name Margaretha klang ihr zu grob; sie hatte sich Meta getauft – der Förster schüttelte den Kopf. Sie beklagte in Elegien alle Hühner und Tauben, die geschlachtet wurden, obgleich sie tapfer davon mitspeiste, wenn sie auf den Tisch kamen. Doch diese und ähnliche kleine Thorheiten abgerechnet, war sie, wie gesagt, gottlob! noch unverderbt, und Ehren Schottenius, dessen Gutmüthigkeit und christliche Liebe größer wie seine practische Menschenkenntniß waren, fand sogar: sie habe in Goßlar so etwas in ihrem Thunund Lassen angenommen, welches der angenehmen Gesichtsbildung, so der liebe Gott ihr gegeben, neue Annehmlichkeit verleyhe, wofür man dem Schöpfer nicht genug danken könne. An dem Herrn Deckelschall und seiner Gattin lag es indessen nicht, daß es mit Kopf und Herz nicht ärger aussah.
Während ihrer Abwesenheit von Goßlar erhielt der Hauptmann einen Brief von seinem ehemaligen Pflegevater aus Paris und darinn, doch nur mit kurzen Worten, die Nachricht, daß er so glücklich gewesen wäre, ihm zu dem Besitze eines ansehnlichen Vermögens zu verhelfen, und daß er ihn bald persönlich zu umarmen hoffte. Jetzt erst konnte Previllier ernstlich daran denken, sich eine Gehülfinn zu wählen; und er nahm sich vor, gleich nach Margarethens Zurückkunft, seinen förmlichen Antrag zu thun. Dies geschahe; das junge Mädchen fühlte in dem, was die Frauenzimmer ihr Herz zu nennen pflegen, und über dessen eigentlichen Sitz bey diesem Geschlechte die Weltweisen noch nicht ganz einig sind, Empfindungen, die dem wackern Officier das Wort redeten; und so sank sie denn schmachtend und schamhaft in seine Arme. – Auch diese Scene müßte sich, in Kupfer gestochen, vortreflich ausnehmen; Es ist unbegreiflich, daß mein Herr Verleger in der Verstocktheit seines Herzens dafür keinen Sinn hat; aber wir werden ihm kein Manuskript wieder geben, wenn er sich weigert, Bilderchen dazu verfertigen zu lassen. Und doch riskirt der Mann nichts bey unsern Schriften; Sie gehen reißend ab, weil sie lustig zu lesen sind, nicht viel Kopfbrechens kosten und nicht übermäßig lehrreich sind. – Er ist ein ruinirter Mann, wenn wir ihm unsre Protection entziehen.
Der Hauptmann erbat sich nun von seiner Schönen die Erlaubniß, auch bey dem Herrn Förster schriftlich die Bewerbung um ihre Hand anbringen zu dürfen, und sie wiedersetzte sich diesem Vorhaben um so weniger, da der Oheim ihr nie etwas von dem Plane, sie an den jungen Waumann zu verheyrathen, eröfnet hatte. Allein der Erfolg fiel ganz anders aus, als man erwartete; Der alte Dornbusch konnte sich mit dem Gedanken nicht gemein machen, seine schöne Hofnung auf die Verwandschaft mit dem Hause des Herrn Amtmanns aufzugeben, seine Nichte so weit von sich zu lassen und sie noch obendrein einem Kriegsmanne zu geben, der vielleicht heute oder morgen nach Croatien in Garnison, oder gar in's Feld ziehn müßte. Es erfolgten daher auf wiederholte Bittschreiben, wiederholte abschlägige Antworten; bald nachher das Verboth, den Werbe-Officier gar nicht mehr zu sehn, und endlich[76] der Befehl, sich bereit zu halten, in wenigen Tagen nach Biesterberg abgeholt zu werden.
Nun qualificirte sich die Sache zu einer Roman-Scene, und es ließ sich gar nicht mehr ändern, man mußte Anstalt zur Entführung machen. Dennoch würde, wie man sicher behaupten darf, unser redlicher Previllier noch vorher einen gelindern Weg versucht, und mündlich den alten Förster zu überreden getrachtet haben; Allein er bekam grade zu der Zeit abermals einen Brief von seinem ostindischen Wohlthäter, welcher ihm seine Ankunft in Teutschland meldete, und den Hauptmann bat, ihm einen Ort namhaft zu machen, wo sie sich zuerst sprechen könnten. Hierzu schlug Previllier Peina vor, und seine Absicht war, seinem zweyten Vater daselbst seine Geliebte zu zeigen, und ihn dann zu bereden, mit ihnen nach Biesterberg zu reisen, um dort alles anzuwenden, den Förster zu bereden. Die Anstalten zur Entweichung wurden mit nöthiger Vorsicht gemacht; hätte man deren aber auch weniger angewendet; so würde doch das Pädagogen-Pärchen schwerlich der Flucht ein Hinderniß in den Weg gelegt haben, denn übertrieben ängstliche Aufsicht über die jungen Frauenzimmer war ihr Fehler nicht. Übrigens wissen die Leser, was den beyden Liebenden in Peina wiederfuhr, und ich könnte nun getrost in der Erzählung dessen fortfahren, was der Jungfer Margaretha begegnete, nachdem ihr Oheim sie auffieng, und mit Gewalt wieder nach Goßlar zurückbrachte; Allein ich muß mich erst einer Bemerkung über diesen ganzen Vorfall entledigen, und dann einige moralische Sätze aus dieser Geschichte ziehn, zum Beweise, daß doch im Grunde kein Buch so geringe ist, in welchem nicht einiger Stoff zur Erbauung für lehrbegierige Leser zu finden wäre.
Die Bemerkung ist folgende: Hätten wir diese interessante Geschichte gänzlich erfunden, oder, wie man zu sagen pflegt, aus den Fingern gesogen – gegen welchen Verdacht wir jedoch feyerlich protestiren –, so würden wir vielleicht, zur Warnung und zur Lehre für andre, eben so romanhaft gestimmte Frauenzimmer, die Person des Entführers, den Herrn Hauptmann Previllier, als einen Erz-Bösewicht geschildert und das entlaufene Jüngferchen tausendfach Noth und Elend, als die Folge dieser Verirrung, haben erleben lassen. Verdient hätte es das Mädchen und ich hätte da Stellen anbringen können, bey welchen selbst dem Setzer dieser Bogen Thränen über die Backen geträufelt wären; aber Wahrheit bleibt Wahrheit. Diesmal glückte es nun freylich mit der[77] Entführung, denn der Officier war ein Biedermann; aber hätte er nicht eben so wohl ein Schuft seyn können? – Und wie hätte es dann mit ihr ausgesehn? Mademoiselle! Was meinen Sie dazu? –
Und das führt mich nun zu den moralischen Lehren, die sich, sowohl bey des Herrn Deckelschalls und seines Weibes, als bey der holden Meta Geschichte anbringen lassen und worauf ich fleißig Acht zu geben bitte; denn je seltner einen Autor das Moralisiren anwandelt, um desto größern Anspruch darf er ja wohl auf die Aufmerksamkeit der Leser machen; also
Erstlich: Wer in dieser Welt fortkommen will, der thut wohl, wenn er so irgend etwas lernt, womit man im bürgerlichen Leben Brod verdienen kann, es müßte denn seyn, daß sein Magen so geschaffen wäre, daß er vom Schimpfen auf die verkehrten Welt-Einrichtungen satt würde;
Zweytens: Wer heyrathen will, thut nicht übel, wenn er vor der Hochzeit überlegt, wovon er nebst Frau Gemahlinn leben wolle; wobey er nicht gar zu viel auf die Gastfreundschaft seiner Verwandten und die Hülfe der Menschenfreunde rechnen darf.
Drittens: Menschen, die zu sonst nichts in der Welt brauchbar sind, sollen keine Erziehungs-Institute anlegen, noch überhaupt sich mit Bildung Andrer abgeben, was für Beyspiele man auch vom Gegentheile anführen mögte.
Viertens: Für junge Leute sind alle Romane gefährlich, außer, versteht sich, die, welche wir geschrieben haben und, will's Gott, noch schreiben werden, wenn wir immer Verleger finden, die sich von uns ankörnen lassen;
Fünftens: Man vertraue einen Hühner-Hund, der abgerichtet werden soll, unmaßgeblich niemand an, den man nicht selbst geprüft hat, ob er das Ding auch verstehe. Item dieselbe Regel ist zu beobachten, wenn man sein Kind einem Fremden zur Erziehung übergeben will;
Sechstens: Wer seiner Tochter einen Mann anheyrathen will, kann allenfalls gelegentlich, bevor er die Sache gänzlich in Richtigkeit bringt, das Mädel fragen, ob sie den Kerl auch leiden mag; Sonst giebt's zuweilen Unglück;
Siebentes: Mit dem Entführen ist es eine misliche Sache und nimt nicht selten ein lamentables Ende.
Diese sieben Moralien scheinen beym ersten Anblicke ganz gemein und gleichsam trivial; allein nicht nur ist das bey allen moralischen Sätzen[78] der Fall, nämlich, daß sie bekannt genug sind, ohne daß man deswegen darnach handelt, theils gehören diese sieben Stücke würklich zu den auserlesensten und haben viel in recessu, zu Teutsch: im Rückhalte; Endlich auch gewinnen solche alten Moralien durch eine feine, angenehme Einkleidung neuen Reiz, und darinn haben wir, ohne uns zu rühmen, unsre Stärke. – Nun weiter!
