Neunter Auftritt.

[122] Frau von Birkenhayn, vorige.


FRAU VON BIRKENHAYN. Ach! laß dich umarmen du frommes Kind. Seit dem du dich von der Vernunft und der Weltweisheit befreyen lassen, hab ich dich aufs neue, wo nicht gebohren, doch wieder gefunden. Nun erkenne ich dich wieder für meine rechtmässige Tochter.

WILHELMINE. Wie glücklich machen sie mich, allerliebste Mama, daß sie mich die zärtliche Mutterliebe wieder geniessen lassen welche sie mir seit einigen Jahren zu meiner nicht geringen Betrübniß versagt haben![122] Aber um wie viel würden sie mich glücklicher machen, wann sie diese Liebe aus einem andern Grunde mit mir erneuerten! Ich bin nicht, wie sie meynen, meiner Vernunft von Muffeln beraubet worden, ich habe auch die Liebe gegen eine Wissenschaft, welche einen grossen Theil meiner Glückseligkeit ausmachet, in keinen Haß verwandelt, wie ihnen fälschlich berichtet worden.

FRAU VON BIRKENHAYN. Ja, ja, meine Tochter, glaube du, was dir Herr Muffel sagt. Ist das nicht betrübt? da du so glücklich bist, unvernünftig, und eine Feindin der Weltweisheit zu seyn, wilst du es nicht einmal glauben.

HERR VON ROSENECK. Die Fräulein wird doch aber besser wissen, Frau Schwester, ob sie vernünftig oder unsinnig, und eine Feindin der Philosophie ist, als Muffel?

FRAU VON BIRKENHAYN. Nein, das muß der Herr Pastor am besten wissen, der hat ja die Vernunft und die Weltweisheit ausgetrieben, er wurde es ja nicht sagen, wenns nicht wahr wäre.

HERR VON ROSENECK. Laß sie es ihn immerhin sagen, hat er ja heute doch nicht die erste Unwahrheit gesprochen.

FRAU VON BIRKENHAYN. Er hat aber ja einen dicken Nebel von meiner Tochter bey der Beschwörung aufsteigen gesehen; der dicke, stinkende, giftige Nebel kan ja nichts anders, als die Vernunft gewesen seyn.[123]

HERR VON ROSENECK. Warum hat aber ihre Fräulein-Tochter den Nebel nicht so gut, ja nicht noch besser, als der Herr Muffel, sehen können?

FRAU VON BIRKENHAYN. Sie ist ja noch lange nicht so erleuchtet als er. Sie werden doch den Geistlichen schärfere Augen des Verstandes zutrauen als andern Leuten.

HERR VON ROSENECK. Ja sie können besser hören und sehen, als wir, sie haben freylich recht, Frau Schwester. Kein Sonntagskind wird die Gespenster so gut sehen können, als die Geistlichen, wann es nur zu ihren Absichten was beyträgt, dieselben gesehen zu haben. Sie sehen in Cometen, und andern außerordentlichen Erscheinungen, Pest, Hunger, und Blutvergiessen vorher, denn sie erhalten dadurch ihre Gemeine desto besser im Aberglauben, welches ihnen nicht wenig einträgt. Sie sehen und hören in der Welt mehr böses, als drinnen ist, weil sie zwar gern selbst lasterhaft seyn wollen, aber andere Leute doch noch lasterhafter als sich wünschen, damit sie Materie zu den Predigten behalten – – – Aber, was wird da für ein Lerm? ha! ha! die beyden frommen Herren zanken sich; ist das auch eine Tugend an den Geistlichen, Frau Schwester?

FRAU VON BIRKENHAYN. Sie zanken sich nicht, sie eyfern nur für die Ehre des Himmels.


Quelle:
Johann Christian Krüger: Die Geistlichen auf dem Lande. Frankfurt und Leipzig 1743, S. 122-124.
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