Der 4. Absatz.

Von dem Rebstock / oder den Weinreben.

[614] Der Rebstock oder die Weinreben ist eines aus den edlist- und fürnehmsten[614] Gewächsen des gantzen Erdbodens / und der Wein / so aus desselbenTrauben gepreßt wird / ist der beste und kräfftigste Safft / aus allen Liquoribus oder flüßigen Dingen.29 Deßwegen sich nit zu verwunderen ist / daß der Rebstock so vil Müh und Arbeit erforderet / biß daß seine Früchten /das ist die Weintrauben / zu ihrer Perfection oder vollkommenen Zeitigung gelangen. Es wird zwar der Weinstock in unterschidlichen Ländern auf unterschidliche Art gebaut und gepflantzet (wie er dann auch in mancherley Orten auf mancherley Weiß aufwachset / höher oder niderer / dicker oder dinner / früher oder später) er vermehret sich selbsten starck /und macht tieffe Wurtzlen / deßwegen er auch die Hitz wohl leiden mag / wie es dann auch in den hitzigen Ländern / als Italien / Ungarn / Franckreich / Spanien / die beste und stärckiste Wein gibt / andere Reich und Land ausser Europa zu geschweigen / in kalten Ländern hingegen wachsen vil schwäch- und schlechtere / ja mehrentheils saure Wein. Die Arbeit /so man hie zu Land auf die Weinreben anwenden muß / ist vilfältig und unterschidlich: sie müssen erstlich eingelegt / hernach zu seiner Zeit gedunget / beschnitten / gehefft oder gebunden werden / man muß um sie herum graben / einem jeden Rebstock sein besoderen Dinnen-Pfal oder Stecken geden / um den er sich wenden / und daran aufwachsen thue / man muß sie auch ausbrechen / oder die überflüßige Zweig und Blätter abnehmen / es heist da wohl: Absque labore nihil. Es kost der Müh und Arbeit vil / wann man was gutes haben will.

Es hat auch kein Gewächs schier das gantze Jahr hindurch mehr Gefahren auszustehen als die Weinreben: dann wann die Kälte im Winter gar groß ist / so erfrühren sie / und wann die Trückne im Sommer gar zu starck ist / so verdorren sie: von dem Reiffen werden sie verbrennt / und von dem Schaur oder Hagel werden sie auch zu grund gericht / von der Fäule angesteckt / und von Würmlein zerfressen. Wann sie aber all dise Gefahren überstanden haben / und ihnen wohl ist gepflegt werden / und auch der Boden gut ist / alsdann bringen sie häuffige süsse Früchten / (und respectivè auf ihre kleine mehr als ein Baum) nemlich die süsse Trauben / und dise geben häuffig den edlen Safft / von welchem ein so manches gutes Glaß Wein eingeschenckt / und der Mensch darmit ergötzt wird.

Auch die Blüh des Weinstocks ist fürtrefflich / sie hat die Krafft die Schlangen und andere gifftige Thier zu vertreiben / es können dieselbe sie nit erdulden.

Der / so die erste Weinreben gepflantzt hat / und zuerst die Trauben aushepreßt / ist der Patriarch Noe gewesen / nach dem allgemeinē Sünd-Fluß / nach Zeugnuß der H. Schrifft. Forthin aber haben sich unterschidliche gottseelige und vortreffliche Männer um den Reb-Bau angenommen / und Weinberg oder Gärten gepflantzt / schon in dem alten Testament / als wie Josias / David etc. doch ist insgemein befunden worden / daß die Reben / so auf einem Gebürg gepflantzet werden / mehr gut gethan haben / als die auf der Fläche.30 Vineæ meliores æstimantur collimæ, schreibt Varro lib. 1 c. 8. Wein die auf den Bergen wachsen seynd die bessere. Und Palladius lib. 2. c. 6. campi largius vinum, colles nobilius ferunt: auf dem flachen Land / oder in der nidere wachst vil Wein /aber in der Höh der bessere. Es thut zwar die Güte eines Reb-Gartens auch vil beytragen / daß er gegen Aufgang der Sonnen gepflantzt seye / und den grösten Theil des Tags den Sonnenschein geniesse.

Es ist gewißlich der Rebstock ein sonderbare Gab der göttlichen Freygebigkeit und Fürsichtigkeit / einigen Ländern mitgetheilt / anderen aber entzogen / und mit etwas anders ersetzt.31 In den Mitternächtigen kalten Landschafften / als Polen / Schweden / Dennemarck etc. wachst schier gar kein Wein / hingegen in anderen gegen Mittag gelegnen Provinzen seynd die Weinreben so[615] häuffig und groß / daß sich zu verwundern ist. Strabo und andere schreiben / daß es in etwelchen Landschafften so groß und dicke Weinstöck gebe / daß ein Mann mit beyden Armen selbe nit umfassen könne / und daß die daranhangende Trauben biß 2. Elen lang / die Beer aber schier so groß als die Hennen-Ayer seyen. Wen dises zu vil geredt geduncket / den weise ich an die H. Schrifft / in welcher gemeld wird / daß der Israelitische Heerführer / der Moyses / einige Kundschaffter in das gelobte Land voran geschickt habe / desselbē Fruchtbarkeit zu verkundschafften / da haben ihre 2. Männer ein Reb-Zweig / samt einem eintzigen daran hangenden Trauben abgeschnitten / und an einer Stangen über die Achsel getragen / um zu zeigen / was in selbem Land für Früchten wachsen / ihrem Volck zuruck gebracht.32 Wann nun 2. gewachsene Männer an einem Trauben zu tragen gehabt haben / so muß auch das obgemeldte von den groß- und dicken Rebstöcken nit unglaublich scheinen / dann aus den Früchten erkennt man den Baum.

Durch den Rebstock wird uns füglich der Mensch angedeutet und vorgestelt / als welcher auch ein sehr edles und fürtreffliches Geschöpf ist / aber fleißig durch gutteAufferziehung muß gepflantzet werden /sehr vil Müh und Sorg kostet / biß er wachset / und zu einer solchen Vollkommenheit gelangt / daß er würcklich die erwünschte Früchten tragt.33

Es hat zwar der seelige Bonfilius, des Ordens der Serviten / in seinem Garten an dem Fest Mariä Verkündigung einstens einen Rebstock gepflantzet / welcher von Stund an unverzüglich Geschoß oder Zweig bekommen / geblühet / und zugleich einen zeitigen süssen Trauben getragen hat. Aber dises ware etwas extraordinari, es ware ein Wunderwerck / durch welches GOTT die Wahrheit des Geheimnuß selbigen Tags hat wollen anzeigen. Sonsten aber und insgemein geht es langsam her / biß ein neugepflantzter Rebstock Trauben tragt. Noch länger geht es her /noch mehr Fleiß und Müh braucht es / biß ein Mensch / wann er auf die Welt kommt / Früchten tragt / das ist / biß er etwas Gutes würcken und nutzen kan. Er wird gantz unkräfftig / unwissend / und zu allem Guten untauglich gebohren / deßwegen er mühsam muß unterrichtet und angewisen werden /was wie es zu thun oder zu lassen seye.

Es soll erstlich diser sittliche Rebstock / der Mensch nach und nach / je länger je tieffer einwurtzlen / das ist / in der Tugend und anstädiger Wissenschafft gegründet werden / hernach sich ausstrecken oder ausbreiten durch die Vermehrung der guten Wercken: er mus gedunget werden durch die Demuth / beschnitten durch die Mortification oder Abtödtung der bösen Gelüsten / und gebunden mit dem göttlichen Gesatz / mit dem Gebott GOttes. Der Weinstock muß sich halten an einen Pfal / Baum oder Stecken an dem er aufwachse / sonst wird er nur auf dem Bodenligen /und seine Früchten / die Trauben / verfaulen: also muß auch der sittliche Weinstock / die Christliche Seel sich aufrichten oder aufrecht halten an dem Baum oder Stab des H. Creutz / und in Krafft des gecreutzigten Heylands / sonst werden seine Früchten /seine Werck nur auf der Erden herum ligen / das ist /nur irrdisch seyn. Endlichen muß man ihm auch die überflüßige Zweig und Bllätter / ich will sagen / die allzugrosse Wollüst und Kommlichkeiten benehmen und abbrechen. Wann nun dises alles geschiht / alsdann tragt er häuffige Frücht der Tugenden. Unterdessen aber hat der sittliche Rebstock nit weniger Gefahren auszustehen als der natürliche. Es schadet ihm sowohl die Kälte der Trägheit / als die Hitz der bösen Begirden / es verbrennt ihn der Reiffen des Geitz / der scharffe Wind der Hoffart / und der Hagel des Zornmuths: es wird angesteckt von der Fäule der Sünden /und dann folgends von dem Wurm des bösen Gewissens zernagen etc.[616]

Es werden die Wein-Reben von etlichen in unterschiedlicher Form oder gestalt gezüglet: Es ist erstlich vitis arbusta der Baum Reb-Stock / den man an einem Baum hinauff leitet / wie es in Italien vilfältig geschicht: hernach vitis pergulana, das ist / Hütten /oder Bogen Reb-Stock: wie man es in den Gärten oder bey den Häuseren pflegt: oder vitis compluviata, Wein-Reben die sich in die Weite und Breite ausstrecken: wiederum vitis jugata, canteriata Wein-Reben / die mit Zwerch Stangen geleitet werden / wie ein Galerie oder ein Gang: und endlich vitis pedata, statumiata aufgepeltzter Wein-Stock / und daß ist hey uns die gemeine Art: und wie man es von Anfang züglet also wachsen sie fort. Auch die sittliche Reb-Stöck das ist / die Menschen werden gar unterschiedlich auferzogen / der eine geistlich- der andere weltlicher Weiß: der eine Herrisch / der ander Bäurisch: der eine Burgerlich / der ander Soldatisch: der eine heickel und zartlich / der ander rauch und härtiglich: und wie man sie von Anfang gewöhnt also treiben sie es gemeiniglich fort.

Ferners der Reb-Stock thut sich von Natur gern vermehren / ausbreiten und die benachbarte Gewächs ergreiffen / sich daran hencken und einwicklen daß man es nicht mehr wohl darvon kan loßmachen.

Auch vil Menschen absonderlich die Reiche und Mächtige / als politische Reb-Stöck haben diese Art an sich / daß sie sich gar zu weit ausbreiten und immerdar in dem Reichthum / in der Macht und dem Ansehen wachsen wollen: sie hencken sich an und flechten sich ein / an den benachbarten Gewächsen oder Bäumlein / das ist / an fremden Güter und Habschafften mit denen verwicklen sie sich also / daß man es mit keinem Lieb mehr kan auseinander klauben und von einander bringen.

Wann es Zeit ist die übrige Zweig und Blätter auszubrechen / da nimt man nicht die innere die dem Reb-Stock zu nächst seynd / sondern nur die äusere die am weitisten darvon seynd / die der Reb-Stock am besten manglen kan. Also solt es auch im politischen Weesen hergehn / wann man die Reben / die Unterthanen ablauben / stutzen / und scheren will / oder muß / das ist / eine nothwendige Contribution eintreiben / da soll man gleichwohl nur die äussere Blätter /oder Güter / so vil als sie manglen können / abnehmen / das nothwendige aber stehen lassen / nicht biß auf das Innerste greiffen / oder ihnen das Marckt aussaugen / wie es vor schon längsten gemacht haben /jene Ungerricht- und Unbarmhertzige Richter welchen der Prophet Michæas vorgeworffen hat: Violenter tollitis pelles eorum desuper eis, & carnem eorum desuper ossibus etc. Ihr schneidet ihnen gewaltiglich das Fleisch von ihren Beinen / und fresset das Fleisch meines Volcks.

Wann man die Reben im Frühling beschneidt / so pflegen sie Tropffen-Weiß einen Safft von sich zu lassen / und daß heissen die Reb-Leuth das Weinen der Reben / und dieses Weinen thut ihnen wohl / dann es nimbt die überfließige Feuchtigkeiten hinweg. Aber wann ein unmilde Herrschafft / oder Geldhungeriger Beambter die Reb-Stöck / die Unterthanen nicht nur im Frühling sondern das Jahr hindurch zum öffteren beschneidt und stutzet / da benimt man ihnen nicht nur die äusere und übrige Zweig und Blätter / das ist /die Mittel die sie manglen kunten / sondern auch die innere und nothwendige / es thun diese Reben zwar auch weinen und klagen / aber es thut ihnen nicht wohl / als wie den Reben / es nimt ihnen nicht nur die überflüßige Feuchtigkeiten / sondern sie werden gäntzlich ausgepreßt und verdorren.

Aber der aller edliste und ohnvergleichlich-fürtrefliche Reb- oder Wein-Stock in sittlichem Verstand ist Christus der HErr selbsten: massen er sich würdiget mit einem solchen zu vergleichen in dem Evangelio zu seinen Jüngeren sprechend: Ego sum vitis & vos palmites.34 Ich bin der Wein Stock /[617] ihr seyd die Reben. Er kan billichist von ihm selber sagen: Ego quasi vitis fructivicavi suavitatem odoris, & flores fructus mei fructus honoris & honestatis.35 Ich bin mit Früchten und süssen Geruch der Heiligkeit und Volkommenheit lieblich anferwachsen und die Früchten die an mir hangen seynd voller Ehr und Reichthum / nemlich der unendlichen Verdiensten. Dieser Reb-Stock hat jenen kostbaren Wein uns geben / welcher unter der Trotten oder Kälter des schweren Creutzes ist augepreßt worden / das ist / das allerheiligste Blut den theuren Werth unserer Erlösung. Aber wohl zu mercken ist / was er beygesetzt hat: wir seyen seine Reb-Zweig: und daß gleichwie das Reb-Zweig von sich selber kein Frucht tragen kan / wann es nicht mit dem Reb-Stock vereiniget bleibet / also auch wir / wann wir nicht in und mit ihme /durch die Lieb und Gnad verbunden oder vereiniget bleiben / so werden wir als wie ein verdorbnes Reb-Zweig hingeworffen / verdorren / und verbrennt werden etc. massen ein abgehauens Reb-Zweig zu nichts anders als zu dem Feur tauglich ist.

Wann vil ordentlich-gepflantzte Reb-Stöck beysammen stehen / da wird es ein Reb-Garten oder Wein-Berg genannt.36 In sittlichem Verstand aber ist die Christ-Catholische Kirch ein Wein-Garten / in welcher eben so vil Reb- und Wein-Stöck als Christ-Glaubige zu zehlen seynd. Diesen Wein-Garten hat der Sohn GOttes gar mühesam gepflantzet durch sich und seine Apostel mit Lehren und Predigen mit Wort-und Wercken: er hat ihn umgeben oder eingeschränckt mit seinem Heil. Gesatz mit den 10. Gebotten: er hat ihn angefeuchtet und fruchtbar gemacht mit seinem eignen Blut: er hat auch in Mitte desselben einen Wacht-Thurn zur Beschützung desselben aufgericht /das ist / ein sichtbarliches Haupt zum Stadthalter und Regenten bestelt etc. Also daß er wohl sagen kan: Was hätt ich meinem Wein-Garten mehr können und sollen thun / was ich nicht gethan hab? und dannoch muß er sich öffters beklagen / daß vil Reb-Stöck dieses Wein-Gartens das ist / vil Catholische Christen ihm an statt der guten und süssen Trauben / nur wilde und herbe Trauben tragen / das ist / an statt der gut-und Tugenden / böß- und sündige Werck.

Ich hab gemeldt daß diejenige Wein-Gärten die beste seyen / welche in der Höhe / und wohl an der Sonnen liegen. Ein solcher Wein-Garten ist die Catholische Kirch / welche nach Zeugnuß Christi fundata est supra petram gegründet auf einen Felsen /und unabläßlich von der Göttlichen Gnaden-Sonne beschinen / erleuchtet und erwärmet wird. In disen Wein-Garten hat der himmlische Hauß-Vatter seine Arbeiter die Christ-Glaubige / zu unterschidlichen Tags-Stund / das ist / in unterschidlichem Lebens-Alter in Volziehung des Göttlichen Gesatzes zu arbeiten / beruffen.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 614-618.
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