Erster Auftritt.

[3] Herrmann. Caroline.


HERRMANN. Nein, nichts entschuldiget sie, sie verrathen ihr Geschlecht zu sehr; sie sind eine falsche, eine Schmeichlerinn, mit einem Wort, ein Frauenzimmer.

CAROLINE. Ja doch, ja doch! ich bin ein Frauenzimmer und muß es auch bleiben. Sie aber zu überführen mein weiser Herr Herrmann, wie es läst, wenn man ihnen in ihrer übertriebenen Liebe zur Wahrheit nachahmet, so will ich einmahl ohne zu schmeicheln sagen, daß sie nicht die Hochachtung eines Frauenzimmers verdienen, daß sie nicht zu leben wissen, daß sie ein eigensinniger, ein unerträglicher, mit einem Worte, daß sie vor lauter Vernunft und Tugend ein Narr sind. Gelt! so gefalle ich ihnen? man muß allezeit die Wahrheit sagen.[3]

HERRMANN. Ja. Es ist aber noch lange nicht ausgemacht, daß sie jetzt die Wahrheit gesagt haben; ich wenigstens werde es niemals dafür annehmen.

CAROLINE. Das kan nicht fehlen, denn sie lieben sich selbst. Warum verdenken sie aber andern Leuten, daß sie sich lieben? können sie denn der ganzen Welt zumuthen, daß sie sich selbst so seind seyn, und wie unempfindliche Klötzer ihre unbescheidene Vorwürfe und Bitterkeiten anhören sollen?

HERRMANN. Können mir aber die Leute zumuthen, daß ich etwas anders als die Wahrheit reden soll?

CAROLINE. Nehmen es aber die Leute allezeit für ausgemachte Wahrheiten an, wenn man es ihnen mit einer richterlichen Mine in die Augen sagt, daß sie Thoren sind? überhaupt muß ich sie fragen, ob denn alle Gelehrte, alle Philosophen das die Wahrheit nennen, was sie dafür ausgeben?

HERRMANN. Das versteht sich, daß ich mit den gründlichsten Gelehrten einen Begriff mit dem Worte Wahrheit verbinde.

CAROLINE. Wenn das wahr ist, so verdienen sie und alle gründliche Gelehrte, daß ihre Schönen alle Zähne vermehren, wenn sie sie küssen wollen. Denn ihre Wahrheit, die sie sich einbilden, sieht so liebenswürdig aus, als eine sechzigjährige Jungfer; sie ist eine scheelsüchtige, welche immer über das Gute hinweg sieht, und nur die Flecken[4] und Mängel an den Leuten gewahr wird. Alle Leute, die nicht ihre Maximen haben, sind in ihren Augen häßlich, betrügerisch, abgeschmackt und lasterhaft. Die Wahrheit sagen, heist bey ihnen, den Leuten die Ehre rauben, und grob seyn. Weil sie nicht reich sind, so sind alle Reichen unglückselig, und weil sie kein gnädiger Herr sind, so verdient kein Mensch ein gnädiger Herr zu seyn. Kurz, sie sind – – –

HERRMANN. Nein, sie wissen nicht, was ich bin. Ich bin zu aufrichtig, daß ich die Leute in ihrer Blindheit lassen sollte, und zu stolz, mir durch ihren Schaden ihre Gunst zu verdienen. Da ich sie nun, liebste Caroline, viel höher schätze, als mich selbst, da ich sie zärtlich und aufrichtig liebe, so wünschte ich, daß sie auch so edel seyn, und sich durch keine niederträchtige Schmeicheleyen die Gunst unsrer Herrschaft erkaufen möchten; ihr Geist ist so lebhaft, so witzig, und ihr Verstand so scharfsinnig, daß sie auch so groß zu seyn verdienen, als die weisesten Männer sind, die ihr Glück und ihre Wohlfahrt der Wahrheit aufopfern. War das nicht vorhin die strafbarste Unwahrheit, da sie unsrer gnädigen Frau, die in ihr Stufenjahr getreten ist, weiß machen wollten, sie hätte keine Runzeln in ihrem Gesichte, und sähe noch jünger aus, als sie? War das nicht eben so unverschämt, als wenn ich ihnen weiß machen wollte, ich hätte mein Tage noch kein schöner Frauenzimmer gesehen, als sie sind? ich verehre sie, liebste Caroline, ich bete sie an, aber[5] so blind macht mich die Liebe nicht, daß ich sie für die Venus halten sollte.

