Dritter Auftritt


[81] Der Unbekannte – Franz.


UNBEKANNTER. Ist das Weib fort?

FRANZ. Ja.

UNBEKANNTER. Franz!

FRANZ. Gnädiger Herr!

UNBEKANNTER. Wir müssen auch fort.

FRANZ. Wohin?

UNBEKANNTER. Das weiß Gott!

FRANZ. Ich folge Ihnen.

UNBEKANNTER. Allenthalben?

FRANZ. In den Tod.

UNBEKANNTER. Wollte der Himmel! Dort ist Ruhe.

FRANZ. Überall ist Ruhe. Mags von außen stürmen, wenn nur das Herz nicht tobt. Und dann ists hier wohl noch immer ebensogut, als in einem andern Winkel der Welt. Die Gegend[81] ist herrlich, die einladende Natur verschwenderisch mit Schönheiten und Früchten.

UNBEKANNTER. Aber ich bin kein fremdes Tier; ich will mich nicht begaffen lassen.

FRANZ. Wie Sie dem Dinge nun wieder eine Deutung geben, nach Ihrer eigenen Manier! Daß ein Mensch, dem man das Leben gerettet hat, einen zum Essen bitten läßt, das find' ich sehr natürlich.

UNBEKANNTER. Aber man soll mich nicht zum Essen bitten.

FRANZ. Sein Sie ruhig! Man wird es schwerlich zum zweiten Male versuchen.

UNBEKANNTER. Die Schranzen! Sie bilden sich ein, der wichtigste Dienst sei vergolten, wenn man einmal das Glück haben darf, mit ihnen zu speisen.

FRANZ. Recht, Herr! Lieber Kartoffeln zu Hause, wo man nicht jeden Bissen mit Schmeicheleien verzollen muß, wo man nicht gezwungen ist, über frostige Späßchen zu lachen, oder den ehrlichen Namen eines Dritten zu zerreißen.

UNBEKANNTER. Wir wollen fort.

FRANZ. Aber Geduld, gnädiger Herr! Vielleicht zerstreut sich das Menschengewühl wieder. Die kommen allzumal aus der Residenz, werden's im Schatten der einfachen Natur bald satt kriegen, finden hier weder Karten noch Hanswürste, wenn sie nicht selbst welche mitgebracht haben. Denn heutzutage hat jeder Narr seinen Hanswurst bei der Hand. Geben Sie acht, Herr, das sind die Drohnen aus dem Bienenstocke des Hofes; die sind ausgeflogen, nicht um hier in der Einsamkeit Honig zu sammeln; nein, um der lieben Mode willen. Wenn der Herbst herbeikommt, fliegen sie alle wieder zurück und treiben dort ihr Wesen.

UNBEKANNTER. Dein Scherz wird bitter.

FRANZ. Was ist Speise ohne Salz?

UNBEKANNTER. Und es läßt sich vermuten, daß, wenn jenes Ziel deines Spottes dir aus den Augen gerückt worden, du deinen Herrn zum Ziele nehmen werdest. Ich kannte dich noch nicht von der Seite.

FRANZ. Schon wieder menschenfeindliches Mißtrauen! Lieber Herr, ich will Ihnen gerne ohne Lohn dienen, aber halten Sie mich für einen ehrlichen Kerl.

UNBEKANNTER. Ohne Lohn? Also läßt dein ehrlicher Name sich taxieren. Ohngefähr so hoch, als dein Lohn?

FRANZ. Nein, das ist zu arg.[82]

UNBEKANNTER. Tu ich dir Unrecht?

FRANZ. Wahrlich.

UNBEKANNTER. Du bist mein einziger Freund.

FRANZ. Der Titel, den Sie mir da geben, macht alles wieder gut.

UNBEKANNTER. Siehst du, Franz? Schimmern dort nicht schon wieder Uniformen und Kopfzeuge die Allee herauf? – Nein, ich muß fort. Hier ist meines Bleibens nicht mehr.

FRANZ. Wohl, ich schnüre mein Bündel.

UNBEKANNTER. Je eher, je lieber. Da muß ich an dem herrlichen Tage mich zwischen vier Mauern sperren, um den Maulaffen aus dem Wege zu gehen. Und ist es wahres Hofgeschmeiß, so sind sie wohl keck genug, sich bis in mein Zimmer zu drängen. Im Abgehen. Franz, ich verriegle meine Türe.

FRANZ. Und ich halte Schildwacht von außen.

UNBEKANNTER ab.

FRANZ. Wenn die Herrschaften ebenso neugierig sind, als das Kammermädchen, so werd' ich meinen Vorrat von Impertinenz wieder auskramen müssen. Aber sie haben gut fragen und ich habe gut antworten. Von mir werden sie wenig erfahren; denn ich weiß selbst nichts.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 81-83.
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