Der 8. Absatz.

Von dem Graß und Heu.

[635] Das Graß wird zwar insgemein nicht vil geachtet /von Menschen / und Thieren unachtsamer Weiß mit Füssen getretten: doch ist es ein sondere Zierd des Erd-Bodens dessen es einen grossen Theil occupirt /und einnimbt: es bedecket die Wiesen und Felder / die Berg und Thal / es gibt ihnen ein Ansehen / und erlustiget die Augen der Menschen nicht wenig.94 Aber es hat ein kurtzes Dauren / es bleibt nicht lang in seiner annemlichen Grüne / dann weilen es keine tieffe Wurtzlen hat / so kan es die Sonnen-Hitz nicht lang ertragen: absonderlich wann es auf dürren Hüglen /und Bergen / steht / wo es keine Nässe / oder Feuchtigkeit hat.

Wann aber der Mader mit der Sensen darüber kommt / und es abmähet: da ist es gar gleich darum geschehen / in etlich wenig Stunden ist all sein Schönheit hin: was am Morgen in der Frühe annemlich grünte / und ein Augen-Lust war / das ist am Abend schon ein lauters trockenes / und dürres Heu /daß alle Schönheit verlohren hat.

Es kan deßwegen billig das menschliche Leben mit dem Graß / und Heu verglichen werden / als welches auch in der Jugend schön grünet und annemlich blühet / man verliebt sich darein / man belustiget sich darbey / aber weil der Mensch gar schwach / und baufällig ist / weilen er von unterschidlichen Zufällen /Kranckheiten und Anliegen beunruhiget / belästiget /und überfallen wird / so kan er nicht lang bey seinen Kräfften / und bey seiner Schönheit dauren / sondern es nimbt gar bald alles wiederum ab.95

Ja es kommt gehling der Schnitter / der Tod mit seiner Sichel / oder Sensen daher / und offt frühezeitig / und mähet das schöne grüne Graß unversehens ab /er schneidt den Menschen den Lebens-Faden ab: da verwelcket er / als wie das Graß / er verdorret / als wie ein Heu / und die schön-weiß- und rothe Wangen werden also bald in ein bleiche Todten-Farb verstaltet / wie es unter andern der Heil. Franciscus Borgias, als noch ein vornehmer Hof-Herr bey Kayser Carolo dem fünfften / an dem so häßlich-verstalteten Todten-Cörper / der bey Lebs-Zeiten wunder schönen Kayserin Isabella gar wohl beobachtet / und tief zu Gemüth geführet hat / auch deßwegen sich entschlossen in dem geistlichen Stand GOTT allein zu dienen.

Dieses ist was schon vor längsten der Prophet Isaias gesprochen hat. Omnis caro fœnum, & omnis gloria ejus,quasi flos agri.96 Alles Fleisch ist graß /und all sein Herrlichkeit / wie ein Feld-Blum / das Graß ist verdorret / und die Blum ist abgefallen. Bey der Wahrheit das Volck ist Graß / das Graß ist verdorret / und die Blum ist abgefallen. deßgleichen sagt auch der weise Syrach: [635] omnis caro sicut fœnum veterascet, & sicut folium fructificans in arbore viridi: Alles Fleisch wird wie Graß veralten / als wie die schöne Blätter auf einem Baum.

Eben der Ursachen kan auch das zeitliche Glück /und Wohlfahrt in alle zergängliche Freuden / und Ehren billich mit dem Heu / und Graß verglichen werden / als welche so gar kein Bestand haben / und kürtzlich dauren / indeme vil unzahlbare Menschen /welche in der Jugend ein Zeitlang an Güter / und Ehren geblüht / oder gegrünet haben als wie das schöne Graß / gehling in dem Alter / oder auch noch vor verwelcket / und verdorret seynd / als wie ein Heu /das ist / armseelig / und verächtlich worden.97 Dann Fortuna hujus mundi nihil habet stabile, nihil firmum, sagt neben andern der Heil. Chrisostomus, das Glück diser Welt hat nichts beständiges / und nichts dauerhafftes / wie es auch der Poët mit folgenden Versen anzeuget.


