Fünfzehnte Szene


[358] Henriette – Adolph.


ADOLPH steckt den Kopf herein. Nun, habe ich Wort gehalten?

HENRIETTE steht auf. Herr Graf![358]

ADOLPH. Drei Tage, drei lange Tage bin ich ausgeblieben, weil ich selbst vor Ihren Grillen Ehrfurcht hege.

HENRIETTE. Sie kommen vermutlich wegen der Weste?

ADOLPH. Wegen der Weste? Nein, wahrhaftig nicht! Ich komme, Sie zu sehen, zu hören, zu lieben, zu bewundern, und alle Westen von ganz Europa sind mir gleichgültig.

HENRIETTE. Wie oft habe ich Sie gebeten, diesen Ton zu ändern?

ADOLPH. Es ist aber mein natürlicher Waldgesang. Soll der Fink eine Arie von Salieri trillern?

HENRIETTE. Die Weste, die Sie bei mir bestellt haben, ist fertig.

ADOLPH. So? Das ist mir nicht lieb.

HENRIETTE. Sie schienen doch neulich –

ADOLPH. Ja, ja, ich stellte mich ungeduldig, um oft nachfragen zu dürfen.

HENRIETTE. Hier ist sie.

ADOLPH. Schön! sehr schön! Und vermutlich wieder um ein Spottgeld?

HENRIETTE. Drei Dukaten.

ADOLPH. Dacht ichs doch!


Nimmt unvermerkt eine Hand voll Gold aus der Tasche, und schiebt sie unter ihre Arbeit.


HENRIETTE wird es gewahr. Nein durchaus nicht! Sie wissen, Herr Graf, Sie wissen es schon lange, daß ich nicht mehr annehme, als ich verdiene.

ADOLPH. Als Sie verdienen? O wer wäre wohl reich genug, Ihnen soviel anzubieten?

HENRIETTE. Nehmen Sie zurück!

ADOLPH. Nein, ich tue es nicht!

HENRIETTE. Ich bitte Sie!

ADOLPH. Durchaus nicht!

HENRIETTE. So lasse ich den ersten, besten Bettler heraufkommen, und schenke ihm das Geld.

ADOLPH. Heraufkommen? Jetzt gleich?

HENRIETTE. Auf der Stelle!

ADOLPH. Und wollten mir das seltne Glück rauben, mit Ihnen allein zu sein? Nein, da wollen wir es dem Bettler bequemer machen.


Nimmt das Geld und wirft es zum Fenster hinaus.


HENRIETTE. Was machen Sie?

ADOLPH. Ich werfe das Geld zum Fenster hinaus, um Ihnen zu beweisen, daß es mir nicht einfallen konnte, durch Geld Ihnen eine Verbindlichkeit auflegen zu wollen. Meinen Sie,[359] ich kennte Ihren Wert nicht? Halten Sie mich für fähig, Eigenschaften gegen Geld auf die Waage zu legen? Ihre immer heitere Laune, Ihre Würde im Unglück – Ihre Sittsamkeit, – Ihr Fleiß, – Ihr Edelmut, – Ihre ganze Liebenswürdigkeit –

HENRIETTE. Von allem dem ist ja nicht die Rede!

ADOLPH. Ich bitte um Verzeihung, von allem dem ist recht sehr die Rede.

HENRIETTE. Was werden die Leute auf der Straße denken?

ADOLPH. Kein Mensch wird denken, daß die Dukaten aus dem vierten Stock herausgeflogen sind.

HENRIETTE. Ich getraue mir gar nicht, an das Fenster zu treten.

ADOLPH. Ist dergleichen denn hier etwas Neues? Es gibt hier Leute genug, die ihr Geld wegwerfen, wenn auch nicht immer zum Fenster hinaus.

HENRIETTE. Sie sind ein seltsamer Mensch mit Ihrer Mischung von Güte und Leichtsinn, von Torheit und Vernunft.

ADOLPH. Also halten Sie mich doch auch für ein wenig vernünftig?

HENRIETTE. Ein wenig, ja!

ADOLPH. Mehr verlange ich nicht; denn ich sehe täglich, daß die vielvernünftigen Herren unerträgliche Kreaturen sind.

