Achter Auftritt.

[32] Tempelstolz, Muffel.


TEMPELSTOLZ. Warum kommen sie denn nicht zur Gesellschaft, Herr Confrater?

MUFFEL. Ich bin eben im Begriffe, zuzusehen, was meine liebe Gäste machen, und womit ich ihnen aufwarten kan.

TEMPELSTOLZ. Ich warte mit Schmerzen auf sie, denn wir haben uns ja so lange nicht gesehen.

MUFFEL. Wie ich gehört habe so sind sie in der Stadt gewesen, Herr Confrater, was bringen sie denn aus derselben neues mit?

TEMPELSTOLZ. Das neueste und das beste für mich ist, daß ich meinen Proceß mit der alten Brigitte gewinnen werde. Ich habe ihr die Ehe versprochen, aber mein Advocat wird mich schon wieder von ihr loszumachen wissen. Würde mich nicht die ganze Welt auslachen, wenn ich meine besten Jahre[32] bey einem alten Hausbesen von 65. Jahren verschwenden wollte.

MUFFEL. Das hätt ich ihnen selbst verdacht. Aber bedenken sie hierbey auch ihr Gewissen? denn sie haben ihr doch durch das Versprechen ihrer Ehe meist 200. Rthlr. abgeschwatzt, durch welche sie die Pfarre bekommen haben; und sie müsten viel leicht diese Stunde noch das A, B, C, in der Armenschule lehren, wann die alte Brigitte nicht gewesen wäre.

TEMPELSTOLZ. Sie wollen selbst ein Geistlicher seyn, und reden doch so gewissenhaft von einer Sache, aus welcher sich kein Geistlicher ein Gewissen macht. Die alte Brigitte und die 200. Rthlr. waren der Weg, den mir der Himmel zeigte in ein Amt zu kommen, aber das glaub ich nicht, daß es der Brigitte hat ein Weg seyn sollen, sich in ihrem Alter zu verheyrathen.

MUFFEL. Freylich, der Himmel hat wunderliche, krumme Wege, einen Candidaten in ein Amt zu verhelfen. Aber wie leben denn die Stadtprediger? sie werden vermuthlich einige besucht haben.

TEMPELSTOLZ. O! die leben weit ruhiger, als wir auf dem Lande, sie haben im Amte und in der Haushaltung wenig zu thun. Sie bekommen auch solche Amtsmässige Bäuche, welche den Gemüthern ihrer Zuhörer die gröste Ehrfurcht für ihre Heiligkeit einjagen. Meinen ersten Besuch hab ich bey[33] dem alten Herrn Hieronymus abgestattet; der Mann ist in seinem Amte recht fett geworden. Er bleibt noch immer bey seinem Jahrgange. Nun ist er beynahe 30 Jahr im Amte. In den 3 ersten Jahren hat er alle seine Predigten von Wort zu Wort studiret, in den folgenden Jahren aber nur besser auswendig gelernt; er hat also jede Predigt schon 10 mahl hergesagt. Davon ist er ihrer so geläuftig geworden, daß er ietzo weiter nichts thun darf, als des Sonnabends das Concept hervorsuchen, des Sonntags Morgens einmahl durchlesen, und dann um 9 Uhr dasselbe seiner Gemeine noch einmahl vorbeten, was er ihr schon vor 30 Jahren, und seitdem schon zehnmahl, in eben dem Thone vorgesagt hat. Ich werde ihm nach seinem Beyspiele folgen. Drey Jahre werden mir sauer werden, da werd ich viel auszuschreiben und auswendig zu lernen haben; doch, dafür kan ich auch 20 oder 30 Jahre lang faullenzen.

MUFFEL. Auf diese Weise muß ja dem Herrn Hieronymus die Zeit erschrecklich lang werden, weil er die ganze Woche hindurch nichts zu thun hat. Oder schreibt er vielleicht Bücher?

