Neunter Auftritt


[121] Der Unbekannte – Eulalia – Die Gräfin – Der Major.


EULALIA welche langsam und bebend herbeischwankt, zu der Gräfin, welche sie unterstützen will. Lassen Sie mich, gnädige Frau! Ich hatte einst Stärke genug zu sündigen; Gott wird[121] mir heute Kraft verleihen zu büßen. Sie naht sich dem Unbekannten, welcher mit weggewandtem Gesicht in großer Bewegung ihre Anrede erwartet. Herr Oberster –

UNBEKANNTER mit sanfter zitternder Stimme und stets abgewandtem Gesicht. Was willst du von mir, Eulalia?

EULALIA sehr erschüttert. Nein – um Gottes willen! – darauf war ich nicht vorbereitet. – O, dieser Ton schneidet mir durchs Herz! – Dieses Du – dieses vertrauliche Du – nein! – um Gottes willen! – großmütiger Mann! einen rauhen, harten Ton für das Ohr der Verbrecherin!

UNBEKANNTER sucht seiner Stimme mehr Festigkeit zu geben. Nun, Madam –

EULALIA. Ach! wenn Sie mein Herz erleichtern, wenn Sie sich herablassen wollten, mir Vorwürfe zu machen –

UNBEKANNTER. Vorwürfe? – Hier stehn sie auf meiner blassen Wange, hier in meinem eingefallenen Auge: diese Vorwürfe konnt' ich Ihnen nicht ersparen – mein Mund schont Ihres Elends.

EULALIA. Wär' ich eine verhärtete Verbrecherin; so würde dieses Schweigen mir Wohltat sein: aber ich bin eine reuige Büßende, und dieses edelmütige Schweigen drückt mich ganz zu Boden. – Ach! so muß ich denn selbst der Herold meiner Schande werden! Denn wo wäre Ruhe für mich, ehe dies Bekenntnis von meinem Herzen abgewälzt worden?

UNBEKANNTER. Kein Bekenntnis, Madam! Ich weiß alles, und erlasse Ihnen jede Demütigung. Doch werden Sie selbst einsehen, daß nach dem, was vorgefallen ist, wir uns auf ewig trennen müssen.

EULALIA. Ich weiß es. Auch kam ich nicht hieher, Verzeihung zu erflehen; auch regte sich nicht die leiseste Hoffnung in mir, Verzeihung zu erhalten. Es gibt Verbrechen, welche doppelt schänden, wenn man auch nur den Gedanken hegen kann, sie jemals ganz auszulöschen. Alles, was ich zu hoffen wage, ist: die Versicherung aus Ihrem Munde zu hören, daß Sie meinem Andenken nicht fluchen wollen.

UNBEKANNTER weich. Nein, Eulalia, ich fluche dir nicht. – Deine Liebe hat mir in bessern Tagen so manche süße Freude gewährt. – Nein, ich werde dir nie fluchen!

EULALIA in großer Bewegung. Mit dem innigen Gefühl, daß ich Ihres Namens unwert bin, hab' ich schon seit drei Jahren einen andern, unbekannten getragen. – Aber das ist noch nicht genug. – Sie müssen einen Scheidebrief haben – der[122] Sie in den Stand setze, eine würdigere Gattin zu wählen – in deren Armen Gott seinen mildesten Segen auf Sie herabschütten wolle! – Dazu wird dieses Papier Ihnen notwendig sein; – es enthält ein schriftliches Bekenntnis meiner Verbrechen. Sie reicht es ihm zitternd dar.

UNBEKANNTE nimmt es und zerreißt es. Es sei auf ewig vernichtet! Nein, Eulalia! Du allein hast in meinem Herzen geherrscht, und – ich schäme mich nicht, es zu bekennen – Du allein wirst ewig darin herrschen! Dein eigenes Gefühl für Tugend und Ehre verbietet dir, diese Schwachheit nutzen zu wollen; und wär' es – nun bei Gott! diese Schwachheit ist meiner Ehre untergeordnet. Aber nie, nie wird ein anderes Weib mir Eulalien ersetzen!

