Zweite Szene

[451] Sabine und Olmers.


SABINE die aus dem Hause schlich, klopft ihm auf die Schulter. Ja lieber Zweifler, sie hält Wort.

OLMERS. Endlich, bestes Mädchen! endlich sind wir allein! und ich darf Ihnen einmal wieder recht herzlich sagen –[451]

SABINE. Was denn? Alles was Sie mir zu sagen haben, weiß ich schon längst.

OLMERS. Aber ich muß ja die Augenblicke stehlen –

SABINE. So seid ihr alle. Der Liebhaber findet nie Zeit genug, das tausendmal Gesagte tausendmal zu wiederholen. Der Ehemann hingegen dürfte plaudern den ganzen Tag, aber der geht im Zimmer auf und nieder, und brummt.

OLMERS. Ich will nicht hoffen –

SABINE. Daß Sie es auch so machen werden? nein das hoff' ich auch nicht. Aber wahr bleibt es doch immer: Liebhaber und Lerchen singen nur im Frühling, und man muß noch froh sein, wenn sie im Herbst nicht gar davonziehn.

OLMERS. Ich schwöre Ihnen –

SABINE. Schwören Sie nur nicht zu laut. Wir sind hier von ein paar Dutzend Ohren umringt. Dort ist meines Vaters Schlafzimmer, er hat noch Licht. Hier wohnt die Großmutter, die singt gewiß noch ihr Abendlied. Da gegenüber der Oheim, der blättert noch in seinen Romanen; und oben im Dachstübchen Herr Sperling, macht wohl gar noch ein Sonett auf mich. Ferner wird es nicht lange währen, so kömmt der Nachtwächter mit dem Horn und der Feuerwächter mit der Schnarre.

OLMERS. Allerliebst. Vermutlich wird auch die Laterne da bald angesteckt?

SABINE. Nein, das nicht. Wir haben Mondschein.

OLMERS. Erst gegen Morgen.

SABINE. Tut nichts. Er steht doch im Kalender, und da befleißigen wir uns einer weisen Sparsamkeit.

OLMERS. Freilich, bei dem herrlichen Steinpflaster –

SABINE. Spotten Sie nicht, und sein Sie froh, daß Sie mit einer geschundnen Nase davongekommen sind.

OLMERS. Aber, liebes Mädchen, auf meinem Zimmer wären wir ja weit ruhiger, weit ungestörter gewesen?

SABINE. Meinen Sie? o ja. Schade nur, daß es in Krähwinkel nicht Sitte ist, daß die jungen Mädchen zu ihren Liebhabern auf die Stube gehn. Hier auf der Straße befinde ich mich gleichsam in der Obhut aller meiner Verwandten.

OLMERS. Und können im Notfall den Nachtwächter zu Hülfe rufen.

SABINE. Allerdings mein Herr.

OLMERS. Ich hätte geglaubt als meine Braut –

SABINE. Das bin ich noch nicht, und wenn Sie fortfahren sich[452] so albern aufzuführen, so dürfte ichs auch wohl schwerlich jemals werden.

OLMERS. Albern? wieso?

SABINE. Welcher Satan hat Ihnen eingegeben, meine Großmutter Madam zu nennen? Sie ist Frau Untersteuereinnehmerin, merken Sie sich das.

OLMERS. Nun ja, morgen soll sie es wenigstens dreihundertmal hören.

SABINE. Je mehr je besser. Und warum aßen Sie denn diesen Abend keinen Bissen?

OLMERS. Weil ich satt war.

SABINE. Gleichviel. Das ist ein schlechter Liebhaber, der seinem Mädchen zuliebe nicht einmal einer Indigestion Trotz bietet.

OLMERS. Gut, ich will essen, wie der berühmte Paul Butterbrod.

SABINE. Und warum gähnten Sie immer als mein Vater den langen Prozeß erzählte?

OLMERS. Eben weil er so lang war.

SABINE. Hilft nichts. Muß ruhig und aufmerksam angehört werden.

OLMERS. Aufmerksam? wenn Sie mir gegenüber sitzen?

SABINE. Konnten Sie doch, mir gegenüber, recht stattlich gähnen. Und waren Sie denn ganz rasend, als mein Oheim seine Lesebibliothek auskramte, zu sagen, es sei lauter Schofel?

OLMERS. Ja, es ist ja lauter Schofel, nichts als Räuber, Banditen, romantische Dichtungen und fromme Almanache.

SABINE. Was geht das Sie an! Wir glauben nun einmal Geschmack zu besitzen. Wir sind erhaben über die gemeine Menschennatur. Wir lesen Wieland und Engel nicht mehr.

OLMERS. Nun wohl, morgen will ich die Kraftgenies loben, noch ärger als sie sich selbst.

SABINE. Das möchte Ihnen schwer werden, aber versuchen Sie es.

OLMERS. Um Ihren Besitz wag' ich das Schwerste.

SABINE. Mit alledem werden Sie doch noch nicht zum Ziele gelangen. Es fehlt Ihnen noch ein Haupterfordernis.

OLMERS. Das wäre?

SABINE. Ein Titel, lieber Freund, ein Titel! Ohne Titel kommen Sie in Krähwinkel nicht fort. Ein Stück geprägtes Leder gilt hier mehr als ungeprägtes Gold. Ein Titel ist hier die Handhabe des Menschen, ohne Titel weiß man gar nicht,[453] wie man ihn anfassen soll. Hier wird nicht gefragt: hat er Kenntnisse? Verdienste? sondern, wie tituliert man ihn? Wer nicht zwölf bis fünfzehn Silben vor seinen Namen setzen kann, der darf nicht mitreden, wenn er es auch zehnmal besser verstünde. Die Titel nehmen wir mit zu Bette und zu Grabe, ja, wir nähren eine leise Hoffnung, daß einst an jenem Tage noch manches Titelchen aus der letzten Posaune erschallen werde. Kurz, mein schöner Herr, ohne Titel bekommen Sie mich nicht. Meine Großmutter wird es nimmermehr zugeben, daß der Prediger beim feierlichen Aufgebot nichts weiter zu sagen haben solle, als: der Bräutigam ist Herr Karl Olmers.

OLMERS. Wie aber, wenn ich mir schon ein ganz feines Titelchen verschafft hätte?

SABINE. Haben Sie? nun dann sind wir ja über alle Berge. Warum sagten Sie das nicht gleich?

OLMERS. Ich wußte ja nicht –

SABINE. Ei das hätten Sie wissen sollen und müssen. Glauben Sie denn, die Titelpest grassiere nur hierzulande? C'est partout comme chez nous. – Stille! ich höre ein Geräusch. Es ist Sperlings Dachfensterlein. Er wird uns doch nicht belauscht haben?


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 451-454.
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