7. Szene.

[130] Vorige. Ohne Fritz.


EMILIE. Von wem ist denn der Brief?

WILHELM. Von deinem Vater. Er entschuldigt sich, daß er nicht gratulieren kommen kann – er muß verreisen. Gibt ihr den Brief.

EMILIE erstaunt. Mein Vater verreist?

WILHELM. Ja, es klingt unglaublich. Ich habe zwar noch niemand so viel vom Reisen sprechen hören, wie ihn, daß er aber wirklich die Courage dazu haben sollte –

EMILIE hat gelesen. Er reist noch heute ab.

WILHELM. Vielleicht reißt er aus.

EMILIE. Wieso?

WILHELM. Vor Muttern.

EMILIE ärgerlich. Solche Späße verbitte ich mir. Setzt sich an den Tisch links und nimmt das Buch zur Hand.

WILHELM ihr nachgehend. Du bist wohl böse?

EMILIE. Laß mich zufrieden.

WILHELM. Ah, du willst lesen? Dann werde ich schreiben – Rechnungen ausziehen. Setzt sich an das Schreibpult rechts.


Pause.


EMILIE. Ein netter Geburtstag!

WILHELM. Ja, wenn du maulst –

EMILIE. Ich soll es mir wohl ruhig gefallen lassen, wenn du alle Tage einen Zank vom Zaune brichst? – heute über die Mutter, morgen über die Kinder!

WILHELM. Wir haben ja gar keine.

EMILIE. Das ist vielleicht ein Glück; denn wenn Eltern schon vorher so uneinig sind über die Erziehung –

WILHELM. O, ich bin ganz einig mit mir.

EMILIE. Ja, du! Wenn es nach dir ginge, dann würde der Junge wo möglich in Watte verpackt und in einen Glaskasten gesetzt, damit ihn kein Windchen anweht. Man soll Kinder aber nicht so verpimpeln, davon haben sie nachher ihr ganzes Leben lang zu leiden. Ich bin für Abhärtung.

WILHELM. Und ich sage dir, ein zarter Organismus muß geschont werden. Vor dem dritten Jahre kommt das Kind – namentlich im Winter – nicht an die Luft.

EMILIE. Das wäre noch schöner! Abhärten muß man es von früh auf durch kalte Abreibungen.[131]

WILHELM. Im Gegenteil, Wärme ist die Hauptsache.

EMILIE. Nein, kaltes Wasser.

WILHELM. Ach, das ist wohl die Weisheit, die du aus dem Buche hast?

EMILIE. Darüber ist gar nicht zu spotten. Die Frau schreibt aus Erfahrung, denn sie hat selber sechs Kinder groß gezogen. Uebrigens ist die Erziehung in den ersten Jahren Sache der Mutter.

WILHELM. Na, du wirst mir doch schon erlauben müssen, daß ich mich um mein Kind auch bekümmre.

EMILIE. Das magst du tun; aber was die Erziehungsmethode betrifft, so werde ich gewiß nicht nachgeben.

WILHELM. Ich auch nicht, mein Kind ist doch immer mein Kind.

EMILIE. Dein Kind ist vor allen Dingen mein Kind – ich bin die Mutter!

WILHELM. Und ich bin der Vater.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 130-132.
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