TEMPELSTOLZ. Er ist zwar ein grundgelehrter Mann, aber mit dem Bücherschreiben giebet er sich nicht ab. Er kan seine Zeit besser und geruhiger hinbringen. Wann er um 9 Uhr aufgestanden ist, bis 10 Uhr Thee getrunken,[34] bis 11 Uhr sich angezogen, bis 2 Uhr gespeiset und bis 3 Uhr Mittagsruhe gehalten hat; So besucht er einen frommen und reichen Bürger, oder einen andern Vornehmen, der ein Cliente von ihm als seinem Beichtvater ist. Diese frägt er nach dem Zustande ihrer Seelen, und fährt mit seinen theologischen Reden so lange fort bis der Coffee oder der Wein auf den Tisch kommt, oder bis sie mit ihm in einen Garten fahren, oder das Abendessen anrichten. Bey diesen Gelegenheiten fallen zuweilen genug zeitvertreibende Discurse vor, oder die Gesellschaft ist auch an sich schon angenehm, zumahl wenn artiges Frauenzimmer darunter ist. Wann er nicht ausgeht, so hat er seine Concepte durchzusehen, welche er ietzund ins reine schreiben läßt, weil er alle seine Predigten herausgeben will.

MUFFEL. Das wird eine brave Postille werden. 3 Predigten über ieden Text! Es wir doch alles in der Welt leichter gemacht. Unsre Nachkommen werden schon besser predigen, als wir, denn sie bekommen grössere Postillen.

TEMPELSTOLZ. Ueberdem von einem so gelehrten Manne, der schon 20 Jahr im Amte ist, und ein ganzes Zimmer voll Postillen hat.

MUFFEL. Aber die Stadtprediger werden doch wohl nicht so von ihren Gemeinen beschenkt, als wir von den Bauern?[35]

TEMPELSTOLZ. Das sagen sie nicht, Herr Confrater. Sie wissen schon ihre Rechnung bey den Vornehmen zu machen, sie wissen ihnen auf die höflichste Art die Geschenke abzunehmen. Kennen sie nicht den andächtigen Mann, den Herr Tartüffe?

MUFFEL. Ich habe ja mit ihm auf dem Hällischen Waysenhause studirt.

TEMPELSTOLZ. Der weiß am besten, wo der Bürger am barmherzigsten ist. Er hält wöchentliche Erbauungsstunden, un merkt sich in denselben die reichsten Weibespersonen, denn diese besuchen seine Versammlungen am häuffigsten. In der Betstunde sucht er sie alle erst zum Weinen zu bewegen, welches ihm sehr leicht wird. Wenn er sie nun recht weichherzig gemacht und die Stunde geschlossen hat, so gehet er zuerst heraus, stellt sich an die Treppe, läßt sie alle vor sich vorbeygehen, und grüßt iede überaus verliebt und geistlich. Geht eine vor ihm vorbey, von der er sich vermuthet, daß sie reich ist, und die in der Stunde brav geweint hat, so ruft er sie zurück, und läßt sie seitwärts treten. Wann denn vier oder fünfe auf ihn warten, so ruft er eine nach der andern in seine Stube, ermahnt sie ernstlich, fallt mit ihnen auf die Knie, und nimmt endlich auf eine besondere freundliche Art von ihnen Abschied. Diese einfältige Bürgerfrauen verlieben sich bey dieser Gelegenheit in seine andächtige Minen,[36] ohne es selbst zu wissen. Sie halten diese heimliche Liebe für nichts anders, als für einen ihnen vom Himmel eingegebenen Trieb, dem Herrn Tartüffe Gutes zu thun. Dieser Trieb wird sodann so rasend, daß sie alles, was sie ihren Männern heimlich entwenden können, dem Herrn Tartüffe ins Haus bringen.

MUFFEL. Darüber geräth aber der Bürger zuweilen, ohne zu wissen wie es zugeht, in die empfindlichste Armuth?

TEMPELSTOLZ. Was ist daran gelegen? wenn der Geistliche nu reich dadurch wird.

MUFFEL. Das ist endlich wahr, dafür hilft der Priester den Bürger auch in den Himmel. Aber stehen die Herrn Stadtprediger auch in solchem Ansehen, als wir bey dem Bauer?