CAROLINE. Das ist wahr, Herr Herrmann, sie wären ein vortreflicher Liebhaber für die eitlen Frauenzimmer, die sich auf die falschen Lobeserhebungen der flüchtigen Stutzer so viel zu gute thun. Bey ihnen wurden sie das unrechtmäßige Vergnügen über die Schmeicheleyen hart genug büssen. Sie haben mir jetzt ziemlich deutlich ins Gesicht gesagt, daß ich niederträchtig bin, weil ich meiner gnädigen Frau unschädliche Unwahrheiten sage, die ihr gefallen, die mir ihre Gunst erwerben, die mein Glück befördern, mir manches von ihren Kleidern anziehen, und mir manchen Ducaten von ihrem Spielgelde zufallen lassen. Aber ich halte es für keine Niederträchtigkeit, wenn man sich allemal seines Standes erinnert, und wenn man erlaubte Mittel anwendet, ihn zu verbessern. Ich diene. Dieses Schicksal zwinget mich dazu, mich nach den Thorheiten meiner Herrschaft zu bequemen, so lange diese Thorheiten meiner Ehre nicht schaden. Aber ihre unbändige, ihre übertriebene Liebe zur Wahrheit ist eine Widerspenstigkeit, ist ein Stolz, der viel niederträchtiger ist. Sie vergessen ihren Stand, sie vergessen, daß sie nichts haben, als Armuth und eine schädliche Klugheit, und daß der Graf ein unumschränkter Monarch über ihr Glück ist.

HERRMANN. Genug; ich lerne sie kennen; gewiß das Herz eines Frauenzimmers ist eine unergründliche[6] Tiefe, ich schäme mich, ich ärgre mich über mich selbst, daß ich sie so sehr liebe, da sie so wenig edel, so wenig weise sind. Ich sehe nun, daß ihre Augen sich so sehr von dem Glanze des Reichthums verblenden lassen, daß sie Gelehrsamkeit, Tugend und Verdienste nichts dagegen achten. Meine Wissenschaften sind mein Reichthum, und die Tugend ist meine Glückseligkeit. Leute, die weiter nichts können, als das ihrige verschwenden, ihren Körper verzieren, und Spielwerke der Frauenzimmer abgeben, für die schickt es sich, niederträchtige Sclaven von der Gunst ihrer Patronen zu seyn. Meine Wissenschaften haben mich zuviel schlaflose Nächte gekostet, ich habe keine dem Bachus opfern können, wie dergleichen Taugenichte gethan haben.

CAROLINE. Sie müssen freylich wenig in ihrem Leben geschlafen haben, denn sie reden immer so verdrießlich und so schwermüthig, wie ein Mensch, der nicht ausgeschlafen hat. Man muß seine Wissenschaften nicht immer im Munde führen; sind das Güter, darauf man pochen kan? Der Reichthum vermag alles in der Welt, und die Schönheit nach ihm das meiste, das sind bey nahe die beyden einzigen Dinge, auf deren Gewalt man sich Rechnung machen kan. Wissenschaften hingegen sind gemeiniglich nur dazu gut, daß man sich stellen muß, als besäße man keine, und die Wissenschaft zu rechter Zeit ein Thor zu seyn, ist noch die einträglichste unter allen. Wenn sie[7] mir also einen hinlänglichen Beweiß ihrer Liebe eben wollen, so üben sie heut diese Wissenschaft aus. Der Graf hat die Rathherrenstelle zu vergeben, zu welcher sich bereits einige Candidaten gemeldet haben. Wenn er sie zu seiner Ehre und zum Vortheile des gemeinen Wesens austheilen wollte, so wäre er zwar dieselbe ihren Verdienten und der Erkenntlichkeit für ihre ihm zehen Jahre geleistete grosse Dienste schuldig; allein sie wissen, daß man der Erkenntlichkeit bey Leuten von seinem Range wenig zu trauen kan; je mehr man sie zu derselben verpflichtet hat, je mehr ist man ihnen notwendig geworden, und je mehr diese Notwendigkeit zunimmt, je schwächer wird die Erkenntlichkeit. Sie kennen die Gefälligkeit des Grafen gegen seine Gemalinn; sie wissen, daß sie bereits mehr Aemter vergeben hat als er; suchen sie sich derohalben um ihre Gunst zu bewerben, sagen sie ihr einige Schmeicheleyen vor, speisen sie ihre Eitelkeit – – – –