Warum grade der Herr Förster sich entschloß, mit seiner Nichte wieder nach Goßlar und nicht vielmehr nach Biesterberg zu reisen, das soll Euch, meine werthesten Zuhörer! in dieser Stunde mit wenig Worten auseinandergesetzt werden. Er war ein Mann, der gern alles in's Klare gebracht sah und der es nicht leiden konnte, daß auf seiner oder der Seinigen Ehre eine Makel haften bliebe. Gretchen war heimlich aus Goßlar entwischt; öffentlich mußte sie sich also wieder da zeigen, ehe die Sache ruchtbar würde; dort mußte zugleich die Untersuchung angestellt werden, ob sie auch durch ihre übrige Aufführung sich und ihre Familie beschimpft und welche Rolle bey dieser ganzen Liebesgeschichte Herr und Madam Deckelschall gespielt hätten. Über das alles sollte ihm dann der Magistrat in Goßlar ein Attestat schwarz auf weiß ausfertigen, zu seiner Rechtfertigung bey dem Herrn Amtmann Waumann.
Man kann sich leicht vorstellen, daß die Gespräche, welche unsre drey Reisenden unterwegens führten, nicht von der lustigsten Art waren; die holde Meta klagte und betheuerte, sie werde keinem andern Manne die Hand geben, als ihrem Hauptmanne; der Förster fluchte und appellirte an die Obrigkeit; der Pastor aber kam je zuweilen mit einem von unsern sieben moralischen Sätzen angezogen, den er dann nach seiner Weise ausführte und hinzusetzte: »Diese wichtige Wahrheit habe ich in einer von meinen Predigten, die ich drucken zu lassen die Absicht hatte, weitläuftiger auseinandergesetzt.«
Auf diese Weise kamen sie in Steinbrüggen an, welches ungefehr in der Mitte zwischen Peina und Goßlar liegt; es wurde hier angehalten und der Förster fühlte Beruf, sich mit einem vollständigen Frühstücke zu laben. Während diese Beschäftigung seine ganze Aufmerksamkeit fesselte, gieng Meta aus dem Zim mer, öfnete eine Thür, welche in den kleinen Garten des Wirthshauses führte und gieng in demselben kummervoll auf und nieder. Plötzlich erwachte in ihr der Gedanke: Wie? wenn Du hier Deinen Hütern entwischtest, in einem benachbarten Dorfe bey gefühlsvollen Leuten Schutz suchtest, Dich dort versteckt hieltest, und indeß an den Geliebten schriebst, daß er dann[79] käme, Dich abzuholen? – Dieser Plan hatte etwas so Romanhaftes; sie konnte unmöglich der Versuchung wiederstehn, ihn auszuführen. Daß ihr Brief gewiß den Hauptmann verfehlen mußte, der doch wohl nicht, nachdem er sie verlohren, ruhig in Peina sitzen geblieben seyn würde, das und sehr viel andre Dinge überlegte sie nicht. Der Garten hatte eine Hinterthür, die hinaus auf das Feld führte; diese Thür stand offen. Das Feld war mit Hecken eingefaßt, hinter welche man sich verstecken, oder vielmehr unbemerkt längs denselben fortlaufen konnte, bis man ein Wäldchen erreichte, oder an eine Straße geriethe, welche nach einer andern Richtung hinführte; auch lagen einige Dörfer in der Nähe – kurz! sie meinte, das Ungefehr werde sie schon einen sichern Weg leiten, ehe man etwas von ihrer Flucht gewahrwürde; also lief sie fort, quer über das Feld hin, den Hecken zu, zwischen welchen sie würklich einen hohlen Weg fand, welchen sie verfolgte und – das Übrige werden wir einst erfahren – kehren wir in das Wirthshaus zurück!
Eine gute halbe Stunde beschäftigte den Förster das Frühstück, und der Pastor rauchte dabey sein Pfeifchen; als endlich Jener seine Nichte vermißte. »Sie ist vorhin in den Garten gegangen, wie ich gesehn habe«, sagte Ehren Schottenius, »aber es wird nun auch wohl Zeit seyn, daß wir uns weiter auf den Weg machen. Ich will die Jungfer rufen«. – Er gieng; aber fort war sie, war nirgends zu finden. Wir lassen die beyden Herrn, die Wirthinn, den Hausknecht und die Magd sie aufsuchen und knüpfen indeß einen Faden unsrer Geschichte wieder an, den wir lange genug haben liegen lassen.[80]
Buchempfehlung
Die Fortsetzung der Spottschrift »L'Honnête Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissline« widmet sich in neuen Episoden dem kleinbürgerlichen Leben der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«.
46 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro