Der 4. Absatz.

Von der Finsternuß.

[86] Tenebræ die Finsternus wird (wie der gelehrte Petrus Berchorius, und andere anmercken) also genennet à tenendo, weilen sie die Augen hält / daß sie nichts sehen können: dann sie ist ein dunckle des Luffts / so herkommt aus Abwesenheit des Liechts / und verursachet ein traurige Nacht. Deßwegen kan sie wohl mit dem Unverstand / Irrthum und Unwissenheit verglichen werden / dann gleichwie die Finsternuß den Lufft verduncklet / und die Farb / die Beschaffenheit oder das Aussehen der leiblichen Dingen verbirget /weil sie die Augen vom Sehen verhinderet: Also thut der Irrthum / Unverstand und Unwissenheit / absonderlich / wann sie von der Sünd herkommet / die Vernunfft verduncklen / und verursachen / daß sie nicht siehet / oder wahrhafftig urtheilen kan von der Sachen Beschaffenheit / zum Exempel von der Nichtigkeit der zeitlichen Güther / von der Heßlichkeit der Sünd /und Schönheit der Tugend / von der[86] Strenge der Gerechtigkeit / und Menge der Barmhertzigkeit GOttes etc.61 Widerum die Finsternuß verhinderet den Wandersmann in dem gehen auf seinem Weeg / weil er nicht siehet / wo er daran ist / ob er nicht anstosse /ob er nicht in eine Grub oder Graben falle: Wie die Heil. Schrifft selber bezeuget. Qui ambulat in tenebris, nescit quo vadat.62 Wer in Finsternuß wandlet / weißt nicht wo er hingehet. Auch die gemeldte sittliche Finsternuß verblendet den Menschen gar übel auf der Wanderschafft des zeitlichen Lebens / auf dem Weeg seines Heyls / daß er nicht siehet und erkennt die Gefahren seiner Seel / die Nachstellungen des bösen Feinds / die Stein der Aergernuß / die Gruben der bösen Gelegenheiten etc.63 Der Weeg der Gottlosen ist dunckel / und sie wissen nicht wo sie hinfallen werden / sagt der weise Salomon: absonderlich wann der Weeg schlüpfferig / das ist / gefährlich oder verführerisch ist.64

Ferners verursachet die Finsternus dem Menschen ein Forcht und Schrecken / wo auch kein Gefahr ist /absonderlich wann er alleinig / und weit von den Leuthen entfernt ist; Wann sich nur ein Maus oder Läublein rühret / da meynt er schon / es seye weiß nicht was. Hingegen minderet und vertreibt die Finsternuß die Schamhafftigkeit / deßwegen die / so ein Schand-oder Ubelthat gethan haben oder thun wollen / suchen und lieben die Finsternuß. Eben also die Unwissenheit und der Unverstand / so von der Sünd ist verursachet worden / macht das irrende und böse Gewissen forchtsam und erschrocken / öffters wo auch nichts zu förchten wäre / wie David beobachtet. Trepidaverunt timore, ubi non erat timor.65 Sie haben ihnen geforchten / wo kein Forcht ware: Dominum non invocaveruut, weilen sie nehmlich allein waren / und GOtt nicht haben um Hülff angeruffen. Doch seynd diese Forchtsam und Erschrockene also beschaffen /daß sie sich in ihrer Finsternuß nicht schämen und scheuen zu thun / was sie sich bey hellem Tag / und vor denen Leuthen bey weitem nicht getrauten: von welchen geschrieben stehet: Confusione non sunt cofusi & erubescere nescierunt.66 Sie haben sich in ihrer Schand nit geschämt / und haben sich nicht wollen schämen.

Endlichen gleichwie die nächtliche Finsternuß ein Feindin und Zerstörerin ist des menschlichen Gewerbs / des Handel und Wandels / und zum Schlaff oder Müßiggang anreitzet / die Menschen und Thier träg und verdrossen macht / ausgenommen die Nacht-Dieb / Ehebrecher und Strassen-Rauber / denen sie favorisiret oder günstig ist / und ihr böses Vorhaben beförderet: also auch die sittliche Finsternuß der sträfflichen Unwissenheit und des Unverstands verhinderet den Menschen sehr in Ubungen der Tugenden und verdienstlichen Wercken / sie reitzet ihne an zur Trägheit und Müßiggang. Von dieser Finsternus sagt Christus im Evangelio. Venit nox quando nemo poterit operari.67 Es kommt die Nacht / da niemand würcken kan. Hingegen aber thut sie opera tenebrarum, die Werck der Finsternuß / das ist / die böse sündhaffte Werck nur gar zuwohl promoviren /beförderen und vertuschen. Absonderlich ist diese Finsternuß denen Geitz-Hälsen / den Unzüchtigen /denen Verläumderen und Neidigen günstig und bequem / ihre Laster (welche vor andern verlangen heimlich gehalten und vermäntelt zu werden) füglich auszuüben.

Aber aus diesen ihren freywilligen Finsternussen werden die Unbußfertige Sünder verstossen in tenebras exteriores, in die äuserste und höllische Finsternussen / welche noch weit ärger seynd / als die Egyptische Finsternussen / mit welchen GOtt zur Zeit des verstockten Königs Pharaonis das Egypten Land gestrafft hat / welche wie die H. Schrifft austrucklich bezeuget / so erschrecklich und dick waren / das mans greiffen konnte / und niemand den andern sahe / noch aufstund von dem Orth / da er war / in 3. Tägen / so lang sie gedaurt haben.68

Es ist zwar die Finsternuß der Unwissenheit und des Unverstands an allen Menschen / doch absonderlich an denen Vorstehern und Obrigkeiten sehr schädlich und schändlich / gleichwie[87] wie es der Welt viel schädlicher ist / und wann die Sonn / als wann nur ein Stern verfinstert wird.69

Die alte Heyden haben die Klugkeit oder Wissenschafft unter den guten Dingen für das allerbeste und edliste gehalten / den Unverstand und Unwissenheit aber für das ärgste unter den schlimmen Dingen. Unicum bonum est scientia, contra ignorantia unicum malum, sagte der Weltweise Socrates. Dieses hatte vor Zeiten wohl erkennt ein gewiser adelicher / reich und weiser Herr / der einen Sohn hatte / welcher mit dicker Finsternuß der Unwissenheit behafftet / und ein lauterer Idiot ware. Der Vatter führte ihne deßwegen zu dem Delphischen Oraculum Apollinis, und fragte um Rath / wie doch seinem unverständigen Sohn zu helffen wäre? das Oraculum gabe ihme zur Antwort /er solle ihn dem Silentio dem Stillschweigen widmen / und aufopfferen / dann das Stillschweigen seye das eintzige Mittel seinen unverständigen Sohn für gescheid zu verkauffen. Ja wann der Teufel / so sonst ein Vatter der Lugen ist / jemahl die Wahrheit geredt hat / so hat er es dißmahl gethan. Dann etiam stultus, si tacuerit, sapiens reputabitur.70 Auch ein Narr /wann er stillschweiget / wird für weiß gehalten. Aber es thun diß Mittel die Unverständige manches mahl nicht in Obacht nehmen / indem sie gemeiniglich zu erst und am meisten das Maul brauchen / und seynd die Geschwätzigiste / mithin aber sich selber verrathen und zu schanden machen.

Der H. Geist gibt selber den Unterschied zwischen einem Weisen und Thoren / da er sagt: Oculi sapientis in capite ejus, stultus autem in tenebris ambulant.71 Die Augen eines Weisen stehen in seinem Haupt / ein Narr aber gehet in der Finsternus. Und wiederum: Ich sahe die Weißheit / die übertraff die Thorheit als wie das Liecht die Finsternuß. Weilen nehmlich gleichwie einer / so in der Finstere umdappet / nicht weiß / wo er daran ist / bald da und bald dort anstosset / oder in eine Gruben fallt /also ein Unverständiger Mensch weist offt selber nicht / was er redet er irret sich da und dort / er fallt und fehlet gröblich in seinen Reden. Disem allem stimmt der Prophet Jeremias bey / indem er sagt: Erraverunt cæci in plateis.72 Die Blinde / das ist / die Thorrechte Sünder / seynd irrgangen auf der Gassen. Daß man in einem weitem Feld oder dicken Wald irrgehe / ist sich so viel nicht zu verwunderen / aber auf der ordentlichen Gassen / allwo der Zulauf des Volcks ist / irr gehen / ist gar weit gefehlt: und also gehen irr die thorrechte und Unverständige / sie fehlen mit ihrem Urthel nicht nur in grossen schweren Sachen und Erkantnuß hoher Dingen / sondern auch in geringen und gemeinen / die sie gar leicht konnten und sollten wissen und verstehen / absonderlich in der Materi oder in Sachen / die das Göttliche Gesatz und der Seelen Heyl betreffen. O wohl ein höchst-schädlich u. schändliche Finsternuß des Verstands ist dises! mit dieser seynd absonderlich behafftet die Ketzer und Irrglaubige / welche dem Liecht der Wahrheit die Augen ihres Verstands nicht eröffnen wollen / und bey hellem Sonnenschein nicht sehen.