EULALIA zitternd. Nun, so bliebe mir nichts weiter übrig – als Abschied von Ihnen zu nehmen.

UNBEKANNTER. Halt! Noch einen Augenblick. Wir haben einige Monate lang, ohne es zu wissen, einander sehr nahe gelebt; ich habe viel Gutes von Ihnen erfahren; Sie haben ein Herz, weich geschaffen für die Not Ihrer armen Brüder. Das freut mich. Es muß Ihnen nie an Mitteln fehlen, diesen Hang zu befriedigen – auch Sie selbst müssen nie Mangel leiden. Diese Schrift versichert Ihnen eine Leibrente von tausend Talern, welche der Bankier Schmidt in Kassel Ihnen alljährlich auszahlen wird.

EULALIA. Nimmermehr! Die Arbeit meiner Hände muß mich ernähren. Ein Bissen Brot, von einer Träne der Reue befeuchtet, wird mir mehr Ruhe gewähren, als das Bewußtsein, von dem Vermögen eines Mannes zu schwelgen, den ich einst so schändlich verraten konnte.

UNBEKANNTER. Nehmen Sie, Madam, nehmen Sie!

EULALIA. Ich habe diese Demütigung verdient – aber ich flüchte zu Ihrer Großmut. Verschonen Sie mich!

UNBEKANNTER beiseite. Gott! welch ein Weib hat der Bube mir entrissen! Er steckt das Papier wieder zu sich. Wohl, Madam, ich ehre Ihre Gründe, ich stehe ab von meinem Begehren: doch nur unter der Bedingung, daß, wenn es Ihnen je an etwas mangelt, ich der erste und einzige sei, an den Sie sich freimütig wenden.

EULALIA. Ich verspreche es.

UNBEKANNTER. Und nun darf ich wenigstens verlangen, daß Sie Ihr Eigentum zurücknehmen, Ihren Schmuck.


Er reicht ihr das Schmuckkästchen.
[123]

EULALIA sehr bewegt, öffnet das Kästchen, und ihre Tränen stürzen darauf. Ach! da schwebt es vor meiner Seele, das süße Bild jenes schönen Abends, an welchem Sie mir diesen Schmuck schenkten. An jenem Abend legte mein alter Vater unsere Hände ineinander, und froh sprach ich ihn aus, den Schwur ewiger Treue. – Er ist gebrochen! – Damals hatt' ich ein reines, schuldloses Herz – ach! dies Gefühl kauft keine Reue zurück! – Dies Halsband schenkten Sie mir vor fünf Jahren an meinem Geburtstage. Das war ein glücklicher Tag. Sie hatten ein kleines, ländliches Fest veranstaltet. O! wie waren wir alle so heiter und froh! – Diese Schmucknadel erhielt ich, als ich meinen Wilhelm geboren hatte. – O wie schwer drückt die Erinnerung an entflohene Freuden, wenn du selbst ihr Mörder warst! – Nein, auch diesen Schmuck kann ich nicht behalten; – es müßte denn Ihre Absicht sein, mir durch seinen Anblick endlose Vorwürfe zu bereiten. – Nehmen Sie ihn zurück! Sie reicht ihm den Schmuck, nachdem sie vorher nur die Nadel herausgenommen.

UNBEKANNTER in ebenso großer Gemütsbewegung als Eulalia, welche er aber zu verbergen sucht, nimmt den Schmuck mit weggewandtem Gesicht und steckt ihn ein.

EULALIA. Nur diese Nadel sei mir ein Andenken an die Geburt meines Wilhelms.

UNBEKANNTER beiseite. Nein, länger halte ich's nicht aus. Er wendet sich zu ihr, sein Ton ist nicht rauh und nicht sanft, nicht fest und nicht weich, sondern schwankt zwischen allen diesen. Leben Sie wohl!

EULALIA. O nur noch eine Minute, nur noch Beantwortung einer Frage; Beruhigung des Mutterherzens! – Leben meine Kinder noch?

UNBEKANNTER. Sie leben.

EULALIA. Und sind gesund?

UNBEKANNTER. Gesund.

EULALIA. Gott sei Dank! – Mein Wilhelm ist wohl schon recht groß geworden?