HERRMANN. Ich beschwöre sie, liebste Caroline, legen sie nur lieber eine zehenjährige Todesmarter zum Beweise meiner Liebe gegen sie auf, als dieses verächtliche Mittel zu einem Amte zu gelangen. Sie wissen, ich kan nicht schmeicheln, und wenn ich ja noch die geringste Fähigkeit darinn besitzen sollte, so könnte ich sie doch gegen Niemanden anwenden, als gegen sie. Mein eyfriger Wunsch von ihnen geliebt zu werden, wäre noch das einzige auf der Welt, was mich zu dieser Niederträchtigkeit verleiten könnte.[8]

CAROLINE. Sie können sich für sehr glücklich schätzen, daß ihre Liebe auf ein Frauenzimmer gerathen ist, die in ihrer Art dieselbe an den Tag Anlegen, ihre Aufrichtigkeit und Grösse erkennet, und dabey über die Unhöflichkeit hinsiehet, mit welcher ihre Ausdrücke verknüpft sind. Wenn es ihnen denn unmöglich ist, sich bey der gnädigen Frau einzuschmeicheln, so will ich es bey dem Graf zu ihrem besten thun. So alt er ist, so sehr ist er doch noch durch die Liebkosungen eines Frauenzimmers einzunehmen. Er hat mich bißhertheils selbst, theils durch den scheinheiligen Arnold den tückischen Vertrauten seiner Liebeshändel, verfolgt. Ich will mich stellen, als ob ich seinen verliebten Anfällen, welche er bisher unglücklich auf mich gewaget hat, nicht mehr so vielen Widerstand thun wollte, und als wenn ich – – –

HERRMANN. Machen sie mich lieber durch ihren Haß und durch ihre Verachtung zum unglückseligsten Menschen unter der Sonnen, ehe sie sich und mich so weit erniedrigen; ich liebe sie so sehr, und mein Herz und meine Ehre sind beyde so empfindlich, daß mich auch nur die Hofnung, die sich eine andere Mannsperson, so weit er auch über meinen Stand erhaben ist, durch ihre Veranlassung auf die Eroberung ihrer Tugend machen könnte, in die gröste Raserey stürzen würde. Nein, viel lieber will ich noch ihrem ersten Rathe folgen, ich will dem Graf und seiner Gemalinn schmeicheln, ich will mir den empfindlichsten Zwang anthun, ich will ihnen die Zufriedenheit meines Gewissens aufopfern.[9]

CAROLINE. O Himmel! was für Gewalt hat die Zärtlichkeit über mein Herz! wie glücklich macht sie uns beyde, mein liebster Herrmann! ihre Eyfersucht, so ausschweifend sie auch ist, hat für mich Reitzungen und Vorzüge, die die wenigsten Frauenzimmer zu empfinden fähig sind, diese so heftige Leidenschaft ist den meisten von meinem Geschlechte verhast, weil sie es ihren Leidenschaften nicht zutrauen, eine so grosse Hochachtung zu verdienen. Ich gehorche ihnen, und verlange von ihnen nur die einzige Gefälligkeit dagegen; wenden sie ihr möglichstes an, dieses Amt zu erhalten, und räumen sie dadurch alle Hindernisse aus dem Wege, welche ihnen bisher den Besitz meiner Person noch unmöglich gemacht haben.

HERRMANN. Himmel! das Vergnügen erschöpft mich ganz – – – o lassen sie meinem Herzen Zeit es vollends durchzuempfinden – – – vergieb es mir, o gütiges Schicksal, wenn ich mit deinen Absichten bisher nicht zufrieden gewesen bin, und mich für unglückseliger gehalten habe, als ich es zu seyn verdiene. Ich kan mich so vieles Glückes niemals werth machen. Du hast mich nicht allein mit dem grösten Geschenke auf der Welt, mit einem zärtlichen und empfindlichen Herzen begabet, du schenkest mir auch noch in der Zärtlichkeit eines liebenswürdigen Frauenzimmers die Vergeltung der meinigen. Ich bin von meiner Freude durchdrungen, welche mich ganz ausgeräumt, ganz mit mir zufrieden gemacht hat; Nun will ich zu dem Graf eilen, ich glaube,[10] daß mir bey einer solchen Gemütsverfassung die Schmeicheleyen nicht allein zumessen, sondern auch das Herz meines Herrn zu gewinnen, mächtig genug seyn werden.


Quelle:
Johann Christian Krüger: Die Candidaten, oder: Die Mittel zu einem Amte zu gelangen. [Braunschweig und Hamburg, 1748], S. 3-11.
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