Fünfte Szene

[405] Der Vizekirchenvorsteher Staar – Die Vorigen.


FRAU STAAR. Gott zum Gruß, mein Sohn Andreas. Komm doch näher. Du bist Vizekirchenvorsteher, du weißt deine Worte zu setzen; bedeute doch das alberne Mädchen. Sie will nichts von der Verlobung hören, sie macht sich lustig über den Bräutigam.

HERR STAAR. Ei, ei, ich will nicht hoffen –

SABINE. Mein Oheim wird mir beistehn. Er hat eine Lesebibliothek und folglich kennt er die Welt.

HERR STAAR. Ja ja die kenn ich.

SABINE. Die neuen Romane hat er alle gelesen, und folglich kennt er das menschliche Herz.

HERR STAAR. Ja ja das kenn' ich.

SABINE. Er wird Ihnen gleich sagen, wie manches arme Mädchen, das zu einer Heirat gezwungen wurde, an der Schwindsucht sterben mußte.

HERR STAAR. Nein, Binchen, nein, dergleichen führ' ich nicht. Die weinerlichen Romane sind aus der Mode, ich brauche sie nur noch in meiner Gewürzbude. Räuber müssen es sein, Banditen!

FRAU STAAR. Gott steh uns bei!

HERR STAAR. Schade nur, daß unsere Dichter so wenig Patrioten sind, und immer nur Italiener verewigen. Wir haben doch auch einen Käsebier! einen Schinderhannes und wie die großen deutschen Männer alle heißen.

FRAU STAAR. Da war ja auch vor zehn Jahren der Lorenz Schmeckebein, der an unsern eigenen Galgen gehangen wurde.

HERR STAAR. Recht Frau Mutter. Im Vertrauen, ich bin jetzt dabei, sein Leben zu dramatisieren. Sperling macht die Romanzen dazu. Er ist kein übler Dichter. Besonders weiß er mit den Sonetten umzuspringen; da müssen die Reime herbei, und sollt' er ihnen alle Haare ausraufen.

FRAU STAAR. Hörst du, Binchen? hörst du?

HERR STAAR. Es ist ein ganzes Kerlchen, der Sperling, hat die neuere Ästhetik studiert, könnte Kollegia darüber lesen.[405]

FRAU STAAR. Hörst du Kind? hörst du?

HERR STAAR. Sentenzen sprudelt er von sich, und Fragmente würgt er heraus; den will ich sehen, der sie toller macht als er.

FRAU STAAR. Nun Einehen? nun?

HERR STAAR. Kurz, Mädchen, er wird dein Mann, mein Neffe, mein Erbe, mein Gehülfe bei der Lesebibliothek; und damit Punktum.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 405-406.
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