UNBEKANNTER. Ich vermute.

EULALIA. Und Malchen – ist sie noch Ihr Liebling?

UNBEKANNTER den diese ganze Szene sichtbar tief erschüttert, bleibt stumm im Kampf mit Ehre und Liebe.

EULALIA. O großmütiger Mann! ich bitte Sie, lassen Sie mich meine Kinder noch einmal sehen, ehe wir scheiden, daß ich[124] sie an mein Herz drücke, daß ich sie segne, daß ich die Züge ihres Vaters in ihnen küsse.

UNBEKANNTER schweigt.

EULALIA fährt nach einer Pause fort. Ach! wenn Sie wüßten, wie in diesen drei fürchterlichen Jahren mein Herz an meinen Kindern hing; wie mir die Tränen in die Augen schossen, so oft ich einen Knaben oder ein Mädchen gleiches Alters erblickte; wie ich zuweilen in der Dämmerung in meiner einsamen Kammer saß, mich an den Zauberbildern meiner regen Phantasie letzend, bald Wilhelm, bald Malchen auf meinem Schoße wiegend. – O! erlauben Sie mir immer, sie noch einmal zu sehen! nur eine mütterliche Umarmung! und wir trennen uns dann auf ewig.

UNBEKANNTER. Gern, Eulalia – noch diesen Abend – ich erwarte die Kinder jeden Augenblick – sie wurden im nächsten Städtchen erzogen – ich habe meinen Bedienten dahin gesandt – er könnte schon zurück sein – ich gebe Ihnen mein Wort, sobald sie kommen, sende ich sie aufs Schloß. Da mögen sie, wenn es Ihnen gefällt, bis zum Anbruch des morgenden Tages bei Ihnen bleiben – dann nehme ich sie wieder mit mir. – Pause.


Die Gräfin und ihr Bruder, welche, wenig Schritte von da, der ganzen Unterredung mit innigster Teilnahme zuhörten, geben sich verstohlne Winke. Der Major geht in die Hütte, und kommt bald darauf

mit Franz und den beiden Kindern zurück. Er übergibt den Knaben seiner Schwester, welche sich hinter Eulalien stellt; er selbst tritt mit dem kleinen Mädchen hinter Meinau.


EULALIA. So hätten wir uns denn in diesem Leben nichts weiter zu sagen. All' ihre Entschlossenheit zusammenraffend. Leben Sie wohl, edler Mann! Sie ergreift seine Hand. Vergessen Sie eine Unglückliche, die Sie nie vergessen wird! Sie kniet nieder. Lassen Sie mich noch einmal diese Hand an meine Lippen drücken; diese Hand, die einst mein war!

UNBEKANNTER sie aufhebend. Keine Erniedrigung, Eulalia! Er schüttelt ihr die Hand. Leben Sie wohl!

EULALIA. Auf ewig.

UNBEKANNTER. Auf ewig!

EULALIA. Wir scheiden ohne Groll –

UNBEKANNTER. Ohne Groll.

EULALIA. Und wenn ich einst genug gebüßt habe; wenn wir in einer bessern Welt uns wiedersehen –[125]

UNBEKANNTER. Dort herrschen keine Vorurteile; dann bist du wieder mein! Beider Hände liegen ineinander, beider Blicke begegnen sich wehmütig. Sie stammeln noch ein Lebewohl! und trennen sich, aber indem sie gehen wollen, stößt Eulalia auf den kleinen Wilhelm, und Meinau auf Malchen.

MALCHEN. Vater –

WILHELM. Mutter –


Vater und Mutter drücken sprachlos die Kinder in ihre Arme.


MALCHEN. Lieber Vater –

WILHELM. Liebe Mutter –


Vater und Mutter reißen sich los von den Kindern, sehen einander an, breiten die Arme aus, und stürzen sich einer in des andern Arme.


UNBEKANNTER. Ich verzeihe dir!


Die Gräfin und der Major heben die Kinder in die Höhe, welche sich an ihre Eltern anklammern, und lieber Vater! liebe Mutter! rufen.


Ende


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 121-126.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Menschenhaß und Reue
Menschenhaß und Reue

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon