[103] Unbekannter – gleich darauf Franz.
UNBEKANNTER geht einigemal auf und nieder; sein Blick ist in sich gekehrt und trübe. Endlich bleibt er stehn, und ruft. Franz!
FRANZ kommt. Herr!
UNBEKANNTER. Morgen reisen wir.
FRANZ. Mir recht.
UNBEKANNTER. Vielleicht in ein anderes Land.
FRANZ. Mir auch recht.
UNBEKANNTER. Vielleicht in einen andern Weltteil.
FRANZ. Mir alles recht.
UNBEKANNTER. Ihr friedlichen Insulaner der Südsee! zu euch will ich; ihr seid noch unverdorben. Eure einzige Schwachheit ist Stehlen. – Immerhin! ich bringe keine Schätze mit. Das köstlichste Kleinod, das ich hatte, meine Ruhe, hat man mir in Europa gestohlen. – Oder zu euch, ihr wackern Bewohner von Bisnapore; zu euch, deren verführerisches Gemälde Raynal mit unnachahmlichem Pinsel uns darstellt – oder – nun ja, wohin Gott will! Fort! fort aus diesem kultivierten, moralischen Lazarett! – Hörst du, Franz? morgen mit dem frühesten.
FRANZ. Ganz wohl.
UNBEKANNTER. Doch vorher, Franz, noch ein kleines Geschäft für dich. Geh hinunter ins Dorf, miete dir Pferde und Wagen von einem Bauern, und eile in das benachbarte Städtchen. Du kannst vor Sonnenuntergang noch zurück sein. Ich will dir einen Brief an eine Bürgersfrau mitgeben, die ich kenne. Dort wirst du zwei Kinder finden; es sind meine Kinder –
FRANZ erstaunt. Ihre Kinder, Herr?[103]
UNBEKANNTER. Nimm sie, packe sie auf den Wagen, und bringe sie hieher.
FRANZ. Ihre Kinder, Herr?
UNBEKANNTER. Nun ja doch, meine Kinder; ist denn das so unbegreiflich?
FRANZ. Ich begreife wohl, daß Sie Kinder haben können; aber daß ich nun schon drei Jahre in Ihren Diensten bin, und noch nie ein Wörtchen davon erfuhr, das ist doch sonderbar.
UNBEKANNTER. Viel von seinen Kindern sprechen, ist Narrheit.
FRANZ. Es ist ein Unterschied zwischen viel und garnicht. Sie waren also verheuratet?
UNBEKANNTER. Belästige mich nicht mit unnützen Fragen! Geh, mach dich reisefertig!
FRANZ. Dazu brauch ich fünf Minuten.
Er geht.
UNBEKANNTER. Ich folge dir sogleich, um den Brief zu schreiben.
Franz ab.
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