Es kan aber durch die Finsternuß auch noch die Demuth verstanden werden: inmassen gleichwie man einen Schatz oder Kleinod will sicher und verborgen haben / daß es nicht einem jeden unter die Augen komme / da thut man selbiges an einem finstern Orth in Geheim bewahren / also thun die Gerechte ihre geistliche Schätz / ich verstehe ihre Tugenden und gute Werck aus Demuth vor den Augen der Menschen verborgen und geheim halten / auf daß sie derselben durch die eitle Ehr nicht beraubt werden.73 Eben der Ursachen halten sie sich auch selber gern still und einsam / sie erscheinen ohne Noth nicht viel vor denen Leuthen / und werden vor der Welt für einfältig und verächtlich gehalten / aber eben darum seynd sie mit dem Liecht der wahren Weißheit begabt / und werden zu gelegener Zeit aus der Finstere herfür gezogen werden / und auf einen Leuchter / zu Ehren / gesetzt / auf daß sie allen leuchten / die in dem / das ist /in der Kirchen GOttes seynd.74[88]

Fußnoten

1 Gen. c. 1. v. 10.


2 Die Beschaffenheit des Meers.


3 Bewegung deß Meers und woher sie komme.


4 Eccli. c. 43. v. 26.


5 Das Meer ist sehr gefährlich und beschwehrlich zu schiffen.


6 Indisch- und Sine sischer Lust- und Staats-Garten. fol. 1397.


7 Maria wird mit dem Meer verglichen.


8 Eccli. c. 1. v. 7.


9 Gen. c. 1. v. 2.


10 Luc. c. 1. v. 35.


11 Seltzames Graß und Blumen-Meer auf die Mutter GOttes applicirt.


12 Indisch- und Sinesischer Lust- und Staats-Garten. fol. 67.


13 Isaiæ c. II. V. 1.


14 Apoc. c. 15. v. 2.


15 Die Schmertzen Mariä seynd gleich dem Meer. Thren. c. 2. v. 13.


16 Tom. 3. Serm. 6.


17 Die Welt wird mit dem Meer verglichen.


18 Isaiæ c. 52. v. 20.


19 Psal. 68. v. 3.


20 Job. C. 14. v. 1.


21 Scylla und Charybdis was sie seyen.


22 Meer-Strudel bey Norwegen.


23 Wird applicirt.


24 Wunderbarliche und bezühmte See.


25 Zeitliche Güther und Wollüst werden mit einem See verglichen.


26 Stehendes See-Wasser ist ein Sinnbild des Geitzes.


27 Cola Pesce der verwunderliche Wassermann.

Historia aus dem Indisch- und Sinesischen Lust und Staats-Garten gezogen.


28 Psal. 68. v. 2.


29 Das Liecht ist sehr schön fürtrefflich und nothwendig in der Welt.


30 Eccli. c. 11. V. 7.


31 Joan. c. 3. v. 20.


32 Tobiæ c. 5. v. 12.


33 Joan. c. 8. v. 12.


34 Der Sohn GOttes ist ein sittliches Liecht der Welt / das wird vielfältig erwiesen.


35 Malach. c. 3. v. 6.


36 Sap. c. 7. v. 26.


37 Marei. c. 15. v. 28.


38 Vier absonderliche Eigenschafften oder Fürtrefflichkeiten des Liechts werden Christs applicirt.


39 Eccli. c. 24. v. 5.


40 Psal. 18. v. 6.


41 Psal. 44. v. 3.


42 Joann. c. 1. v. 3.


43 1. Cor. c. 4.


44 Was dann Christus für ein Liecht seye?

Exodi c. 13. v. 21.


45 Joan. c. 14. v. 6.


46 Die Vernunfft und Weißheit wird durch das Liecht beditten.


47 Matth. c. 5. v. 16.


48 Eccli. c. 6. v. 18.


49 Was der Schatten seye?


50 Das sterbliche Leben wird durch den Schatten angezeigt.

Psal. 101. v. 12.


51 Job. c. 8. v. 9.


52 Der Schatten wird hoch geschätzt.


53 Psal. 16. v. 6.


54 Schatten des Creutzes was er seye.


55 Der Rauch der Andacht der Reu und Buß ist nutzlieblich und kräfftig.

Apoc. c. 8. v. 4.


56 Tobiæ c. 6. v. 8.


57 Eitelkeit / zeitliches Glück und Menschen Gunst ist ein leerer schädlicher Rauch.


58 Psal. 36. v. 20.


59 Apoc. c. 9. v. 2.


60 Das Hoff-Danck ist schlecht.


61 Irrthum und Unwißenheit ist ein Finsternuß des Verstands.


62 Joann. c. 12. v. 35.


63 Die Finsternuß der Sünd ist sehr schädlich.


64 Prov. c. 4. v. 19.


65 Psal. 13. v. 5.


66 Jerem. c. 6. v. 15.


67 Joan. c. 9. v. 4.


68 Exodi c. 10. v. 22.


69 Die Wissenschaft ist ein grosses Gut und die Unwissenheit ein grosses Ubel.


70 Prov. c. 17. v. 28.


71 Eccli. c. 2. v. 14. & 13.


72 Thren. c. 4. v. 14.


73 Demuth wird durch die Finsternus beditten.


74 Matth. c. 5. v. 15.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738.
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