Passibus ambiguis fortuna volubilis errat

Et manet in nullo certa tenaxque loco,

Sed modo læta manet, vultus modò sumit acerbos,

Et tantùm constans in levitate suâ est.


Unbeständig / ist des Gelücks sein Sinn

Bald ist es da / bald weichts dort hin:

Jetzt gibts eim was / jetzt nimbts es wieder /

Bald hebts ein auf / bald wirffts ihn nieder.


Crescit, decrescit, in eodem sistere nescit.


Bald nimbt es zu / bald nimbt es ab /

Und zeugt daß es kein dauren hab.


Deßwegen hat wohl recht gethan jener kluge Mann / der einem Glücks-Kind / welchem ein Zeit lang alles nach Wunsch und Willen gangen ist / unter anderen ein grossen starcken eisenen Nagel verehrt hat: und als sich dieser verwunderte / und befragte / was es bedeute / was er mit dem Nagel thun soll / widersetzte jener / er sehe wohl / daß er alles genug habe / und ihm nichts abgehe / als ein starcker Nagel / das unbeständige Glücks-Rad darmit zu befestigen / auf daß es sich nicht umwende / und an statt des grossen Glücks / vil Unglück ihm über den Halß komme. Der diß nicht glauben will / oder nicht selbst erfahren hat / der lasse nur seine Augen ein wenig auf die grosse Schau-Bühne dieser Welt auslauffen / da wird er also bald sehen / wie daß die Fortuna die vermeynte betrügliche Glücks-Göttin / mit ihren Schooß-Kinderen ein so erbärmliches Spiel treibe / und selbe offt gar unversehens von dem Giepffel der Ehren / und Wohlfahrt / in die Tiefe der Armseeligkeit / und Verachtung herab stürtze: wie es wohl bekennt / und reiflich erwogen hat der Weltweise Seneca, da er gesprochen /


O Regnorum nimis fallax

Fortuna bonîs, in præcipiti,

Dubioque nimis excelsa locas.


Das ist so vil gesagt.


O falsches Glück / du hast vil Tück

Und pflegst die Welt z' betrügen /

Wen du wilst stürtzen jämmerlich /

Den machst in die Höhe fliegen.

Dein Schmeichlen sehr betrüglich ist /

Mit Gifft gar starck vermischet:

Ehr / Reichthumb / Macht / was herrlich ist /

vergeht bald und entwischet.
[636]

Fußnoten

1 Grosse Fruchtbarkeit der Erden.


2 Gen. c. 1. v. 11.


3 Geistliche Frucht des Hertzens.


4 ad Gal. c. 5.


5 Cant. c. 2. v. 3. Prov.


6 Das Korn ist die allerbeste und nothwendigste Frucht.


7 Genes. c. 41. v. 47.


8 Die geitzige Korn-Juden werden gestrafft.


9 Geschichten des gestrafftett Geitz.


10 Jac. c. 2. v. 13.


11 Geschicht verwunderlicher Sanfftmuth.


12 Hoffnung des Belohnung macht Arbeit ring.


13 Ps. c. 127. v. 2.


14 Ps. 125. v. 7.


15 Des Korns Brschaffenheit und Fruchtbarkeit.


16 Die heilige Schrifft und Christenheit mit dem Korn verglichen.


17 Das Brod ist ein allgemeine Speiß / aber unterschiedlich.


18 Abgang des Brods wird wunderthätig ersetzt.

Geschicht.


19 Das Brod soll man nit müßig essen.


20 Gen. c. 3. v. 19.


21 Sittliches Brod der Seelen ist unterschidlich.


22 Schändlich und übelriechendes Brod seynd die zeitliche Güter.


23 Isa. c. 29. v. 8.


24 Unterschidliches Brod aus unterschidlichen Erd-Früchten.


25 Die heilige Schrifft mit unterschidlichem Brod verglichen.


26 Das Brod soll niemand verleiden.


27 Zwiblen / Knoblauch und Rettich wie sie beschaffen / und was sie bedeuten.


28 Marc. c. 16. v. 18.


29 Die Weinreben seynd ein edles Gewächs / aber mühsam zu bauen.


30 Gen. c. 9. v. 20.


31 Der Weinwachs ist unterschidlich.


32 Num. c. 3. v. 22. & 40.


33 Der Mensch wird mit einem Rebstock verglichen in vil Stucken.


34 Christus der HErr ist ein geistlicher Reb-Stock.

Joan. 15. v. 5.


35 Eccli. c. 24. v. 23.


36 Die Catholische Kirch ist ein sittlicher Wein-Garten.


37 Der Wein / dessen Güte und Menge ist ungleich.


38 Indisch- und Sinesischer Lust- und Staats-Garten.

F. 820.


39 Nutzen und Furtrefflichkeit des Weins wird gerühmt.


40 1. Tim. c. 5.


41 Der Wein bedeutet die Lieb.


42 Manual. c. 24.


43 Bern. ser. 14.


44 Opusc. de dilig. Deo.


45 Gen. c. 31. 9. 40.


46 Geschicht.


47 Die unmäßige Lieb verblendet.


48 Eccli. c. 19. v. 2.


49 Unterschidliches Getränck.


50 Falsche Politic und Freundschafft ist gleich einem angemachten Wein.


51 Aufrichtige Lieb und Freund seynd rahr.


52 In c. 2. Math.


53 Euccli. c. 25.


54 Die Trunckenheit ist ein gar gemeines Laster.


55 Vilfältiger Schaden der Trunkenheit.


56 Eccli. c. 31. v. 39. & 40.


57 Ibidem v. 35. & 36.


58 Prov. c. 23. v. 32.


59 Ephes. c. 5. v. 18.


60 In Psal. 125.


61 Ad sacras virg.


62 In quod. serm.

Idem lib. de pœnit.


63 Seneca Ep. 85.


64 Trunckenheit wird ferners gestrafft und getadlet.


65 Hom. 9. in gen.


66 Polyanthea v. ebriet. de fol. 365. & seq.


67 Volle Leuth seynd unterschidlich beschaffen.


68 Geschicht.


69 Die Nichterkeit wird recommendirt.


70 1. Cor. c. 6.


71 5. Aug. in quod. serm.


72 Untüchtige Entschuldigung der Saufferen.


73 Des Senffs Art und Eigenschafft.


74 Die Buß mit dem Senff verglichen.


75 Matth. c. 13. v. 31.

Christus der HErr ist gleich einem Senff-Körnlein.


76 Wie der Pfeffer beschaffen seye.


77 Auch kleine Sachen thun viel machen / und seynd nicht zu verachten.


78 Geschichten.

Ubel sehen / macht übel fingen.


79 Ein kleines Ding / macht grosse Sprüng.


80 Mühesame Zubereitung des Hanff- und Flachses.


81 Die Leinwat ist vilfältig und unterschidlich.


82 Groß- und vilfältiger Nutzen der Leinwat.


83 Mißbrauch der Leinwat wird getadlet.


84 Prov. c. 31. v. 13. & 9.


85 Luc. c. 16. v. 19.


86 Weisse Leinwat wird von dem Himmel hochgeschätzt.


87 Apoc. c. 19. v. 7. & 8.


88 Das Gewissen wird einer Leinwat verglichen.


89 Isaiæ c. 1. v. 16.


90 Papier aus Leinwat gemacht / thut grosse Dienst.


91 Grosse Menge des Papiers.


92 Papier machen braucht vil Mühe und Arbeit.


93 Das Papier und die Leinwat bedeutet einen Gedultigen.


94 Das Graß ist schön / aber nicht dauerhafft.


95 Das menschliche Leben mit dem Graß / und Heu verglichen.


96 Jsa. c. 40. v. 6.


97 Zeitliches Glück ist gleich dem Heu / und Graß.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738.
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