HENRIETTE. Sie haben die Kraft, sich selbst zu tragen.

ADOLPH. Recht. Sie drehen sich um ihre eigne Axe und nur ein Komet könnte sie aus ihrer Bahn werfen. Sagen Sie mir, liebes, holdes Mädchen; – was nützt es zum Beispiel der Welt, ob Herr X. so glücklich gewesen, die Wurzel eines arabischen Worts zu entdecken, oder Herr Y. die Hieroglyphen von Persepolis zu entziffern? Hätte wohl einer von diesen Herrn seine Beine in Bewegung gesetzt, um Schönheit, Tugend und Verdienst vier Treppen hoch aufzusuchen? Und wenn er auch durch Zufall sich so hoch verstiegen hätte, vielleicht um einen neuen Saturnustrabanten zu entdecken, hätte er wohl Sinn für die Venus gehabt, deren Trabant ich zu sein die Ehre habe?

HENRIETTE. Herr Graf! Nicht wahr, Sie halten mich für ein gescheutes Mädchen?

ADOLPH. Ach ja!

HENRIETTE. Wozu also die Schmeicheleien? Gescheute Frauenzimmer lieben das nicht.[360]

ADOLPH. Halten Sie mir's zugute! Ich schwimme und greife nach jedem Strohhalm. Im Grunde freut es mich, daß Schmeicheleien hier falsche Münze sind. Aber sagen Sie mir nur, wie ich es anfangen soll, Ihnen etwas Teilnahme für mich einzuflößen? Das heißt: etwas viel!

HENRIETTE. Würden Sie das im Ernste wünschen?

ADOLPH. Welche Frage?

HENRIETTE. Dann sind Sie weniger gut, als ich glaubte.

ADOLPH. Gut? Ich bin wahrlich gut! Ich war es immer, und bin noch besser geworden, seitdem ich Sie kenne. Mit aller meiner Lustigkeit, wie Sie mich da sehen, wenn ich des Vormittags bei Ihnen war, so kann ich ernsthaft sein bis auf den Abend.

HENRIETTE. Und was macht Sie ernsthaft?

ADOLPH. Allerlei! Daß ich gern immer bei Ihnen wäre, daß Sie das nicht wollen, vielleicht auch nicht können; daß es mit den Konvenienzen ist, wie mit den Neujahrswünschen, die allen Leuten unerträglich sind, und die man doch anhören und wiederholen muß. Daß das Schicksal oft ärgere Launen hat, als die alten Ägyptier, daß es mitunter Zwiebeln zu Göttern macht, und das wahre Verdienst in den Nilschlamm tritt, mit einem Worte: daß Sie keine Putzmacherin sein sollten, oder ich kein Graf.

HENRIETTE. Es ist nun aber einmal so.

ADOLPH. Leider!

HENRIETTE. Und wenn Sie mir wirklich gut sind, so kommen Sie selten.

ADOLPH. Bin ich denn unbescheiden? zudringlich?

HENRIETTE. Das nicht. Sie sind mehr, weit mehr, als man auf den ersten Anblick vermuten sollte.

ADOLPH. Ja, ja, Sie haben recht!

HENRIETTE. Aber mein Bruder ist selten zu Hause, ich bin meist allein, und – Herr Graf – ich habe nichts, als meinen guten Ruf. Sie können ja auch ernsthaft sein, überlegen Sie das einen Augenblick! Legt ihre Hand auf seinen Arm. Ich habe nichts, als meinen guten Ruf. Mein Bruder ist unglücklich, aber ein Mann von Ehre. Die Ehre ist sein Trost, die Unschuld der meinige. Unser Bewußtsein kann uns freilich niemand rauben; aber die Welt sieht weder durch diese Mauern, noch in unsere Herzen. Kommen Sie selten, lieber Graf, so werde ich mich Ihres Andenkens freuen.

ADOLPH gerührt. Welch ein Ton! Welch ein Herz! warum bin[361] ich nicht, – warum kann ich nicht – Drückt ihre Hand feurig an seine Lippen. Henriette ist bewegt.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 358-362.
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