[27] »Frau Sonnenwirtin, jetzt ist's an mir!« rief der ältere von zwei Männern in hellblauen Wämsern, die am Wirtstische saßen. »Bringt nur gleich zwei Bouteillen auf einen Streich. Und wenn das Vermögelein draufgehen sollte, der Friede muß stet und fest sein. Man sagt ja, ein Prozeß sei etwas Fettes. Nun gut, auf etwas Fettes muß man brav trinken, damit's einem den Magen nicht verdirbt.«
»Nach Befehl!« erwiderte die Wirtin, eine große schlanke Frau, aus deren gelblichem Gesichte starke Knochen hervortraten; und die Flaschen auftragend fuhr sie fort: »G'segn's Gott, ihr zwei Müller, Ober und Unter! Das ist das wahre Wasser auf eure Mühlen und wird sie besser treiben als das Haderwasser, dem ihr einige Zeit her den Zugang verstattet habt. Ja ja, ich gratulier! Ein fetter Vergleich ist besser als ein magerer Prozeß. Das Sprichwort sagt's zwar umgekehrt, aber ich hab doch recht. Auch ist's gescheiter, das Geld in die Sonne zu tragen, als zum Advokaten, denn bei dem wär't ihr doch nicht so 'ring durchgekommen, wie mit so ein paar Bouteillen Zehner.«
Die beiden Zunftgenossen, welche einen über ihre Gerechtsame entstandenen Streithandel noch beizeit geschlichtet hatten, ließen ihrer guten Laune vollen[27] Lauf. Sie saßen schon den halben Nachmittag hinter ihrer Friedensflasche und hatten, wie das in solchen Fällen zu geschehen pflegt, die streitigen Punkte sowie die Gründe, die zur Beilegung rieten, mehr als ein dutzendmal umständlich durchgesprochen. Lachend trank der jüngere der Wirtin zu, der ältere aber bedachte sie mit einer derben Liebkosung. – »Was die Sonnenwirtin noch ein fester Kerl ist!« rief er, »ich glaub, die wär Manns genug, um noch Zwillinge zu bringen.«
Die Frau schoß einen scharfen Blick aus ihren grauen Augen auf den Necker, stieß ihn mit einem halb scherzhaft, halb ernstlich gemeinten Scheltwort zurück und verließ, ihren Geschäften nachgehend, das Wirtszimmer.
»Ich glaub, Euch juckt's schon wieder nach einem Prozeß, Vetter!« sagte der jüngere Müller lachend. »Paßt nur auf, die da versteht keinen Spaß. Ihr werdet wohl wissen, daß man ihr kein gebrannteres Herzeleid antun kann, als wenn man sie an ihre Kinderlosigkeit erinnert.«
»Weiß wohl«, entgegnete der andere, »und ebendarum hab ich's getan, weil ich die neidige, gelbe, giftige Kröte noch gelber sehen will, als unser Herrgott sie geschaffen hat. – Komm her, Peter«, unterbrach er sich, einem Eintretenden zurufend, »du hast treulich mit zum Frieden geraten, nun ist's billig, daß du auch mit uns trinkst. Ihr werdet nichts dagegen haben, Vetter, wenn ich meinem Knecht einschenke? Hol dir ein Glas und geh her.«
Der Knecht tat, wie ihm geheißen wurde, und setzte[28] sich dann hinter einen andern Tisch auf die Bank, die vorm Ofen längs der Wand hinlief. Von dort aus nahm er seinen wohlberechtigten Anteil am Gespräch, stellte sich auch in seinem Reden und Benehmen völlig auf den Gleichheitsfuß mit seinem Herrn und dessen Gefährten; nur dadurch, daß er nicht unmittelbar bei ihnen Platz nahm, beobachtete er den Standesunterschied.
»Der gelbe Neidteufel!« fuhr der obere Müller fort. »Man darf nur den Sonnenwirt vergleichen, was er unter seinem ersten Weib für ein Mann war, und was er unter dem dürren Rippenstück für einer geworden ist. Damals war er aufgeweckt und kameradschaftlich und gar nicht b'häb in Handel und Wandel und Geldsachen. Jetzt ist er schwach und hat keinen eigenen Willen mehr, dabei aber gegen andere Leute ein wahres Untier an Geiz und Hochmut. Der alte Kerl, er trägt den Kopf wie ein Edelmann und meint wahrhaftig, er sei aus anderem Teig gebacken als wie unsereiner.«
»Das macht eben der Reichtum«, sagte der Knecht von seiner Bank herüber.
»Ja, er ist grausig reich«, versetzte der untere Müller. »Der Holzschlegel rindert ihm auf der Bühne. Er wird wohl auf zwölftausend Gulden geschätzt. Aber freilich, wie Ihr sagt, Vetter, so verhält sich's: er ist b'häb und faßt das Tuch an fünf Zipfeln.«
»Ja, und guckt in neun Häfen zumal«, fiel der andere ein.
»Wo der gedroschen hat, darf man kein Korn mehr suchen«, ergänzte der Knecht.[29]
»An all dem ist das vorteilhaftige böse Weibsbild schuldig! Sie will alleweil oben hinaus; sie möcht's gern der Pfarrerin und der Amtmännin gleichtun, schmeichelt sich auch bei ihnen an und verlästert andere Leute, denn das hören solche Frauen immer gern. Oh, die ist falsch wie Galgenholz. Und wie ist sie nur mit ihren Stiefkindern umgegangen! Die hat sie von Anfang an zurückgesetzt und verkürzt, in der Meinung, sie werde eigene bekommen, und wie das nicht eingetroffen ist, so hat sie's ihnen aus Mißgunst noch ärger gemacht. Die älteste Tochter hat den kahlköpfigen, trockenen Krämer da drüben geheiratet, um nur aus der Hölle loszuwerden. Die andere, die Magdalene, tät, schätz ich wohl, mit einem Frosch vorliebnehmen, wie die Prinzessin im Märlein.«
»Ihr trefft den Nagel auf den Kopf, Vetter?« rief der jüngere Müller mit mürrischem Lachen. »Wie? oder wißt Ihr's nicht? Hat ein blindes Schwein eine Eichel gefunden?«
»Nun, was ist's denn?«
»Habt Ihr den Laubfrosch noch nie aus und ein gehen sehen? Wißt Ihr denn nicht, was man für Werg an der Kunkel hat?«
Der andere schüttelte den Kopf.
»Das Ausrufungszeichen in dem froschgrünen Rock!« fuhr der jüngere hitzig fort. »Er sieht akkurat aus, wie Ihr ihn gestempelt habt. Seid Ihr denn heut ganz auf den Kopf gefallen?«
»Was, der Bartkratzer, der sogenannte Herr Chirurgus, der Heuchler, der Kopfhänger, die magere Kuh[30] Pharaonis? Jetzt wird mir's anders! Jetzt hab ich eine Stärkung vonnöten! Kommt, Vetter, ich will's an Euch hinlassen.«
Damit erhob er sein Glas. »Ich will's ausstehen«, erwiderte der andere mit sauersüßer Miene, kam ihm mit dem seinigen entgegen, und sie stießen miteinander an. Nachdem der Knecht durch einen Wink beschieden worden war, den Dreiklang voll zu machen, lehnte sich der ältere Müller in seinen Stuhl zurück und fuhr verwundert fort: »Ei so guck einer! Der Alte schlägt seine Mädchen doch recht unterm Preis los, denn die paar Fußbreit Grundherrschaft, die der grüne Darmfeger besitzt, werden justement einen Sack Erdbirnen ausgeben, und was er jahraus, jahrein mit seiner Rasiererklinge aus den hiesigen Schweinsborsten und Igelsstacheln heraussticht und schabt, das wird ihn auch nicht gerade fett machen. Die Figur gibt's. Aber der Alte trifft zwei Fliegen mit einem Schlag. So ein Schlucker darf kein groß Heiratgut fordern; da behält der Schwäh'rvater seine Kronentaler brav in der Truhe und hat noch den Profit, daß ihm der fromme Schwiegersohn, so oft er den Morgen- und Abendsegen liest, um ein baldsanftseliges Ende betet. Seine erste Tochter wird auch nicht viel mitbekommen haben, wie er sie hinausgegeben hat; denn ich seh just nicht, daß ihr Eh'krüppel sonderlich stark spekuliert, weder in Käs noch in Schwefelhölzlen. Ekonträr, im Gegenteil, seine Firma geht einen sehr bedächtlichen Gang und blüht wie die späten Obstsorten; ich glaub, er hat's aufs langsam reich werden[31] angelegt. Aber es ist doch ein Herr Handelsmann, in Stuttgart heißen sie's gar Kommerzienrat, und das ist Numero zwei. Den neuen Schwiegersohn kauft er vielleicht noch wohlfeiler, und das ist noch ein kostbarerer Artikel, das ist gar ein halber Doktor. Die Frau Chirurgussin wird sich natürlicherweise Flügel an die Haube machen lassen müssen, wenn sie mit der langen froschgrünen Stange ranggemäß über die Straße rudern will. Schad ist's übrigens um die Magdalene. Sie gäb grad so einen Arm voll für einen wackern Junggesellen, wie Ihr z.B., Vetter. Aber so weit gibt sich der Hochmut nicht herunter, unsereiner ist ihm nicht gut genug; so eine Rasierklinge ohne Handhab' schneid't ihm immer noch besser. O blinde Welt! Die Hand vom Butten, Vetter, 's sind Weinbeeren drin.«
»Meinthalben Rosinen und Zibeben!« fuhr der jüngere auf. »Habt Ihr mich auf der Muck? Wollt Ihr mich ins Gered bringen? Ihr schwätzt mir da recht hinterfür heraus, wie ein Mann ohne Kopf! Was will ich von dem Mädle? Habt Ihr wo läuten hören? Bin ich dem Sonnenwirt auf irgendeine Art oder Weise zu Hof geritten? Zwar, es fragt sich noch, wenn er einen wohlfeilen Schwiegersohn finden will, ob ihm nicht einer so gut ist wie der andere. Wenn's im Abstreicht geht, darf auch ein Bettelmann zur Auktion kommen, und das ist doch just nicht meine Nummer, wie Ihr selber am besten wißt. Übrigens kann mir die ganze Sippschaft gestohlen werden. Macht mir nichts vor! In dem Punkt versteh ich keinen Spaß.«[32]
»Na, wollen den Geist ruhen lassen«, versetzte der ältere. »Aber soviel ist gewiß, wenn die erste Frau, die rechte Mutter, noch am Leben wär, so fiel die Aussteuer ein wenig größer aus und der Hochmut ein wenig kleiner.«
»Ja, und mancher böse Auftritt wär unterblieben und mancher Lärm und Spektakel bei Tag und auch bei Nacht, der die Sonne mehr in Finsternis als in Glanz brachte bei der Gemeinde. Und die Hauptsonnenfinsternis wär gewiß auch nicht so schwarz ausgefallen unter dem linden Regiment der rechten Mutter.«
»Was meint Ihr damit? Ja so, jetzt geht mir auf einmal ein Licht auf. Ihr sprecht vom Gutedel, vom jungen Sonnenwirtle. Mag leicht sein, daß der mit Verstand und Güte gradgebogen worden wäre, der knorrige Hagbuchenstock. Zwar ist es schwer zu sagen, ob das Mutterherz den rechten Weg gefunden hätte nachmals, wie es nötig wurde; denn die selige Sonnenwirtin war eben die gute Stunde selber und den Stab Wehe hat sie nimmermehr zu führen verstanden. Der Sonnenwirt sah dem Früchtlein auch in allweg zuviel durch die Finger, solang sie lebte und solang der Erbprinz die Nüsse noch mit den Milchzähnen knackte. Er hielt ihn zwar fleißig zur Schule an und sah auch sonst zum Rechten; aber ich weiß nicht, es hat eben doch an etwas gefehlt.«
»Ja«, lachte der jüngere Müller, »wohlgezogen, aber übel gewöhnt, das war er von Anfang an.«
»Ist denn ein Sohn da?« fragte der Müllersknecht von seiner Bank herüber.[33]
Sein Dienstherr sah ihn verwundert an. »Ja so«, sagte er nach einer Weile, »du hast dich schon so bei mir insinuiert, daß ich schier gar gemeint hätte, du seiest seit Jahr und Tag in meinem Haus, und bist doch erst eine Woche da. Freilich auf die Art hast du den jungen Sonnenwirtle noch nicht zu Gesicht kriegen können. Wundert mich übrigens, daß du in deinem Deizisau nichts von ihm gehört hast; denn er ist ein Gewaltiger vor dem Herrn, und wenn man ihm nicht den Krattel beizeiten vertreibt, so kann er, schätz ich wohl, im ganzen Land bekannt werden.«
»Wo ist er denn?« fragte der Knecht.
»Er ist an einem Örtlein, wo du nicht gern hinkämst«, war die Antwort, und die beiden Müller brachen in ein Gelächter aus. »Jetzt rat einmal.«
Die Tür ging abermals auf, und ein Mensch in hohen Wasserstiefeln trat herein. Er trug einen Kübel, den er vorsichtig auf einen Stuhl setzte. »Ist die Frau nicht da?« fragte er.
»So, du bist's, Fischerhanne?« rief der obere Müller. »Was hast denn da? Du gehst ja mit dem Kübel so sachte um, wie wenn du Perlen in der Fils gefunden hättest.«
»Guten Abend, ihr Mannen«, sagte der Fischer. »Tut's so? ist's schon Feierabend? Nein, die Perlen geraten nicht hierzuland, außer in der Glasfabrik. Forellen sind's, frisch aus dem Bach, ich hab sie nur geschwind im Kübel hergetragen.«
»Was meint Ihr, Vetter? Wie wär's, wenn wir so ein paar Silberfischlein in die Küche schicken täten?[34] Der Wein schmeckt noch so gut dazu. Wie, Fischerhanne, gib her, laß einmal sehen, was hast für War?«
»Ich kann keine davon hergeben«, sagte der Fischer. »Die Alte tät mich mit dem Besen zum Haus hinausjagen. Sie hat morgen ein Pfarrerskränzlein, und da braucht sie die Fusch alle.«
»So, so, die hochwürdigen Herren begnügen sich nicht mit dem geistlichen Fischzug und wollen daneben auch leibliche Gräten beißen?«
»Ihr lebet ja auch nicht vom Wasser allein, obgleich Ihr Müller seid«, erwiderte der Fischer, indem er trotz seiner abschlägigen Antwort den Kübel herüberholte und mit seinen zappelnden Insassen auf den Tisch setzte.
»Pflanz dich nur her«, sagte der andere. »Du gehörst ja in ein Element mit uns. Ein Glas Wein für den Fisch! Willst nicht? Und meinethalb noch einen Freitrunk drüber, daß der Weinkauf richtig ist.«
»So macht nur geschwind, daß die Alte nicht dazu kommt«, erwiderte der Fischer. »Aber mehr als einen auf den Mann kann ich nicht hergeben, und hier könnet ihr sie auch nicht essen, denn die Sonnenwirtin darf beileib nichts davon wissen.«
»Freilich, 's ist ein halber Kirchenraub!« rief der ältere Müller lachend, fuhr in den Kübel, griff mit sicherer Hand eine große schöne Forelle heraus, zu welcher der Fischer gewaltig sauer sah, schlug sie mit dem Kopf gegen die Tischecke und steckte sie eilig in die Tasche. Der jüngere war ebenso schnell seinem Beispiel gefolgt.[35]
»So, Fischerhanne«, sagte der ältere, nachdem sie den Handel beendigt hatten, »wir wollen das Element leben lassen, das unsere gemeinschaftliche Nahrung ist. Nahrung, wohlverstanden! Denn für den Hunger ist's zwar gut, aber nicht für den Durst. Der Eulenspiegel hat's allezeit den starken Trank geheißen; es treibe Mühlräder, sagte er, und deshalb sei es ihm zu stark für seine Natur.«
Er klingelte am Glase, um noch eine Flasche zu bestellen. »Aber jetzt ist's recht«, rief er, als die Türe aufging; »jetzt kommt auch einmal die Oberkellnerin, die Magdalene. Komm her, du Hübsche und du Feine, da gibt's schmachtende Herzen zu laben.«
Das Mädchen, das auf den Ruf der durstigen Sturmglocke erschienen war, konnte man nicht ansehen, ohne ihr freundlich gesinnt zu werden. Sie trug auf einem wohlgewachsenen Körper ein rundes, unschuldiges, gutmütiges Gesichtchen, ein weiblich mildes Abbild von den derben Zügen ihres Bruders und zugleich eine Bürgschaft, daß auch hinter dieser rauhen Schale ein guter Kern verborgen sein könnte. »Hab ich's nicht gesagt?« rief der ältere Müller, »und es verlohnt sich der Müh, es zweimal zu sagen; wiewohl wir nicht in der Mühle sind! Das Mädle gäb einen staatsmäßigen Arm voll, nicht zu viel und nicht zu wenig, für einen braven Junggesellen.«
Er blickte dabei mit einer Spaßvogelsmiene auf den andern. »Wenn Ihr sie zu Eurer Käther hin heiraten wollt, so müßt Ihr eben ein Türk werden«,[36] erwiderte dieser trocken. »Aber jetzt ist's wieder an mir! Eine Buttel für mich!« rief er barsch, auf die Flasche deutend, dem Mädchen zu und konnte es doch nicht lassen, ihr nachzublicken, bis sie in der Türe verschwand. Sie war feuerrot geworden und hatte die Flasche mit niedergeschlagenen Augen vom Tische genommen.
»Und wie sie so leibhaftig geht und steht!« rief der erste, der nicht müde werden konnte. »O du Milch und Blut!«
Magdalene erschien nicht wieder. Statt ihrer kam die Hausfrau, stellte die gefüllte Flasche auf den Tisch und nahm die Forellen, die der Fischer indessen auf den Stuhl zurückgebracht hatte, mit hinaus.
»Da trink, Fischer!« rief der jüngere Müller einschenkend. »Der treibt die Seelenmühle, vielleicht treibt er dir auch ein wenig Blut in die farblosen Backen.«
»Ja, das ist wahr, du siehst aus, wie wenn du's mit einer Wasserjungfer hättest«, sagte der ältere.
»Und so alt bist du geworden, Kerl!« fügte der jüngere hinzu.
»Wenn man sich tagtäglich im Wasser hetzen und verkälten muß und hat magere Bissen dabei«, entgegnete der Fischer unmutig, »so ist's kein Wunder, wenn der Firnis abgeht.«
»Wie alt bist denn, Fischerhanne? Du siehst aus, wie wenn du schon das Schwabenalter erreicht hättest, und bist doch, glaub ich, mit dem Sonnenwirtle aus der Schul gekommen.«[37]
»Ja, den hat man aber auch sorgfältiger aufgehoben als mich, da ist's kein Wunder«, versetzte der Fischer mit hämischem Tone, und ein Strahl leuchtete flüchtig in seinen toten grauen Augen auf. »Der ist ja so gut verwahrt, daß ihn kein rauhes Lüftle anwehen kann. Wie lang sitzt er denn noch im Zuchthaus?«
»Er wird seine Zeit jetzt so ziemlich abgesessen haben.«
»Was, der Sonnenwirt hat einen Sohn im Zuchthaus?« rief der Müllerknecht aus voller Lunge herüber. Er hatte die frühere Antwort nicht recht begriffen.
»Sachte, Peter, sachte mit der Braut!« sagte sein Herr und hielt ihm die Flasche hin, um einzuschenken. »Mußt nicht so laut schreien. Im Haus des Gehenkten ist nicht gut vom Strick reden.«
»Aber wie ist so was möglich? Guter Leute Kind im Zuchthaus!« sagte der Knecht leise, auf den äußersten Rand seiner Bank vorrückend, die Hände auf den Knien und den Kopf soweit als möglich vorgestreckt.
»Es ist just kein Wunder«, versetzte der Fischer.
»Er ist eben ein heißgrätiger, unbändiger Bursch«, sagte der jüngere Müller.
»Ei, du kennst ihn ja am besten, Fischerhanne«, rief der ältere. »Gib acht, Peter, der kann's dir sagen, der ist mit ihm in die Schul gangen.«
»Da wirst du wenig Gut's von ihm zu hören bekommen«, lachte der jüngere Müller. »Wenn der Sonnenwirtle am Jüngsten Tag dem Fischerhanne[38] gegenüber gestellt werden tät, und es käm auf sein alleiniges Zeugnis an, wie sein Urteil in der andern Welt lauten sollt, ich glaub, der Frieder müßt in die unterste Hölle fahren.«
»Wahr ist's«, sagte der Fischer, »ich kann ihn nicht leiden und hab ihn nie leiden können. Wir sind einander von Anfang an spinnenfeind gewesen. Ich weiß eigentlich selbst nicht recht, wie's gekommen ist, 's ist weiter nichts Besonderes zwischen uns vorgefallen. Die Buben hadern und raufen viel miteinander und werden doch nachher oft die besten Freunde. Aber bei uns hat der Haß immer tiefer gefressen; es ist, als ob's uns von Natur eingepflanzt gewesen wäre. Das erstemal, daß wir einander zu Gesicht kriegten, sah er mich mit bösen Augen an, und ich war wider ihn und er wider mich.«
»Da ist auch kein Wunder dran«, meinte der untere Müller. »Ob seine Augen, die er an dich hingemacht hat, so bös gewesen sind, das weiß ich nicht, er ist nicht gerade besonders gezeichnet in den Augen. Aber er war ein Muttersöhnchen, hatte immer was zu beißen und zu knacken; mit den Gröschlein und Sechserlein von den Döten und Dotinnen konnte er allzeit den großen Hansen machen; und in der Schule saß er beständig obenan, denn das Spruchbuch und den Katechismus lernte er wie's Wasser.«
»Ich weiß schon, wo du hinauswillst, Georg«, versetzte der Fischer, ohne Gesicht oder Augen zu erheben. »Es ist wahr, ich bin ein armer Teufel, und ein Bub, der im Wachsen ist, hat einen starken Appetit, und es mag sein, daß mir die überflüssigen[39] guten Bissen, die man bei ihm sah, manchmal zu schaffen machten; aber so gar mißvergünstig bin ich doch nicht, und werd's auch damals nicht gewesen sein. Seine Gelehrsamkeit hat mir's auch nicht angetan. Der Ehrgeiz hat mich nie gestochen; meine Vorfahren sind arme Fischer gewesen, soweit man hier in Ebersbach zurückdenken kann, und darum hab ich auch weder Vogt noch Professor werden wollen.«
»Aber womit hat er dir's denn angetan?«
»Warum stellen sich Hund und Katze wider einander, wenn sie einander ansichtig werden? Warum gibt's Leute, die manche Tiere nicht leiden können? Gerade so geht's auch dem Menschen mit dem Menschen. Ein Gesicht gefällt einem, ein anderes ist einem zuwider. Übrigens hat er's nicht an tätlichem Anlaß fehlen lassen. Er war ein stolzer, übermütiger Bub, der keinen was neben sich gelten ließ. Beim Soldätlesspiel war er der General, und wenn man Räuberles spielte, mußte er der Hauptmann sein. Kommandieren und die andern herumpudeln, das war sein Pläsier. Die ihm recht untertänig waren, denen spendierte er, was er nur aufbringen konnte. Mir hat er nie was geschenkt.«
»Das muß man ihm lassen«, sagte der ältere Müller, »gutherzig und freigebig ist er allezeit gewesen.«
»Ja, aber da hat der Fischerhanne doch recht«, fügte der jüngere hinzu, »am gutherzigsten war er eben gegen solche, die seinem Stolze am besten hofieren konnten.«
»Gutherzig?« rief der Fischer. »Eine eigene Art[40] von Gutherzigkeit hat er von jeher gehabt. Er war noch nicht acht Jahre alt, so jagte er den Nachbarn zum Spaß die Hühner fort, aus purer guter Laune schlug er ihnen die Gänse tot, hetzte die Hunde auf Weiber und Kinder und lachte wie ein kleiner Teufel über ihre Angst. Und wie er dann zu seinem Namenstag eine Flinte bekam, da hieß es erst: Hellauf! Da schoß er mitten im Ort auf Hühner, Enten, Gänse, was er erwischen konnte, und der Sonnenwirt bezahlte den Schaden und war stolz darauf, daß er ihn zahlen konnte!«
»Und noch mehr darauf, daß die Blitzkröte schon so ein guter Schütz war«, fiel der jüngere Müller ein. »Das war's ja eben! Durch die Nachsicht, die man ihm schenkte, und durch den Beifall der Speichellecker, die bei den Eltern einen Stein im Brett gewinnen wollten, wurde er immer noch mehr verhetzt, und so kam er von einem Schabernack zum andern. Die ärgsten Streiche erfuhr der Alte gar nicht, die sind von der Mutter vertuscht worden. Da ist mancher Sechsbätzner, mancher Krug Wein als Schmerzensgeld hinter seinem Rücken aus der Sonne gewandert.«