TEMPELSTOLZ. Warum zweifeln sie daran? der Vornehme läßt sich öfters ärger betrügen als der Bauer. Herr Tartüffe nannte mir eine gewisse junge Gräfin, einen Geheimen Rath, und eine der reichsten Bürgerfrauen in der Stadt, welche den Augenblick an ihrer Seligkeit verzweifeln wurden, wann sie eine von seinen Predigten versäumten. Der Gräfin hat er neulich das tausendjährige Reich abgeschildert, und zugleich die Vorzüge beschrieben, welche darin das unverheyrathete Frauenzimmer vor dem andern haben würde. Hiedurch hat er eine Heyrath eines vornehmen Kriegesbedienten hintertrieben, weil die Gräfin mehr als andre[37] im tausendjährigen Reiche seyn wollte. Und diese Mühe ist dem Herrn Tartüffe mit 50 Pistolen von einem Hofcavallier bezahlt worden, welcher die Gräfin gleichfalls liebte. Damit aber der Hofcavallier in seiner Liebe glücklich würde, so fieng er wieder ein Gespräch vom tausendjährigen Reiche mit ihr an, und setzte hinzu, daß die Matronen, welche in ihrer Ehe 7 Söhne zeugten, noch über dem unverheyratheten Frauenzimmer den Rang haben würden; er machte ihr zu 7 Söhnen Hoffnung, sie glaubte ihm, und gab dem Hofcavallier die Hand, von welchem Herr Tartüffe noch einmahl 50 Pistolen empfieng.

MUFFEL. Der Streich ist werth, daß er zum ewigen Ruhme des Herrn Tartüffe in einem Kirchenbuche aufgezeichnet wird.

TEMPELSTOLZ. Er stehet bey den Genannten, und noch einigen andern, in solchem Ansehen daß er die armen und dabey frommen Studenten nur mit einem Zeugnisse an sie herumschicken darf, wann er ihnen wohlthun will. Sobald diese Vornehmen nur seine Schrift erblicken, so greift auch die Hand schon in die Goldbörse, und kehrt niemals ohne einen Dukaten zurück. Auf solche Weise sammlet sich der Student zuweilen 30 bis 40 Rthlr. und der vierte Theil da von gehört allemahl dem Hrn. Tartüffe.

MUFFEL. Auf die Art würde ich mich auch nicht übel in die Stadt schicken, denn ich habe[38] auch auf dem Hällischen Wäysenhause studirt.

TEMPELSTOLZ. Was haben sie nun aber auf dem Lande in der Zeit für neues gehabt, da ich in der Stadt gewesen bin?

MUFFEL. Ich habe in den vier Wochen nur eine Hochzeit gehabt, Herr Confrater, aber sie war fett. Ich habe 2 Braten, einen Kuchen, ein Huhn, und eine Gans mit nach Hause gebracht.

TEMPELSTOLZ. Sind sie auch brav lustig darauf gewesen?

MUFFEL. Das will ich hoffen, Herr Confrater; die Bauern fürchteten sich erst und wollten vor mir nicht tanzen, aber ich ließ selbst die Musikanten aus der Schenke holen, und machte mit der Braut den Anfang. Zu den Bauern sagte ich zwar, daß ich es meiner Gesundheit wegen thäte, aber im Ernste that ich es der Braut zu gefallen, denn sie war hübsch. Die schöne Käthe aus ihrem Dorfe war auch auf dieser Hochzeit.

TEMPELSTOLZ. Haben sie denn mit der auch getantzt Herr Confrater?

MUFFEL. Mit ihr? nach der Braut am allermeisten.

TEMPELSTOLZ. So wolte ich auch lieber, daß die schöne Käthe zu Hause geblieben wäre.

MUFFEL. Lassen sie uns nun auch einmahl zur Gesellschaft gehen, die wird nicht wissen, wo wir uns aufhalten.[39]

TEMPELSTOLZ. Wenn ich die Wahrheit sagen soll, so bin ich lieber mit ihnen allein, denn der Herr Wahrmund kömmt mir zu klug vor, der kan uns noch wohl gar Händel machen.

MUFFEL. Da weiß ich guten Rath für, wir müssen so heilige Minen annehmen, als ob wir ihm die Beichte verhören wollten.


Sie gehen ab.

Ende der ersten Handlung.


Quelle:
Johann Christian Krüger: Die Geistlichen auf dem Lande. Frankfurt und Leipzig 1743, S. 32-40.
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