2.

[37] Eines Tages sagte Markgraf Karl (nach Andern war es Markgraf Hans) seinem Kutscher, ob er thun wolle, was er ihm befehlen werde, und als der es versprach, sagte er ihm, er solle am andern Tage, wenn seine Frau ihre gewöhnliche Spazierfahrt mache, mit ihr zu dem Thore hinausfahren, welches sie ihm nennen werde, bei der Rückkehr aber solle er nicht zum Schloße, sondern mitten auf die Oderbrücke hinauf und von dort hinab in den Strom hineinfahren. – Andern Tages nun verlangte die Markgräfin vor's Berliner Thor zu fahren, und das that der Kutscher auch; als sie aber draußen waren, ging es ihm doch an's Herz und er erzählte ihr, was ihr Mann ihm befohlen. Da hieß sie ihn grades Weges nach Berlin zu ihrem Bruder fahren, aber so rasch als nur immer möglich. Unterdeß lag der Markgraf im Fenster und wartete, daß die Markgräfin angefahren käme; als sie aber immer noch nicht erschien, da merkte er wohl, was geschehen war, setzte sich eiligst zu Pferde und jagte ihr nach; allein sie hatte einen zu großen Vorsprung gewonnen und er kam erst eine halbe Stunde später als[37] sie beim alten Fritz an. Da wußte der nun schon alles, war gewaltig bös und sagte: »Du hättest das Jungfernküssen verdient oder gar lebendig eingemauert zu werden, allein das will ich dir diesmal noch schenken; doch deiner Frau bist du nicht werth, die bekommst du nicht zurück!« Und so ist es denn auch geschehen; die Markgräfin ist in Berlin geblieben und so auch der Kutscher, denn wäre der nach Schwedt zurückgekehrt, so würde der Markgraf es ihm wohl eingetränkt haben.

Quelle:
Adalbert Kuhn / W. Schwartz: Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen. Leipzig 1848, S. 37-38.
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