»Wenn man dem Ding nachdenkt«, sagte der obere Müller, »so hat es mit so einem verzogenen Söhnle eigentlich nicht anders kommen können. Ich glaub, ein anderer war auch so geworden.«
»Vielleicht lauft er sich die Hörner noch ab«, versetzte der jüngere. »Wiewohl, es wird schwer halten. Er ist eben einmal an die Gewalttätigkeit gewöhnt. Wenn man ihm irgendwie einen Riegel vor die Tür[41] schiebt, so muß er mit dem Kopf durch die Wand, das tut er nicht anders.«
»Ja, und sein Hochmut wird ihn auch nicht anders werden lassen«, sagte der Fischer, »denn das ist der Hauptteufel, der ihn reitet.«
»Der steckt in der ganzen Sippschaft. Ist die Magdalene vorhin wieder hereingekommen? Nein, weil man sich einen kleinen Spaß mit ihr herausgenommen hat, so hat sie den Wein durch die Mutter geschickt.«
»Aha!« sagte der ältere Müller leise, dem Fischer zuwinkend, »hast ihn hören trappen?«
»Immer hat er sich für was Besonderes gehalten«, fuhr dieser fort, ohne auf die Bemerkung achtzugeben. »Ha, wenn ich nur daran denke, was er mir einmal für eine Zumutung gemacht hat! Das war das einzige Mal, daß ich was Apartes in die Schule mitbrachte, wo ich mir was drauf zugut tun konnte. Der Herzog war eben vorher durch den Flecken gefahren, und da fand meine Mutter auf der Straße ein kleines Stück hellblauen Sammet, Gott weiß, woher und wie er auf den Boden gefallen war. Meine Mutter wußte nicht, was damit tun, nun zerschnitt sie's in Läpplein und machte mir eine Windmühle, wißt ihr, wie's die Buben an Stecken haben; wenn sie damit springen, so dreht sich's herum. Das Ding sah hoffärtig aus, und die ganze Schule hatte Respekt davor. Den Sonnenwirtle aber verdroß es, daß er mir's zum erstenmal nicht gleichtun konnte; er ließ sich aber nichts anmerken, sondern verspottete mich und schalt mich den herzoglichen[42] Windmüller. Da war's auch bei den andern aus, ich konnte mich allein an meiner Windmühle ergötzen; sie sahen mich nicht mehr darum an. Ein paar Tage drauf ist meine Windmühle weg. Ich hatte niemand anders im Verdacht als den Frieder und sagt's auch den andern Buben. Wie der's aber hört, so speit er Gift und Galle, paßt mir auf, und an der Rathausecke stellte er mich, wie ich mich unterstehen könne, ihn zu bezichtigen, daß er mich bestohlen habe. Jetzt, was meinet ihr, daß er mir zugemutet hat? Ein Messer nahm er in die Faust, und mir bot er ein anderes dar und sagte, ich solle mich wehren. Natürlich hab ich mich dafür bedankt, und dann fiel er über mich her und prügelte mich durch; denn er war weitaus der Stärkste von uns allen.«
»Und hatte er wirklich die Windmühle gestohlen?«
»Nein, ich fand sie hernach wieder; ich hatte sie nur verlegt. Auch hätt ich's nicht so schwer genommen, nicht einmal die Prügel bekümmerten mich, wiewohl er immer eine harte Tatze hatte. Nein, aber der Hochmut, daß er den fürnehmen Herrn spielen wollte und sich duellieren, wie ein Edelmann, das hat mir ihn zuwider gemacht. Und er war dazumal ein Bub von zehn Jahren. Wenn das am grünen Holz so ist, wie wird's am dürren werden?«
»Duellieren hat er sich wollen, wie ein Offizier?« rief der Knecht. »Ei, so verreck!«
»Da hat sich das adelige Blut frühzeitig geregt«, sagte der jüngere Müller lachend.
»Wenn die selige Sonnenwirtin nicht so ein kreuzbraves[43] Weib gewesen wär«, versetzte der ältere Müller, »so könnt man auf allerlei Gedanken kommen.«
»Und was ist denn sein Vater Großes?« fuhr der Fischer eifrig fort. »Er mag meinethalb für ein paar Batzen hochmütig sein, aber alles hat seine Grenzen. Er ist Wirt, muß den Leuten für ihr Geld Kratzfüße machen; er ist Viehhändler, patscht jedem Roßkamm in die Hand; er ist Metzger, muß den Ochsen und Säuen im Gedärm herumfahren.«
»Es müßt's nur das Metzgerhandwerk machen«, sagte der ältere Müller, »damit übt er eine Art von Blutbann aus, und das ist doch was Adeliges.«
»Ja«, rief der andere, »und darin stehst du ihm nach, Fischerhanne. Denn du und die, über deren Leben und Tod du Gewalt hast, haben kein Blut.«
»Oder nur weißes.« Die andern lachten.
»Sorget nur nicht für mich!« sagte der Fischer etwas ärgerlich. »Meine Untertanen haben auch Blut.«
»Ja, und Galle.«
»Ja, und beißen können sie auch.«
»Aber der Ochs hat Hörner.«
»Wenn er zu hitzig stoßt, so brechen sie ab.«
»Wenn sie nur schon abgebrochen wären!« sagte der ältere Müller. »Aus dem Burschen könnt noch was Tüchtig's werden. Ich wollt, man tät ihn mir anvertrauen, ich zög ihn durchs Kammrad, daß er geschlacht würde.«
»Nichts Gewisses weiß man nicht, – heißt's im Sprichwort«, erwiderte der jüngere.[44]
»Ja, es ist nicht so leicht, mit ihm fertig zu werden«, sagte der Fischer. »Er ist ein böser Bub.«
»Wenigstens mutwillig und unbändig«, versetzte der ältere Müller. »Unter allen Streichen, die ich von ihm weiß, hat mir einer immer am besten gefallen. Da war vor ein Jahr sieben oder achten ein Hausknecht hier in der Sonne, wißt ihr, der Mathes – ich seh ihn heut noch vor mir, 's ist so ein persönlicher langer Kerl gewesen, und etwas langsam im Geist. Der wollte gescheiter sein als der Frieder, und das konnte mein Frieder nicht vertragen. Was tut er also? Um Mitternacht schleicht er aus dem Bett, die Stiege hinunter, bricht den Fuhrleuten in die Güterwagen vor dem Haus auf der freien Straße ein und bringt den Raub seinem Vater übers Bett. Der Knecht, den andern Tag, der ist natürlich schön ausgelacht worden ob seiner Wachsamkeit. Und das hat der stolze Bub mehr als einmal getan, und der gute Mathes konnt ihn nie erwischen. Das Ding hat ihm das Leben so sauer gemacht, daß er's nicht in der ›Sonne‹ aushalten konnte. Es trieb ihn aus dem Dienst, ich glaub, er dient jetzt in Beutelsbach drüben, das alte Beuteltier.«
Der Müllerknecht hatte Mund und Augen aufgesperrt. »Verfluchter Bub!« sagte er endlich. »Das hat der ›Sonne‹ gute Kundschaft bringen können. Ich wär auch eingekehrt und hätt mich zum Spaß berauben lassen, pur aus Fürwitz.«
»Es ist doch eine gefährliche Übung«, sagte der Fischer. »Wenn die Katze das Mausen verschmeckt hat, so läßt sie nicht mehr davon, und was eine[45] Distel werden will, das fängt zeitig an zu brennen. Es ist nicht lang angestanden, daß er seine G'studiertheit an einer Geldkiste ausgelassen hat.«
»Was?« rief der Knecht. »Ist er im Ernst eingebrochen?«
»Pst, Peter, schrei leis!« erwiderte sein Herr. »Ja, aber nur bei seinem Vater, und der hat's ja.«
»Vierhundertunddreißig Gulden sind doch keine Kleinigkeit«, sagte der Fischer.
