Erster Auftritt


[95] Franz tritt auf mit einem Stück Brot und Käse in der Hand, wovon er sich dann und wann einen Bissen herunterschneidet. Gleich darauf der Major.


FRANZ. Als ich noch in der Stadt auf'm Kaffeehause diente, da war ich ein lockerer Geselle; Karten und Würfel mein Zeitvertreib vom Abend bis an den Morgen; Braten und Wein zu jeder Stunde, wenn es mir beliebte den Speiseschrank heimzusuchen. Und doch schmeckte mir kein Bissen! Dem Braten fehlte das Salz der innern Zufriedenheit, dem Wein mangelte das Zuckerbrot eines guten Gewissens. – Wie anders, seit ich diesem Herrn diene! Ich habe heute nichts Böses getan; ich habe mein Tagewerk redlich vollbracht. Du guter Käse! du schwarzes Brot! vortrefflich schmeckt ihr mir! Er erblickt den Major in der Ferne. Pfui, daß ich schon wieder gestört werde. Ich dachte mein Abendbrot unter freiem Himmel zu verzehren; aber sie sind wie die Spürhunde hinter uns drein. Er will gehen.

MAJOR. Pst! guter Freund!

FRANZ für sich. Lieber Gott! welch eine Mäkelei die Menschen treiben mit dem Titel: guter Freund.

MAJOR. Ich muß Seinen Herrn sprechen.

FRANZ. Kann nicht dienen.

MAJOR. Warum nicht?

FRANZ. Ist mir verboten worden.

MAJOR will ihm Geld in die Hand stecken. Da! melde Er mich.[95]

FRANZ. Brauche kein Geld.

MAJOR. Nun, so melde Er mich nur.

FRANZ. Ich will Sie melden, gnädiger Herr; aber was kann das helfen? ich werde ausgescholten, und Sie bekommen eine abschlägige Antwort.

MAJOR. Wer weiß? Sag' Er ihm, ich bäte nur um eine einzige Minute; ich wollte ihm auf keine Weise beschwerlich fallen; kurz, sag Er ihm alles, was man bei dergleichen Gelegenheiten zu sagen pflegt. Wenn Sein Herr ein Mann von Erziehung ist, so wird er mich nicht hier unter freiem Himmel vergebens auf sich warten lassen.

FRANZ. Nun, in Gottes Namen, wir wollens versuchen.


Geht.


MAJOR ruft ihm nach. Hört Er? nur um eine halbe Minute laß ich bitten.

FRANZ. Schon gut.


Ab.


MAJOR. Aber wenn er nun kommt; wie soll ich ihn behandeln? Ein Menschenfeind ist mir im Laufe meines Lebens noch nicht vorgekommen. Knigge hat ein schönes Buch über den Umgang mit Menschen geschrieben; aber wie man mit einem solchen Geschöpf umgehen soll, dem die ganze Welt und sein eigenes Ich zur Last geworden, darüber hat er Vorschriften zu erteilen vergessen. Wohlan! auf gut Glück! Ein offenes, freundliches Gesicht, nicht zu blöde, nicht zu dreist, damit kommt man so ziemlich bei jedermann fort.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 95-96.
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