Der 2. (62.) Kühlpsalm

[10] Als er von Lutetien an der Ostervormittwoche aufbrechend, über Peronne, Cambray, Valencyn, Mons, Halle, Brüssel, Antwerpen, Sevebergen, Yselmonde, Rotterdam, nach 15 tagen am 1 Mai um 5 uhr abends, zum dritten und sibenden mahle nach Amsterdam kommen, und nun mit Johannes â Cruce den Berg Carmel durch di dunkle nacht, mit der lebendigen Libesflamme, nach seinem eignem Groscentrum aufstig, dem Jesuelischem Jerusalem heimlichst nahend den 26 Julius 1680.


1.

In einer dunkler nächte,

Als Libesangst beflammend mich durchwerkt,

(O fall vom Glükksgeschlechte!)

Entkam ich, allen unbemerkt,

Da schon mein Haus di still und ruh verstärkt.


2.

Im dunklen, doch satt sicher,

Di treppen warn geheim und ich verkleidt,

(O fall vor glükkesbücher!)

Das finstre gab verhohlenheit,

Da schon mein Haus gestillt zu diser zeit.


3.

In jener Nacht voll segen;

Im dem geheim, da keiner mich erblikkt,

Noch ich was sah bewegen;

Da A.L.L.E.S. Licht und A.L.L.S. entrükkt,

Ohn das im hertz auslodernd mich beglükkt.
[10]

4.

O lebend Libesflamme,

Di liblichst trifft den tiffsten Seelengrund!

Nun bäumstdu sanfft im stamme!

Ei liber, mach das ende kund!

Reiss das geweb im Süssen anlauffsrund!


5.

O liblichzartes Brennen!

O sanffte hand! O überzarter grif!

Er schmekkt ein ewigst kennen,

Löst alle schuld, di mir nachlif!

Du tödtst den Tod, durchlebst ihn ewigtif!


6.

O feurge Lampenfeuer!

In deren glantz di tiffsten Sinngrüfft licht!

Vor dunkle Nachtgeheuer,

Nun voll gewohnter Prachtgesicht!

Ihr hitzlicht strahlt dem Libsten gleicher pflicht.


7.

Wi sanfftmuttvoller Libe

Erwachstdu mir, Geheimster, auf der Schos?

Welch süste Athemtribe?

Voll gutts und ehr, di Sinnenlos!

Entzündstdu so? Ich sink auf dich mir blos.


8.

Das Bett ist gantzdurchblühmet,

Mit Löwen ist behöhlet rings sein Ring!

Bepurpert, als gezihmet,

Im frid erbaut, voll wunderding!

Ja tausend schild von gold warn hir gering.


9.

Aus Blumen und Gesteinen,

Di höchster früh erlesen aller art,

Las uns di kräntze feinen!

Si blühn in Lib aus dir gepaart:

Dis einge haar hat si sehr fest bewahrt.


10.

Zu felses höhlen höhen

Eiln wir zugleich still zum granatmost ein.

Des Feinds sein vergehen

Entlägert Uns. Das feld ist rein.

Der Wasser Schall macht A.L.L.E.S. dein und mein.


[11] Zweiter Theil,

Als er aus Amsterdam den 19 August geheim ausreiste, durch Rom und Alcair nach Jerusalem gedenkend; noch geheimer in der 144 stunde mit wundern nach Amsterdam zurükkgetriben ward; und am allergeheimsten zukünfftige Jerusalemsche Verhohlenheiten austhönte den 29 Aug. 1680.


1. 11.

Recht dunkelt mich das dunkel,

Weil Wesenheit so heimlichst anbeginnt!

O seltner Glükkskarfunkel!

Es strömt, was euserlich verrinnt,

Und wird ein Meer, was kaum ein bächlein gründt.


2. 12.

I dunkler, imehr lichter:

I schwärtzer A.L.L.S., i weisser weisst sein Sam.

Ein himmlisch Aug ist Richter:

Kein Irdscher lebt, der was vernahm;

Es gläntzt imehr, i finster es ankam.


3. 13.

Ach nacht! Und nacht, di taget!

O Tag, der nacht vernünfftiger Vernunfft!

Ach Licht, das Kaine plaget,

Und helle strahlt der Abelzunfft!

Ich freue mich ob deiner finstern Kunfft.


4. 14.

O längsterwartes Wunder!

Das durch den kern des gantzen Baums auswächst!

Du fängst neu Edens zunder!

Ei liber, sih mein hertze lächst!

Es ist genug: Höhr, was es innigst ächst.


5. 15.

O unaussprechlichst Blauen!

O lichtste Röth! O übergelbes Weis!

Es bringt, was ewigst, schauen,

Beerdt di Erd als Paradeis;

Entflucht den fluch, durchsegnet iden reis.


6. 16.

O Erdvir! Welches Strahlen?

Der finsterst ist als vor di lichtste Sonn.

Krystallisirtes Prahlen!

Di Welt bewonnt di Himmelswonn:

Si quillt zurükk, als wäre si der Bronn.
[12]

7. 17.

Welch wesentliches Bildnis?

Erscheinstdu so, Geheimste Krafftfigur?

Wi richtigst, was doch wildnis?

O Was vor zahl? Ach welche spur?

Du bists, nicht Ich! Dein ist Natur und Cur!


8. 18.

Di Kron ist ausgefüllet,

Di Tausend sind auch überall ersätzt:

Geschehen, was umhüllet;

Sehr hoher röth, höchst ausgeätzt,

Das alle kunst an ihr sich ausgewetzt.


9. 19.

Di Lilien und Rosen

Sind durch sechs tag gebrochen spat und früh:

Si Kräntzen mit libkosen

Nun dich und mich aus deiner müh.

Dein Will ist mein, mein will ist dein: Vollzih.


10. 20.

Im Jesuelschem schimmer

Pfeiln wir zugleich zur Jesuelschen Kron:

Der Stoltz ist durch dich nimmer!

Er ligt zu fus im höchstem hohn.

Ein ander ist mit dir der Erb und Sohn.


Dritter Theil,

In ansehung seines Majens, Junius, Julius, Augustus, Septembers in Amsterdam; vorsehung des Künfftigen Octobers, Novembers, Decembers, Jenners, Februars in Amsterdam und nachsehung seiner 304 Monden, und der Christenheit 304 Jahre, von 1651 bis 1955, und 1670 bis 1696; höchstbeweget ausgethönet zu Amsterdam am 147 tage, den 25 Sept. 1680.


1. 21.

Klarlichte Dunkelheiten!

Dikkdunkler glantz, der mich nun rings umgibt!

Gottlob vor dis bereiten.

Wi? wird verhasst, was vor gelibt?

Gelibt mit ernst, was man mit ernst geSIBT?
[13]

2. 22.

Gottlob, es ist vorüber!

Schon gantz vollbracht, da nichts vollbracht noch scheint!

Gottlob, das feur ist über!

Das Licht ist da, so hoch gereint!

Gerheint, Gottlob. Das Weinen ist entweint.


3. 23.

Das Licht ist durchgebrochen!

Es reisst vom feur mit sanfftmuttreicher kühl!

Di Süsse wird gerochen!

Nun hat verspilt das Sternenspil!

Sein Uhrwerk stekkt! Verrükkt ist Reich und Zil!


4. 24.

O heiligfünfftes Wesen!

Der Thire Vir wird (Wonn!) in dir entthirt!

Dein Thron ist auserlesen!

Pfeil eilends, pfeil! Es ist vollführt!

Das bald di Welt durch dich di Welt regirt!


5. 25.

O Reich von allen Reichen!

Des Davids Reis! Des Constantinus Bluhm!

Der Engelwelt zugleichen!

Des ersten Adams erster ruhm!

Du Jesuels gesegnet Herrschafftsthum!


6. 26.

O Reich voll Jesusgaben!

Voll höchster pracht, geerndtet von der Erd!

Ihr inners ist erhaben!

Ihr irrdsches himmlisch durchgeklährt!

Ein Himmel wird dem Himmel dargewährt!


7. 27.

Groskönig aller König!

Wi strahlstdu schon in deinem Erbschafftsrecht?

So gros und ist noch wenig!

So hoch und nur ein Vorgeschlecht!

Was bistdu selbst, wann dis schon ist dein Knecht?


8. 28.

Di Weisheit millionet!

Ein tröfchen ist, was vor ein grosser Flus!

Si ist höchstangethronet!

Es Jesuelt si Jesus Kus!

Der ewig wächst und ewigst wachsen mus!
[14]

9. 29.

Aus allen deinen glidern,

Herr Jesu Christ, entsteht ein Kurtzbegrif!

Nun wilstdu höchst dich brüdern

Wi stets dein Mund aus Seth ausrif:

Vergottest Uns, vermenschest dich gantz tif.


10. 30.

Das Dreireich, das gezweiet,

Heiln wir zugleich, weil Du und wir Uns eins.

Wir sind durch Dich befreiet!

Befreuet, Ach! Der Feind hat Keins!

Printz Jesus steint den Stein des Kaisersteins.

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 2 (Buch 5–8 u. Paralipomena), Tübingen 1971, S. 10-15.
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