»Vierhundertunddreißig Gulden!« rief der Knecht. »Da wundert's mich nicht, daß er im Zuchthaus sitzt. Und sein eigener Vater hat ihn hineinsperren lassen?«
»Er konnte es nicht vertuschen, wenn er auch gewollt hätte. Übrigens ist's nicht seine diesmalige Zuchthausstrafe, denn das ist schon die zweite. Damals aber war er erst vierzehn Jahr alt.«
»Das ist aber doch auch hart«, meinte der Knecht, »einen vierzehnjährigen Buben ins Zuchthaus zu schicken.«
»Laßt mich reden, ihr Mannen!« sagte der jüngere Müller, »ich kann am besten erzählen, wie die Sach zugegangen ist, ich hab ja auch einen Spieß in selbigem Krieg getragen. Wahr ist's, und was wahr ist, das muß wahr sein, dem Frieder hat sich das Blättlein übel gewendet, wie ihm Gott seine Mutter nahm. Von der Stund an hatte alles, was er tat, eine andere Farbe.«
»Das ist eben der Unterschied«, fiel der ältere Müller ein, »ob man etwas mit Liebe ansieht oder mit Haß. Und den Haß, den hat das Ripp, die jetzige[46] Frau, ins Haus gebracht; die Liebe aber ist mit der ersten ins Grab gegangen.«
»Verzogen war er, das ist richtig«, fuhr der jüngere fort. »Aber es kommt nur drauf an, was man dem Kind für einen Namen gibt. Vormals hieß man's artig, witzig, aufgeräumt; nachher hieß man's übermütig, tückisch, boshaft. Und wo man früher Anzeichen von Mannhaftigkeit gelobt hatte, da sah man jetzund nichts mehr als den hellen lautern Teufelstrotz.«
»Mir ist's von Anfang an so vorgekommen, selbiges Kind«, sagte der Fischer.
»Da sind deine Augen just für die Stiefmutter recht gewesen, Fischerhanne. Ich glaub auch, sie hat dir die Augen abgekauft; ich will davon schweigen, aber du hast immer einen Stein bei ihr im Brett gehabt, und ich weiß nicht, ob die Fische, die du ihr zugetragen hast, immer aus dem klaren Wasser gekommen sind.«
»Selbige Augen«, unterbrach ihn der andere Müller, »hat sie dann auch dem Sonnenwirt eingesetzt, und da hat der alte Esel seinen Sohn gleich in einem andern Lichte gesehen.«
»Freilich, weil er immer ärger geworden ist«, sagte der Fischer.
»Mach kein' so krummen Kopf! Narr, er ist ärger geworden, weil man ihn ärger gemacht hat. Und das muß man sagen, für seine Schwestern hat er sich ritterlich gewehrt und hat nicht leiden wollen, daß man sie wie Stallmägd behandle.«
»Ja, und dann hat's eben wüste Auftritte gegeben.«[47]
»Ja, und dann hat er seine Mutter geprügelt«, sagte der Fischer.
»Wenn er ihr doch nur ein Dutzend Rippen eingeschlagen hätte!« versetzte der ältere Müller. »Brauchst 's ihr aber nicht wieder zu sagen, Fischerhanne«, setzte er etwas erschrocken hinzu, »oder 's ist aus mit der Freundschaft. Du weißt, ein Mensch hat allezeit den andern nötig.«
»Wie kam er denn aber zum Stehlen?« fragte der Knecht.
»Ich will's dir sagen«, fuhr der jüngere Müller fort. »Wie er sah, daß er doch immer den kürzern zog, weil sein Vater auf seiten der Stiefmutter war, so wollte er in die Fremde gehen und begehrte einen Zehrpfennig nach Amerika.«
»Nach Amerika?« rief der Knecht. »Das ist ja ein Weltskerl!«
»Der Alte aber«, fuhr der Müller fort, »war dazumal schon b'häb geworden und behielt die Schlüssel zur Geldtruhe fest im Sack; auch meinte er, der Bub, der erst vierzehn Jahr alt war, sei noch zu jung zum Reisen, und darin hatte er gänzlich recht, denn der Bub ist nachher richtig auch nicht gar weit gekommen und nicht gar lang fortgeblieben. Der aber meinte, was man ihm nicht gutwillig gebe, das könne er ja mit Gewalt nehmen, und beerbte seinen Vater vor der Zeit, noch eh ihm der Alte aus der Helle gegangen war.«
»Oder aber«, sagte der ältere Müller, »er hat als sein eigener Richter seine Jahr und seine Taschen vollgemacht und eben sein Mütterliches eingesackt.«[48]
»Es ist just, wie man's ansieht. Übers Geld zu kommen und die Schlösser aufzumachen, war dem G'studierten, wie ihn der da heißt, eine Kleinigkeit; er hatte ja dem Alten schon mehrmals den Spaß gemacht. Kurz und gut, er nahm ihm vierhundert Gulden, brachte sie ihm aber nicht übers Bett.«
»Vierhundertunddreißig!« fiel der Fischer ein.
»Mein'twegen vierhundertunddreißig, wenn das Sündenregister voll sein muß. Du mußt's ja wissen, denn du bist der erste gewesen, Fischerhanne, der ihn des Einbruchs zieh.«
»Hab ich gelogen?« fragte der Fischer.
»Ja, die Wahrheit hast du gelogen.«
»Dann ist er durchgegangen?« fragte der Knecht.
»Ja, aber er kam nicht nach Amerika, sondern bloß bis Heilbronn. Dort ließ er sich bei den kaiserlichen Husaren anwerben als Freiwilliger. Pferd und Montur bezahlte er flott von seinem eigenen Geld. Wenn er nur bei ihnen geblieben wär!«
»Ist erst noch wahr!« rief der ältere Müller. »Der Kerl hätt's zu was bringen können. Der? der hätt General werden können.«
»Ist er denn desertiert?« fragte der Knecht.
»Nein, aber nach zehn Wochen stach ihn der Fürwitz, ob man ihn zu Ebersbach vergessen habe, und da kam er mit einem Urlaubspaß als Husar angeritten. Das war ein Aufsehen! Dem Amtmann trotzte er ein Attestat ab, daß er von ehrlichen Leuten geboren sei. Beweisen konnte man ihm nichts, wiewohl das Geschrei und der Verdacht wegen der vierhundert Gulden allgemein war, und niemand wagte, ihn[49] zu greifen, den kaiserlichen Husaren, bis er im Hecht bei der Zeche schwedische Dukaten, auch halbe Gulden blicken ließ. Diese verrieten ihn, denn sie waren von seines Vaters Geld. Nun gab's Lärm im Ort. Der Frieder aber sprang in den Sattel, jagte den Flecken auf und ab mit gezogenem Degen – den Fischerhanne hätt er schier gar erritten; er hieb nur einen Zoll zu kurz, so hätt man sehen können, ob du weißes Blut hast oder rotes – und drohte mit sechzehn andern Husaren, mit denen er den Flecken besetzen wolle. Die kamen aber nicht. Dem Amtmann ritt er vors Haus, klopfte auf den Schenkel, höhnte und drohte. Von da ging's vor die ›Sonne‹, wo er's ebenso machte. Kurz, er trieb allen erdenklichen Übermut, wie ein losgelassener Eber; denn natürlich, er war betrunken. Wie er nun vollends seine Pistolen losschoß und niemand seines Lebens mehr sicher war, da mußte die Bürgerschaft ein Einsehen haben. Ich gesteh's, und es reut mich jetzt noch nicht: ich lud meine Flinte mit Schrot, der Zeiger Frank und der Spanner Eberhard, des Chirurgen Bruder, taten desgleichen – wer ihn eigentlich getroffen hat, weiß ich nicht. Aber er stürzte vom Gaul wie ein Mehlsack. Das Pferd war hin, er selbst hatte den linken Fuß voll Schrot, und also war's leicht mit ihm fertig werden.«
»Das ist ja ein Mordkerl!« rief der Knecht. »Aber hat es Euch und den andern Schützen keine Ungelegenheit gemacht«, fragte er weiter, »daß ihr der Obrigkeit so mir nichts, dir nichts ins Handwerk gegriffen habt?«[50]
»Bewahr!« lachte der Müller. »Obrigkeit und Bürgerschaft waren froh, daß sie die Belagerung überstanden hatten, und der Amtmann hat, glaub ich, dem Vogt nichts davon berichtet, auf was Art der Sturm abgeschlagen worden sei.«
»Und seitdem«, fragte der Knecht, »sitzt er im Zuchthaus?«
»Ich hab dir's ja gesagt«, erwiderte sein Herr, »daß er jetzt zum zweitenmal drin ist.«
»Was? Ist er seinem Vater abermals über den Geldkasten gegangen?«
»Nein, in dem Fach hat er ein Haar gefunden und hat ihm abgesagt.«
»Man kann ihm nichts Böses nachsagen«, versetzte der Fischer, »bis auf das, was man nicht weiß. In einem Wirtshaus läßt sich manches verschleppen, man kann da nicht so nachrechnen, wo die Sachen hinkommen. Ich möcht doch auch wissen, aus welchem Beutel er auf dem Tanzboden immer so dick getan hat.«
»Ich glaub, er hat dem Herzog hier und da einen Hirsch weggebüchst«, sagte der jüngere Müller.
»Ja, ja«, rief der Fischer, »die Flinte, die er als Bub von seinem Vater kriegte, hat ihre Früchte getragen. Das ist die zweite gefährliche Kunst, die er schon gelernt hat, eh er hinter den Ohren trocken war.«
»Nu, wenn's weiter nichts ist«, sagte der ältere Müller, »so wollt ich nur, er tat alles wegbüchsen, was mit Geweih und Hauer in Wald und Feld spaziert. Das wär ein Verdienst, für das man ihm, weiß Gott,[51] bei allen Gemeinden im Ländle das Bürgerrecht geben dürfte.«
»Freilich«, stimmte der Knecht ein, »Wildern ist keine Sünd, nur darf's nicht herauskommen.«
Und gegen diesen festen Glaubenssatz wagte selbst der hartnäckig grollende Fischer nichts einzuwenden.
»Was hat ihn denn zum zweitenmal in das Ding da, das man nicht gern beim Namen nennt, gebracht?« fragte der Knecht weiter.
»Seine Gewalttätigkeit«, antwortete der Fischer.
»Eine Prügelei«, erwiderte der jüngere Müller gleichmütig.
»Was die Prügelei betrifft, da kann ich nicht wider ihn sein«, sagte der ältere. »Gib acht, Peter, das mußt dir erzählen lassen, das ist ein Staatsstückle. Der Kreuzwirt – den kennst du ja, er hat seinen Namen nicht umsonst, denn er ist gar ein frommer Kreuzträger und eine wahre Kreuzspinne dabei – der hatte von jeher ein scheeles Aug auf den Frieder gehabt.«
»Auf den Alten auch. Der verzeiht's ihm heut noch nicht, daß er ihn beim Kirchenkonvent angebracht, weil er einen Ochsen geschlachtet hatte am Sonntag. Der Sonnenwirt wurde damals um ein Pfund Heller gestraft.«
»Auch den Frieder«, fuhr der ältere Müller fort, »hat er einmal bei seinem Vater verschwätzt, so daß er Hiebe von ihm kriegte. Der Alte hat nachher selber eingestanden, er habe dasmal seinem Sohn unrecht getan.«
»Ja«, fiel der jüngere ein, »ich hab's mit meinen[52] eigenen Ohren gehört, und ich war dabei, wie er zum Frieder sagte, er solle es nur dem Kreuzwirt bei Gelegenheit wieder eintränken.«
»Und dies ist auch gekommen«, fuhr der ältere fort. »Denn so eine Teufelsgelegenheit bleibt niemals aus. Nun, was geschieht? Auf dem Heimweg vom Kirchheimer Markt trifft der Frieder mit dem Kreuzwirt zusammen, und der fängt an, ihn zu hänseln und zu rätzen, denn so gottselig er sich stellt, das Necken und das Kratzen kann er nicht lassen. Zuletzt, wie er noch nicht genug hatte, kommt er auch auf die Zuchthausstrafe, die der Frieder durchgemacht hatte, und sagt zu ihm: ›Du bist ein ganz geschickter Kerl, dir kann's nicht fehlen, du verstehst ja zwei Handwerk, das Metzgen und das Wollkardätschen; wenn dir's in einem fehlschlägt, so kannst du dich auf das andere werfen.‹ – Er das sagen, und der Frieder ihn am Kragen nehmen und zu Boden werfen, das war eins. Der hat Prügel gekriegt! Nun, der Fischer weiß ja, was der Bub für eine Tatze hat.«
»Es ist ihm recht geschehen«, sagte der jüngere Müller. »Einen Gefallenen muß man aufheben und nicht noch tiefer niederdrücken.«
»Paß nur auf, Peter, jetzt kommt erst der Hauptspaß«, fuhr der ältere fort. »Wie er ihn genug geprügelt hatte und ausschnaufen mußte, so sagt er zu ihm, er solle ihm jetzt versprechen, daß er dessentwegen nicht klagbar werden wolle. Der Kreuzwirt, am Boden, verspricht's mit Ach und Krach und schwört's ihm hoch und teuer. Der Frieder[53] aber, wie er den Schwur hört, fällt er abermals mit neuer Kraft über ihn her. ›Sieh, meineidige Kanaille‹, sagt er, ›ich weiß, daß du doch nicht Wort hältst, und dafür will ich dich gleich im voraus prügeln.‹«
»Das ist ja ein Fetzenkerl!« rief der Knecht mit ungeheuchelter Bewunderung aus.
»Der Kreuzwirt klagte auch richtig beim Amt, und da kam eben mein Frieder noch einmal auf ein halb Jahr nach Ludwigsburg.«
»Es heißt von ihm wie vom Esau«, sagte der Fischer: »›Seine Hand war wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn.‹«
»Hast das fromme Sprüchle vom Kreuzwirt gelernt?« spottete der jüngere Müller. »Nein«, fuhr er fort, »dem haben seine Prügel gebührt, und ich bin dem Frieder nicht feind darum. Wenn nur die Schand nicht wär, denn Zuchthaus ist eben einmal Zuchthaus.«
»Meint Ihr, Vetter?« rief der ältere. »Es kommt auch darauf an, von wegen was man ins Zuchthaus kommt. Und wenn einer sonst guter Leute Kind ist, so kann man so einen Unschick wieder vergessen. Wenn er jetzt unter eine tüchtige Hand käm und gehobelt würde – in zehn Jahren könnt er der angesehenste Mann sein und tat kein Hahn mehr darnach krähen, daß er in seinen jungen Jahren hat das Wollkardätschen erlernen müssen.«
Ein rascher Hufschlag unterbrach das Gespräch. Der jüngere Müller trat ans Fenster. »Was der Sonnenwirt noch stet auf dem Gaul sitzt«, bemerkte er. »Er[54] muß einen guten Handel gemacht haben; er sitzt so aufrecht und trägt die Nase so hoch.«
Nun kam die Hausfrau herein mit einem weißen Tuch auf dem Arm. Ihr folgte Magdalene mit dampfenden Schüsseln. Ein Tisch in der andern Ecke des Zimmers wurde gedeckt und das Essen aufgetragen. Das Gesinde erschien, Knechte und Mägde. Draußen hörte man die befehlende Stimme des Hausherrn. Endlich trat er selber ein, untersetzt und etwas beleibt, in Gestalt und Angesicht seinem Sohne ähnlich. Aus seinen Gesichtszügen sprach derselbe Trotz, derselbe Eigensinn, nur daß dieser Ausdruck bei ihm, dem gebietenden Herrn des Hauses, mehr das Bewußtsein der anerkannten Rechtmäßigkeit und eben darum auch mehr herrische Strenge hatte. Wenn man jedoch sein Gesicht näher prüfte, so fand man, daß die innere Naturkraft nicht so groß war als das Ansehen, das er sich geben zu müssen glaubte. Er grüßte die Gäste kurz und setzte sich ohne viel Umstände mit seinen Hausgenossen zu Tische. Für ihn wurde besonders aufgetragen, und ein Teller mit Besteck lag vor ihm, während die andern alle, die Hausfrau nicht ausgenommen, gemeinsam aus der Schüssel speisten.
Unter dem Geklirr der Löffel flüsterten die Gäste zusammen, und manche bittere Bemerkung, manche boshafte Spottrede wurde den Essenden, ohne daß sie es hörten, als Tischsegen zugeworfen.
»Der Sonnenwirt meint, man müsse es für eine Gnad halten, wenn man nur in seinem Haus noch trinken dürfe«, sagte der ältere Müller.[55]
»Wenigstens ein anderer Wirt«, erwiderte der jüngere – »wenn er auch noch so hungrig und durstig ist, setzt er sich ein Vaterunser lang zu den Leuten hin, und wenn er auch weiter nichts sagt als: ›Auch hiesig?‹ und ›Tut's so beieinander?‹ und ›Wohl bekomm's!‹ so sieht man doch, daß er Lebensart hat, und dann kann er ja wieder aufstehn und seinem Geschäft nachgehen. Aber der! Ja, wenn wir Pfarrer wären oder Schreiber, so würd er sich eine Ehr draus machen. Aber wir sind eben nicht weit her, wir sind ja bloß seine Mitbürger.«
»Seht nur die Alte, Vetter!« sagte der ältere und stieß ihn an. »Seht, wie sie ihren Leuten auf die Mäuler guckt, wie sie ihnen die Bissen zählt, wie sie dem Löffel, der aus der Schüssel kommt, mit den Augen nachfolgt. Was sie für ein Gesicht macht, wenn sie meint, es hab eins zu vollgeladen oder komm zu oft angefahren.«
»Halt, jetzt ist die Sippschaft erst vollständig, jetzt kommt der Freier!« unterbrach ihn der jüngere, verstohlen mit dem Finger auf einen Mann mit spitzem, knochigem Gesichte deutend, der, mit einem hellgrünen Leibrock angetan, ins Zimmer trat und sich nach einer stattlichen Begrüßung an einen Tisch zunächst dem Speisetisch setzte.
»Schau, schau! Der grüne Chirurg!« erwiderte der andere. »Der macht Kratzfüß! Was die Alte ihr Spinnengesicht umwandelt, als ob sie Honig und Marzipan gefressen hätt. Sogar der Sonnenwirt nickt ihm freundlich zu, die Sache muß richtig sein. Aufgepaßt, Vetter! Seht Ihr, wie ihm die Alte ein[56] Tellerlein füllt, und zwar von des Sonnenwirts eigenem Essen. Ja, ja, mit Speck fängt man Mäuse. Was er Komplimente macht! Er will's nicht annehmen, aber die Essensstunde hat er sich wohl gemerkt, der Schmarotzer.«
»Er will eben von der Gelegenheit profitieren, solang sie da ist. Er weiß wohl, daß nicht alle Tag Kirchweih ist. Wenn er einmal ernstlich angebissen hat, so wird man ihm das Gasthütlein schon herunterziehen, und dann kann er die Finger darnach lecken.«
»Ihr könnt die Leute recht heruntermachen«, sagte der Fischer. »B'hüt Gott beieinander, ich will nur heimgehen, sonst werd ich noch angesteckt.«
»Gut Nacht, Fischerhanne, und halt reinen Mund.«
»Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!« versetzte der Fischer etwas zweideutig und wandte sich mit einem »G'segn' Gott«, das er dem Speisetische zurief, nach der Türe.
In diesem Augenblick ging die Türe auf, und herein trat der Sohn des Hauses. Aus seinem von der Wanderung geröteten Gesichte leuchtete das verklärende Gefühl einer guten Tat, einer Tat, welche dem Himmel die erste Genugtuung für bisher begangene Fehltritte darbieten sollte. Dieser Ausdruck gab seinem Gesicht eine auffallende Ähnlichkeit mit den Zügen seiner Schwester. Da stieß er unter der Türe auf den Fischer, der ihm wie ein böses Vorzeichen entgegentrat, und sein Gesicht verfinsterte sich. Einen Augenblick maß er ihn schweigend mit den Augen. »Du auch da, Giftmichel?« sagte er, indem[57] er an ihm vorüberging. Der Fischer fletschte die Zähne gegen ihn und machte sich hinaus.
Friedrich blieb ein wenig stehen, um sich zu sammeln; dann näherte er sich dem Tische und trat zu seinem Vater, der bereits durch einen Wink der Frau auf ihn aufmerksam gemacht worden war und ihm schweigend entgegensah.
»Grüß Gott, Vater!« redete er ihn an. »Da bin ich wieder und versprech Euch, daß es mit Gottes Hilfe nun anders werden soll, denn ich bin nun kein Kind mehr, und wenn ich Euch bisher oft durch meinen Unverstand betrübt habe, so hab ich mir jetzt vorgenommen, Euch hinfüro ein treuer, gehorsamer Sohn zu sein.«
»Mach nicht so viel Redensarten!« sagte der Alte. »Wenn dir's Ernst ist, so tu's, ohne davon zu reden; aber versprich nichts, was du nicht halten kannst. Setz dich und iß.«
»Ja, Vater, aber ich hab zuvor eine großmächtige Bitte«, fuhr Friedrich fort, ohne sich durch den Empfang irremachen zu lassen. »Ich möcht eine Seele vom Verderben retten, und das kann ich nicht, wenn Ihr mir nicht dazu helft.«
Der Alte erhob sein Gesicht. Die Stiefmutter sah ihn mit gespannter Neugier und finsterer Miene an. Er hatte sie noch nicht gegrüßt, er hatte nur für seinen Vater Augen gehabt.
»Ihr meint gewiß, Vater«, sprach er weiter, »da, wo ich herkomme, hab ich nur lauter schlechtes Zeug gelernt. Aber so ist's nicht, vielmehr bin ich in gute Hände geraten und hab Christentum gelernt.[58] Ich hab gelernt, daß jeder gute Christ und redliche Mensch seinen verachteten Mitbrüdern aufhelfen müsse. Weil das aber nicht einer für alle tun kann, so mein ich, es sei genug, wenn ein Mensch oder eine Familie sich eines einzigen annimmt.«
»Wo will denn das hinaus?« fragte der Alte barsch.
»Vater, ich hab Euch einen Menschen mitgebracht, der keine Heimat hat, eine vater- und mutterlose Waise, denn das ist er, und wenn auch seine Eltern noch leben. Und ich bitt Euch, so lieb Euch Euer Sohn sein mag, der Euch freilich schon Kummer und Verdruß gemacht hat – so lieb es Euch sein mag, daß der ungeratene Sohn noch was Ordentliches in der Welt werde, so hoch bitt ich Euch, Vater: laßt den Menschen, den ich mitbringe, als Euren Knecht in Eurem Hause sein.«
»Wo ist er denn?« fragte der Alte ungeduldig.
»Er wartet hinterm Haus am Garten.«
Die Stiefmutter gab dem Chirurgus einen Wink, und er schlich sich unbemerkt hinaus.
»Wer ist er denn?« fragte der Alte weiter.
Friedrich schwieg eine Zeitlang in sichtlicher Verlegenheit; die siegesfrohe Zuversicht, die er bei seinem Eintreten gezeigt hatte, war allmählich von ihm gewichen. »Vater«, hob er endlich an, »Ihr werdet in Eurem Herzen nicht sogleich die Stimme finden, die für ihn spricht. Man hat gegen diese Leute manches einzuwenden, und das ist auch kein Wunder, denn man behandelt sie auch danach.«
»Mach's kurz und gut«, rief der Alte und schlug auf den Tisch. »Was ist das vor eine Manier? Wenn's[59] was Rechtes ist, so sag's frei heraus, und ist's was Dummes, so halt das Maul! Was brauchst du mir durch die Ränkeleien da das Essen zu verderben.«
Indessen war der Chirurg wieder eingetreten. »Es ist ein Zigeuner«, sagte er langsam und nachdrücklich, indem er zu dem Tisch trat.
»Ein Zigeuner?« rief die Stiefmutter und schlug ein gellendes Gelächter auf. Die beiden Müller und der Knecht, welche aufmerksam zugehört hatten, lachten aus vollem Halse mit. Auch das Gesinde am Tische stimmte in das Gelächter ein, doch nur allmählich und schüchtern, da der Sonnenwirt nicht mitlachte, sondern die Stirne in dräuende Falten gelegt hatte. Magdalene war mit einem wehmütigen Blick auf den Bruder hinausgegangen.
»Ich weiß wohl, Vater, daß es eine Zumutung ist«, fuhr Friedrich unerschrocken fort. »Aber soll's denn der arme Teufel büßen, daß seine Eltern Zigeuner gewesen sind?«
Der Chirurgus unterbrach ihn. »Das hängt vielleicht«, sagte er mit etwas näselnder Stimme, »das hängt vielleicht mit der Prädestination zusammen, die der Herr Pfarrer predigt.«
»Ich red mit meinem Vater und nicht mit Ihm!« warf Friedrich stolz von der Seite dem Chirurgus zu. »Wie kann man denn verlangen, daß diese Leute ehrlich werden sollen, wenn man nicht endlich einen Anfang mit ihnen macht? Und wie kann man denn anders anfangen, als mit dem christlichen Zutrauen, das man in einem christlichen Hause einem von diesen armen Leuten schenkt? Wenn man dann in [60] einem Haus angefangen hat, so machen's die andern nach, und eben darum sprech ich zu Euch, Vater, weil Ihr ein angesehener Mann seid und ein Beispiel geben könnt.«
Die Stiefmutter hatte inzwischen Blick und Winke mit dem Chirurgus ausgetauscht. »Wie sieht er denn aus?« fragte sie jetzt mit dem Tone der Neugier.
»Er schielt auf einem Aug' und sieht aus wie ein leibhaftiger Galgenvogel«, antwortete der Chirurgus.
»Was will denn Er?« fuhr Friedrich erzürnt herum. »Wenn man Ihn auf ein Erbsenfeld setzen tät, so könnt man vor den Spatzen sicher sein.«
Der alte Sonnenwirt fuhr auf und versetzte seinem Sohne eine derbe Ohrfeige: »Ich will dir unartig gegen meine Gäste sein. Man muß dir die Äste abhauen, wenn du zu krattelig wirst. Halt's Maul jetzt und pack dich. Ich will dich heut nicht mehr vor Augen haben. Das käm mir geschlichen, einen Zigeuner ins Haus zu nehmen. Das wär eine Gesellschaft für dich.«
Friedrich sah seinen Vater an. Einen Augenblick hatte seine Hand gezuckt; dann aber wandte er sich ruhig nach der Tür. »Ich glaub, ich wollt, ich wär wieder im Zuchthaus«, sagte er, während er hinausging.
Die beiden Müller zahlten ihre Zeche und standen auf. Der Sonnenwirt, der sich ebenfalls erhoben hatte, wünschte ihnen, freundlicher als zuvor, gute Nacht. »Der Bursch ist doch ziemlich mürb geworden«, sagte er zu dem älteren, »er hat nicht gegen die Ohrfeige rebelliert, und es hat den Anschein, als ob er jetzt das vierte Gebot in Ehren halten wollte.«[61]
Der Müller, geschmeichelt durch diese vertrauliche Anrede, blieb etwas zurück, während der jüngere nebst dem Knecht die Wirtsstube verließ. »Ja«, sagte er zum Sonnenwirt, »der Frieder ist nicht so unrecht, man wird's noch erleben. Was, die Zigeunergedanken werden ihm schon vergehen. Um den ist mir's gar nicht angst. Man muß ihn eben jetzt noch ein wenig kurz aufzäumen, dann wird er schon gut tun. Und das bißle Ungelegenheit, das er in seiner unverständigen Jugend gehabt hat, wird ihm unter vernünftigen und christlich denkenden Leuten ins künftige nicht aufgerechnet werden. Er ist ja guter Leute Kind. Ja, ja, Herr Sonnenwirt, der kann sich einmal seine Frau holen, wo er will. Wofern aber jemals eins so töricht sein wollt und wollt ein Haar in der Partie finden, so will ich nur so grob sein und will's frei heraussagen, Herr Sonnenwirt, für mein Gretle wär er mir immerhin gut genug. Jetzt habt Ihr gehört, wo Ihr anklopfen könnt, wenn Ihr keine bessere Schmiede wisset.«
In dem Gesicht des Alten, das erst ganz wohlgefällig ausgesehen hatte, zog allmählich der Ausdruck unendlichen Spottes auf. Er sah den Müller mit halb zugekniffenen Augen an, so daß dieser in Verlegenheit geriet und die Hände aus den Wamstaschen, wo sie während seiner Rede gesteckt hatten, hervorholte. »So, meint Ihr?« erwiderte er trocken und stieß dann ein hochmütiges Gelächter aus.
»Nichts hab ich gemeint!« rief der Müller wütend. »Ihr könnt meinethalben Euren Galgenstrick verknöpfeln und verbandeln, wo Ihr wollt.« Er ging[62] und schlug die Türe hinter sich zu, daß das Haus davon erdröhnte.
Indessen war Friedrich zu dem Zigeuner hinabgegangen, der, verabredetermaßen seines Bescheides harrend, an dem Gartenzaune lehnte. Er reichte ihm ein Fläschchen, ein Brot, eine Wurst und ein Stückchen Geld. Das letztere hatte er sich unterwegs von seiner Schwester geben lassen; bei den Lebensmitteln mochte ihm in etwas uneigentlicher Form die Lehre des Waisenpfarrers vorgeschwebt haben. »Da nimm, iß und trink«, sagte er mit einer sonderbaren Hast und Heftigkeit, »und dann mach, daß du zum Teufel kommst.«
Der Zigeuner griff gleichmütig zu, dann heftete er sein scheeles Auge auf den Wohltäter. »Was, und mit dem Dienste ist's nichts?« sagte er.
»Schweig still und mach mich nicht scheu! Ich bin so schon wild genug. Trink deinen Kirschengeist! Sieh, ich hab dir Wort gehalten, soviel an mir gewesen ist.«
Der Zigeuner schnitt eine höhnische Fratze: »Blitz und Mord!« rief er, »so wohlfeile Versprechen kann mir ein jeder tun und mich ein paar Stunden umführen. Ich seh schon, wie's steht. Das Christentum hat, scheint's, auf einmal ein Loch gekriegt und, nach dem einen feurigen Backen zu schließen, gar noch einen Plätz auf das Loch.«
Friedrich stieß einen Schrei aus, wie nur der tollste Jähzorn ihn eingeben kann, warf sich über den Zigeuner her und ließ ihn seine Faust aus Leibeskräften fühlen. Der Zigeuner war bloß darauf bedacht,[63] sein Fläschchen vor Schaden zu hüten, übrigens wehrte er sich nicht gegen die Schläge, die er in reichlichem Maße bekam, sondern brach statt dessen in ein schallendes Gelächter aus.
Bei diesem Lachen hielt Friedrich betroffen inne. »Hund, was lachst?« fragte er zornig.
Der Zigeuner schüttelte sich. »Herzensbruder«, sagte er, »ich muß lachen, daß dich das Mitleid und der Jammer zum Prügeln treibt. So was ist mir noch nie vorgekommen.«
Er leerte das Fläschchen auf einen Zug, schleuderte es mit einem »Juhu« hoch empor, und während es klirrend zu Friedrichs Füßen niederfiel, schallte das Jodeln des Zigeuners schon aus einiger Ferne herüber. Verblüfft starrte ihm Friedrich nach.
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