8. Szene.

[132] Vorige. Albertine.


ALBERTINE in eleganter, etwas auffallender Toilette, ist schon früher durch die Mitte eingetreten. Ei, hier geht es ja wieder recht lebhaft zu.

EMILIE. Ach, Mutter, gut, daß du kommst, du wirst am besten entscheiden können. Ich sage, man muß das Kind schon in frühester Jugend abhärten, namentlich durch kalte Abreibungen – was sagst du?

WILHELM. Ich hoffe, Sie werden sich nicht durch Ihre Antipathie gegen mich als Schwiegermutter verleiten lassen, parteiisch zu urteilen. Ich behaupte, das Kind muß geschont werden – Wärme ist die Hauptsache, nicht wahr?

EMILIE. Nein, kaltes Wasser.

WILHELM. Was sagen Sie?

EMILIE. Was sagst du?

ALBERTINE. Von welchem Kinde ist denn eigentlich die Rede?

EMILIE wendet sich verlegen ab.

WILHELM ebenfalls verlegen. Ach so!


Kleine Pause.
[132]

ALBERTINE. Es ist doch ein rechtes Unglück! Den ganzen Tag zankt Ihr Euch.

EMILIE. O nein.

WILHELM. Man muß doch seine Meinung austauschen.

ALBERTINE. Ich kam, um dir zum Geburtstag zu gratulieren, Emilie.

EMILIE. Ich danke schön, Mutter. Willst du dich nicht setzen?

ALBERTINE setzt sich an den Tisch links.

WILHELM geht wieder an das Schreibpult.

ALBERTINE. Ihr solltet Euch ein Beispiel nehmen an Rosas Ehe. Da hört man nie ein böses Wort – immer Zufriedenheit und Eintracht.

EMILIE. Du glaubst also, daß Rosa sehr glücklich ist?

ALBERTINE. Ob ich glaube? Natürlich ist sie es. Körner ist allerdings nicht der Schwiegersohn, wie ich ihn mir geträumt habe und wie ihn Rosas Erziehung und Tournüre eigentlich verdient hätte; indessen der Mann sieht das ein und benimmt sich danach. Wenigstens ist er sehr reich, und mein Kind braucht nur einen Wunsch auszusprechen, dann ist er schon erfüllt. Im übrigen hat sie sich ihren vollständig freien Willen bewahrt und sucht sich den Umgang und die Gesellschaftskreise, die ihr passen.

WILHELM. Und das paßt ihm?

ALBERTINE. O, Herr Körner ist ein sehr gescheiter Mann. Er beschäftigt sich mit seiner Fabrik und seinen Arbeitern, und überläßt die Repräsentation des Hauses seiner Frau.

WILHELM. Aber sie besuchen sich doch manchmal?

ALBERTINE. Es ist jedenfalls angemessener, sich nur manchmal zu besuchen, dann aber nur freundliche und liebevolle Worte auszutauschen, als den ganzen Tag zusammen zu hocken und sich immerwährend zu zanken.

EMILIE. Nein, Mutter, was das anbelangt –

ALBERTINE. Natürlich, du siehst das nicht ein. Es ist recht schade, daß du so wenig mit Rosa verkehrst, du wurdest viel von ihr lernen können. Ach, und wie sie eingerichtet ist! Wir haben jetzt wieder ein neues Meublement à la Pompadour und Herculanum bekommen – genau nach der antiken Ausgrabungen – himmlisch – entzückend!

WILHELM beiseite. In mir kocht's schon wieder.[133]

ALBERTINE. Und was für Konnexionen wir haben. Rosa ist doch durch des Barons von Zinnow Vermittlung zur Vorstandsdame im Komitee des Suppenvereins gewählt – na, Ihr habt es gewiß in der Zeitung gelesen? Auch Lose für die Wohltätigkeits-Lotterie habe ich zu verkaufen! Zu Wilhelm. Sie sollten ein paar nehmen, nur eine Mark das Stück.

WILHELM. Nein, ich danke.

ALBERTINE. Aber ich bitte Sie, es ist ja für einen wohltätigen Zweck, für den Suppenverein. Man ist doch verpflichtet, etwas für die Armen zu tun.

EMILIE. O, Wilhelm gibt ja jeden Monat für den Suppenverein fünf Mark.

ALBERTINE. Monatlich fünf Mark? Aber Sie stehen ja gar nicht in der Liste, die immer in der Zeitung veröffentlicht wird?

WILHELM. Weil ich mir das verbeten habe.

ALBERTINE. Wie? Sie lassen es nicht in die Zeitung setzen, wenn Sie für die Armen etwas geben? Ja, warum gibt man es denn? Da sieht man's, Kinder, Ihr versteht nicht zu leben.

WILHELM. Da hat die Schwiegermutter eigentlich recht.

ALBERTINE. Habe ich wirklich einmal recht? Es ist ja ein Wunder, daß Sie das einsehen.

WILHELM. Der Unterschied ist bloß, ob man wohltun will, oder dicketun.

ALBERTINE. Ich dachte wohl, daß es sich wieder um eine Bosheit handelt. Na, mit Ihnen streite ich überhaupt nicht, Sie Krakehler. Ich muß auch jetzt fort.

EMILIE. Du willst schon wieder gehen? Kommt Ihr nicht abends auf ein Stündchen?

ALBERTINE. Ich weiß wirklich nicht, ob es heute gehen wird, ich habe Rosa versprochen, sie in eine Soiree zu begleiten, und der Vater –

EMILIE. Was ist das mit dem Vater? Er schrieb uns vorhin, er müsse heute verreisen.

ALBERTINE. Ja, denkt Euch, der Mann ist ganz komisch. In irgend einem Nest ist ein weitläufiger Verwandter gestorben, von dem wir nie etwas gehört haben – da soll er nun wegen Erbschaftsgeschichten hinkommen. Wird 'ne nette Erbschaft sein! Heute Abend will der Vater mit der Eisenbahn fort. Früh morgens um vier Uhr ist er schon aufgestanden,[134] läuft herum, packt ein und wieder aus und kehrt das ganze Haus um. Na, ich habe mich fortgemacht.

WILHELM lachend. Natürlich!

ALBERTINE. Wieso natürlich?

WILHELM. Da ist ja der Schwiegervater.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 132-135.
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