[79] Lotte – Die Vorigen.
LOTTE. Mit Permission, Sie sind doch der fremde Herr, der meinen gnädigen Grafen aus dem Wasser gezogen?
UNBEKANNTER sieht sie starr an.
LOTTE zu Franz. Oder sind Sie es?
FRANZ macht ihr ein unfreundlich Gesicht.
LOTTE. Sind die Herren beide stumm? Sie betrachtet sie wechselsweise; beide sehen ihr starr ins Gesicht. Nun, das ist lustig, ha! ha! ha! Wieder eine Pause. So lachen Sie doch wenigstens mit. – Nein wahrlich! nicht eine Miene, nicht eine Falte. Ein paar Puppen, in Wachs formiert. Ich möchte lachen oder weinen, seufzen oder schreien; das bringt die Herren so wenig aus ihrer Fassung, als den Tom Pipes im Peregrine Pickle. – Sollte der spaßhafte Herr Bittermann ein paar Bildsäulen aufgestutzt haben? Sie nähert sich Franzen. Aber nein, das lebt, das holt Atem, das verdreht die Augen. Ihm ins Ohr schreiend. Guter Freund!
FRANZ. Ich bin nicht taub.
LOTTE. Und auch nicht stumm, wie ich endlich ein wenig spät erfahre. Ist jener Leblose dort sein Herr?
FRANZ. Jener brave Mann ist mein Herr.
LOTTE. Der nämliche, der –
FRANZ. Der nämliche.
LOTTE sich zu dem Unbekannten wendend. Meine gnädige[79] Herrschaft, der Herr Graf von Wintersee und die Frau Gräfin, lassen sich Ihnen schönstens empfehlen und angelegentlich bitten, diesen Abend auf dem Schlosse mit einem Gerichte Gernegesehn vorlieb zu nehmen.
UNBEKANNTER. Ich esse nicht.
LOTTE. Nun, so kommen Sie wenigstens.
UNBEKANNTER. Ich komme nicht.
LOTTE. So trocken werden Sie mich doch nicht abfertigen? – Kein Wort weiter? – Der Herr Graf ist durchdrungen vom Gefühl der Dankbarkeit. Sie haben ihm das Leben gerettet.
UNBEKANNTER. Ist gern geschehen.
LOTTE. Und wollten nicht einmal ein kahles Gott vergelt' es! dafür in Empfang nehmen?
UNBEKANNTER. Nein.
LOTTE. Wirklich, mein Herr, Sie sind grausam. Ich muß Ihnen sagen, daß unser drei Frauenzimmer im Schlosse sind, und daß wir alle drei vor Begierde brennen, zu wissen, wer Sie sind.
UNBEKANNTER steht auf und geht ab.
LOTTE. Der Herr ist ein sauertöpfischer Grobian. Ich muß sehen, wie weit ich es mit dem Bedienten bringe.
FRANZ kehrt ihr den Rücken zu.
LOTTE. Der Anfang verspricht blutwenig. Guter Freund! warum sieht er mich nicht an?
FRANZ. Weil ich lieber grüne Bäume, als grüne Augen sehe.
LOTTE. Grüne Augen? Verflucht! Wer hat Ihm denn gesagt, daß meine Augen grün sind? Man hat wohl eher Verse auf meine Augen gemacht. Doch an Seinem Beifall ist mir wenig gelegen. Aber wenn Er mich nicht ansehen will, so sprech' Er wenigstens mit mir.
FRANZ. Ich spreche mit keiner Meerkatze.
LOTTE. Hör Er, mein Freund! ich dächte, Er ließe sich an eine Kette legen und wie ein polnischer Bär für Geld sehen. Etwas so Grobes, Ungeschliffenes sieht man nicht alle Tage. Aber Er soll wissen, das ich von gutem Hause bin, und daß meine Erziehung mich dergleichen Sottisen verachten lehrt.
FRANZ. Das freut mich.
LOTTE. Also kurz und gut zur Sache: wer ist Sein Herr?
FRANZ. Ein Mann.
LOTTE. Nun freilich ist er kein Weib; denn sonst wäre er höflicher, und ließe sich auch nicht von einem solchen Grobian bedienen. Aber wie heißt er?[80]
FRANZ. Man nannte ihn nach seinem Vater.
LOTTE. Und der war? –
FRANZ. Verheuratet.
LOTTE ironisch. Mit einem Frauenzimmer vermutlich.
FRANZ. Getroffen!
LOTTE. Vielleicht hat er im Duell –
FRANZ. Einen Hasen geschossen.
LOTTE. Oder als falscher Münzer –
FRANZ. Pasteten gebacken.
LOTTE. Oder er ist als Deserteur –
FRANZ. Seinem Mädchen entlaufen.
LOTTE. Oder er ist –
FRANZ. Ein Jesuit.
LOTTE entrüstet. Guter Freund! wer Sein Herr ist, werd' ich wohl freilich nicht erfahren, und mags auch nun nicht wissen; aber wer Er ist, das weiß ich.
FRANZ. Nun?
LOTTE. Er ist ein Tölpel.
Sie läuft fort.
FRANZ. Schönen Dank! Wer den Weibern ihren Willen tut, der ist ein homme comme il faut, und wer sich nicht von ihnen zum Narren brauchen läßt, der ist ein Tölpel. Aber sie mögen dich nun bezahlen in dieser oder in jener Münze; du bist immer betrogen.
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Menschenhaß und Reue
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