Der 7. (22.) Kühlpsalm

[64] Als er am Palmsonnabend oder 2. Apr. von Paris aufgebrochen, über Melun, Montereau, Sens, Roy, Auxerre, Challon, Mascon am 10. Tage, den 11. Apr. in Lyon, mit seinem Hause ankommen; gesungen auff der Rhosne zwischen Lyon und Vienne den 15. Aprill 1678 zum gedächtnüs.


1.

Gottlob, das ich so weit gekommen,

Und noch bisher kein Leid vernommen,

Das aller Rath zunichte geht,

Und Gottesschlus mit mir besteht.


2.

Was ist mir nicht stets zugehangen?

Allein ich bin durch Gott entgangen.

Di Feinde sind durchausverblendt:

Gott macht, das ich bis Win gelendt.


3.

Lyon, Lyon! von dem entsprungen,

Was erst auf Rom ist angedrungen!

Du bleibst nun recht der Wunderort,

Der seinesgleichen bringet fort.


4.

Du bist di erste Glaubens Amme!

In dir entbrandt di Warheitsflamme:

Der Zeugen paar kam hir zu fus,

Dadurch einst Rom verbleichen mus.


5.

Von Waldus ward in dir entzündet,

Drauf Wiclef, Hus, und Zwingel gründet:

Was erst in dir ward vorgestellt,

Hat Luther und Calvin durchhellt.


6.

Nun sol aus dir, Lyon, entbrennen,

Was Rom auf ewigst wird zertrennen:[64]

Ich nah und nah Avenion,

Dem selbstzerbrochnem Romesthron.


7.

Wi diser Flus zum Meere eilet,

Und mit dem Schifchen hurtig pfeilet:

So laufft vom bogen gleicher eil

Durch hundert Jahr der Morgenpfeil.


8.

Wil gleich der grimm mich unterbringen?

Umsonst! es mus ihm misgelingen!

Dann Gott der Herr zeigt mirs im traum,

Was Satan hat erwekket kaum.


9.

Vil tausend qual wil mich offt ängsten:

Doch ist di furcht allein am bängsten.

Dann Jesus kommt und zeigt es an,

Das bald der feinde schlus gethan.


10.

Wann sich mein hertz beginnt zugrämen,

Wo ich den weg sol weiter nehmen,

So wird es mir im innern strahl,

Wi Petrus einst, bestrahlt di wahl.


11.

Ob alles sich scheint zuverdrehen,

So merket Gott doch auf mein flehen:

»Gleichwi ein Vater strafft sein kind:

So strafft mich Gott vor unsre sünd.«


12.

Wir müssen nur vernunfft einhalten,

Und lassen Gott alleine walten.

Er spilt mit uns nach Vatersart:

Verwirfft, wann er uns gantz bewahrt.


13.

Gott libt allein ein kindlich üben:

Gehorsam sein ist unser üben.

Der eigenkopf wird stets verflucht,

Weil er di höllenweise sucht!


14.

Höhrt, Menschen, höhrt: es ist vom Teuffel

An Gottesführung haben zweiffel!

Jehova ist, der uns gebahr:

Drum nimmt er seiner kinder wahr.


15.

Schaut nur auff Gott, der uns geschaffen!

Begehret ihm nichts nachzuaffen![65]

Dis ist, geschöpfte, euer thun,

Wo ihr aus Gott in Gott wollt ruhn.


16.

Als Lucifer dis hat verachtet,

Und eigner herrschafft nachgetrachtet,

Verfil er (ach!) in höllenschlund,

Und Gotteszornesfeuergrund.


17.

Der Adam ward zum fall bewogen,

Als eigenwitz sein will gesogen!

Der ungehorsam kam daraus,

Und stis ihn (ach!) von Eden aus.


18.

Selbst Jesus Christus hat genesen

Durch den gehorsam sein verwesen:

Drum bleibet ihm der Sonnenstuhl,

Und Lucifern der Schwefelpfuhl.


19.

Imehr aus Jesussam gebohren:

Imehr sind wir von Gott erkohren.

Imehr erlöst vom Schlangverderb:

Imehr auch unsers Vatern Erb.


20.

Was thaten doch di Patriarchen?

Si flohen Kaines eigenschnarchen.

Gantz kindisch ward ihr lebensgang.

Und gar zuwider Esaus fang.


21.

Der Abraham ist auch verreiset,

Nicht wi sein witz, nur Gott geweiset:

Sein einfalt war gewaltsam gros,

Drum überstund er manchen stos.


22.

Ich höhr und höhr offt vil gelächter,

Ja überall nur vil verrächter:

Doch Cain und Esau ist beschmertzt,

Das er di Erstgeburt verschertzt.


23.

Di Kinder Gottes sind ohnmächtig,

Und ihre Feinde reich und prächtig:

Doch wann Egypten Jacob klagt,

So wird erst Esau Sinn genagt.


24.

»Ob meine Reis heisst sonder sinnen,

Ein hoch vermessenes beginnen:[66]

Doch stehe Sodoms Volk verirrt,

Bis si das Himmelfeur entwirrt.«


25.

Du aber, Gott, wirst mich beglükken,

Und voller stärk nach Rom mich schikken,

Das du, Gott Vater, Sohn und Geist,

Vor allen Völkern seist gepreist.

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 1 (Buch 1–4), Tübingen 1971, S. 64-67.
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