Sechste Szene


[374] Graf – Adolph – dann Ernestine.


ADOLPH tritt hastig ein. Mein Vater!

GRAF. Was? hat der Teufel dich auch schon wieder da?

ADOLPH. Ich suche Sie überall; ich höre, daß Sie bei der Tante sind, und fliege herüber.

GRAF. Fliege du mit dem Luftballon nach Ägypten!

ERNESTINE kommt. Der Herr Graf haben gerufen; was ist zu Ihrem Befehl?

GRAF verlegen. Ich? gerufen?

ERNESTINE. So schien es mir.

GRAF. Ach ja, ich wollte nur fragen, ob meine Schwester –

ERNESTINE. Soeben ist sie ausgefahren.

GRAF. So, so! Nun weiter wollte ich nichts wissen, mein Kind, gar nichts.

ERNESTINE. Dann gehe ich wieder an meine Arbeit.


Ab.


GRAF. Sage mir nur, du junger Überall und Nirgends! Was willst du von mir? Brauchst du wieder Geld? – Da, da hast du, und nun packe dich fort!

ADOLPH. O diesmal bedarf ich etwas weit Kostbareres, – Ihren Segen.

GRAF. Meinen Segen? In Gottes Namen! Der Himmel segne dich, und gebe dir einst zehn solche Buben, wie du einer bist. Ists nun genug?

ADOLPH. Ich wünsche zu heiraten.

GRAF. Heiraten? Soll mir lieb sein! Soll mir sehr lieb sein! Dann wirst du schon gezwiebelt werden. Nun, wen willst du denn heiraten?

ADOLPH. Die junge Baronesse Stein.[374]

GRAF. Stein? Die kenne ich nicht.

ADOLPH. Sie ist hier gänzlich unbekannt.

GRAF. Das ist schlimm!

ADOLPH. Sie ist sehr arm!

GRAF. Das ist noch schlimmer.

ADOLPH. Ihr Bruder war Lieutenant in kurtrierischen Diensten.

GRAF. Ah! Lieutenant Stein! den kenn' ich so halb und halb.

ADOLPH. Er sucht hier Dienste.

GRAF beiseite. Und wird gesucht.

ADOLPH. Die Familie ist alt und gut.

GRAF. Ich weiß.

ADOLPH. Das Mädchen ist schön, edel, wohl erzogen.

GRAF. Ein Engel, ein Engel! Ich weiß schon.

ADOLPH. Kurz, bester Vater, es ist die hübsche Putzmacherin, von der ich diesen Morgen mit Ihnen sprach.

GRAF. Was? Eine Putzmacherin? Die willst du heiraten?

ADOLPH. Sie hören ja, daß sie von Stande ist.

GRAF. Welche Märchen lässest du dir aufbürden?

ADOLPH. Hier sind die Beweise.


Zieht das Taschenbuch hervor.


GRAF. Adolph! höre mich an! Ich habe allen Respekt vor hübschen Putzmacherinnen; es ist eine Klasse von Menschen, die ich sehr wohl leiden mag; aber zur Schwiegertochter – basta!

ADOLPH. Aber sie ist ja nicht, was sie schien.

GRAF. Gleichviel.

ADOLPH sehr bescheiden. Ich weiß doch, daß mein Vater – einst – meine Mutter – für noch weit weniger hielt.

GRAF. Schweig!

ADOLPH. Soll die edle Seele verkannt werden, weil sie sich herabließ, für den Unterhalt ihres Bruders zu arbeiten? Soll Fräulein Henriette von Stein –

GRAF. Henriette! Heißt sie Henriette?

ADOLPH. Sie trägt den Namen meiner Mutter.

GRAF mit einiger Rührung. Deine Mutter war eine sehr brave Frau.

ADOLPH. Und doch auch nur ein armes, unbekanntes Mädchen.

GRAF. Ein Mädchen, wie deine Mutter war, findest du nicht in halb Europa.

ADOLPH. So gehört Wien zu der andern Hälfte; denn ich habe sie gefunden.[375]

GRAF. Possen!

ADOLPH. Sehen Sie sie nur, mein Vater! Sprechen Sie mit ihr!

GRAF. Was kann das helfen? Sie wird mich einnehmen, o ja, das glaube ich wohl! Sie ist jung und hübsch, und ich bin dann auch kein Klotz. Aber ihre Märchen von Baronessen usw. die glaube ich dir doch nicht, die glaubt man nur in deinem Alter.

ADOLPH. Die Beweise –

GRAF. Und der Herr Bruder Lieutenant, der ist mir schon ganz fatal.

ADOLPH. Er ist ein Mann von Ehre im strengsten Sinne des Worts.

GRAF. Das mag er sein; aber er sucht Dienste und hat nebenher Amourettchen; das weiß ich.

ADOLPH. Er?

GRAF. Ja, ja, er! Das weiß ich!

ADOLPH. Je nun, vielleicht, daß in glücklichern Zeiten –

GRAF. Aber jetzt soll er das bleiben lassen; denn ohne Ceres und Bacchus friert Venus; das weiß jeder Schulknabe.

ADOLPH. Auf mein Wort, bester Vater!

GRAF. Du bist verliebt; auf dein Wort baue ich nichts.

ADOLPH. Er denkt an kein Frauenzimmer.

GRAF. So denken die Frauenzimmer an ihn.

ADOLPH. Seine Papiere beweisen, daß er von tadelloser Herkunft ist, und daß seine Güter ein Raub des Feindes wurden.

GRAF. Geschichten, die man jetzt täglich hört.

ADOLPH. Leider, – und sonderbar genug! Tausend Unglückliche erregen weniger Mitleid als ein einzelner. Aber so denkt mein Vater nicht, – so fühlt er nicht.

GRAF. Danke! danke!

ADOLPH. Er wird seinem Sohne gönnen, was er selbst genoß: stilles Glück an der Seite eines armen, sittsamen Mädchens, das den Reiz der Liebe und die Würde der Tugend noch durch das Gefühl der Dankbarkeit verschönert und erhöht; das mich weder durch törichte Pracht ruinieren, noch durch Modegalanterien zum Gespötte machen wird.

GRAF. Roman!

ADOLPH. Es steht ja nur bei Ihnen, eine wahre Geschichte daraus zu machen.

GRAF. Ich sehe wohl, ich komme nicht los. Laß mir die Papiere hier!

ADOLPH. Sie wollen Sie untersuchen?[376]

GRAF. Bei Gelegenheit.

ADOLPH. Sie wollen das Mädchen sehen?

GRAF. Bei Gelegenheit.

ADOLPH bittend. Bald! Bald!

GRAF. Jetzt geh!

ADOLPH. Heute noch!

GRAF ungeduldig. Wenn du noch zwei Minuten hier verweilst, so tue ich es in meinem Leben nicht.

ADOLPH. Ich gehe schon – und darf indessen meiner Braut sagen –?

GRAF. Was, Braut? So weit sind wir noch nicht.

ADOLPH. O Sie werden eine allerliebste Schwiegertochter haben. Geben Sie acht, bester Vater, Sie werden sich noch selbst in sie verlieben. Ab.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 374-377.
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