2. Szene.

[7] Vorige, ohne Marie.


ZERNICKOW. Na, Hanswurst, ist dein Appetit auch schon gestillt?

EMMA. Durchaus nicht, Väterchen, ich werde jetzt erst anfangen dem Napfkuchen Ehre anzutun. Setzt sich wieder an den Tisch.

ANNA zu Emma. Du, was hatte denn Marie? War sie wirklich böse?

EMMA. Bewahre! Aber Ihr wißt ja, wie sie ist. Von dem Kuchen essend. Ihr gutes Herz kann es nicht zugeben, daß man über irgend jemand etwas Schlechtes sagt.[7]

NATALIE. Das ist eine sehr lobenswerte Eigenschaft, viel hübscher, als wenn man sich über jemand moquiert.

EMMA. Das soll gestichelt sein, ich weiß schon, aber es stimmt nicht. Da ist zum Beispiel unser Chambreganist, der Herr Mehlmeyer, über den Ihr Euch immer lustig macht.

ZERNICKOW. Der närrische Kauz mit den langen Haaren?

ANNA. Der überall, wo er geht und steht, Klavier spielt –

NATALIE. Von dem man keine andere Antwort kriegt, als Triller und Passagen –

EMMA welche unruhig auf ihrem Stuhle hin- und herrückt. Seht Ihr, seht Ihr! Da seid Ihr schon im besten Zuge. Und ich – was tue ich? Ich stimme nicht mit ein in Eure moquanten Bemerkungen, im Gegenteil, ich sage: Herr Mehlmeyer ist ein sehr interessanter Mann, ein genialer Künstler. Außerdem hat er Aussichten, sehr gute Aussichten: eine reiche Tante in Bremen, einen reichen Onkel in Hamburg und einen reichen Bruder auf den Südseeinseln. Wenn Einer stirbt, erbt er was.

NATALIE. Emmchen, sprich nicht so laut; wenn er dich hörte, könnte er am Ende glauben, daß –

EMMA. Was? Daß ich nicht »Nein« sagen würde, wenn er mich fragte, ob ich ihn heiraten will?

NATALIE vorwurfsvoll. Aber Emma!

EMMA näher an den Tisch rückend, geheimnisvoll. Kinderchen, Scherz bei Seite, ich habe Ahnungen – paßt auf, es ereignet sich was. Neulich, als wir zusammen vierhändig spielten, machte er allerlei verfängliche Anspielungen. Wenn meine rechte Hand im Diskant zu tun hatte, suchte seine linke Hand immer den Baß, und wenn ich mit dem einen Fuß den Pianodämpfer drückte, drückte er mit dem andern Fuß immer den Fortezug. Ihr sollt sehen, er macht mir nächstens einen Antrag.

NATALIE. Ach, du bist närrisch.

ANNA. Ich finde das nicht sehr anständig.

EMMA piquiert. Was?

ANNA. Daß Ihr nicht nur vierhändig, sondern auch vierfüßig spielt.

EMMA aufspringend. Hör' mal, das muß ich mir verbitten.

ZERNICKOW. Na, na, wollt Ihr Euch auch zanken?[8]

NATALIE. Es wäre besser, Ihr wähltet Euch anderen Unterhaltungsstoff, als junge Männer, die Euch eigentlich gar nichts angehen. Da Ihr aber den Herrn Mehlmeyer aufs Tapet gebracht habt, so wollen wir auch nicht vergessen, daß heute der Erste ist und ihn durch eine kleine Nota daran erinnern.

ZERNICKOW. Nicht doch, Natalie, das könnte er übelnehmen.

NATALIE. Alterchen, das ist mein Ressort, das verstehst du nicht. Wenn ich den jungen Herrn nicht allmonatlich daran erinnerte, daß er seine Miete zu bezahlen bar, würde ich manchmal mit dem Hausstandsgeld zu kurz kommen. Zu Anna. Hat die Aufwärterin schon sein Frühstück geholt?

ANNA. Nein.

NATALIE. Dann will ich ihm gleich die Rechnung mitschicken. Anna, hole mir doch von der Kommode drinnen mein Notizbuch, in dem die kleinen Auslagen stehen.

ANNA aufstehend. Ja.

NATALIE. Bringe auch Papier und das Schreibzeug mit.

ANNA ab nach rechts.

ZERNICKOW sieht nach der Uhr. Der Tausend! Es ist ja schon beinahe halb neun Uhr; ich werde mich ankleiden und aufs Gericht gehen. Steht auf.

NATALIE. Wann kommst du zum Essen?

ZERNICKOW. Na, ich denke bis zwei Uhr zu Hause zu sein. Ich werde mich bemühen, die Parteien möglichst schnell abzufertigen. Im Vorbeigehen Emma auf die Schulter klopfend. Na, Hanswurst, woran denkst du?

EMMA aus ihren Gedanken auffahrend. Ich? An gar nichts. Ich werde in die Küche gehen und Marie beim Kochen helfen.


Anna kommt zurück; sie bringt Papier, Schreibzeug und das Notizbuch mit und stellt alles vor Natalie auf den Tisch.


ZERNICKOW. Du auch? Sapperlot! Da darf ich mich wohl auf lukullische Genüsse vorbereiten? Ich bin sehr neugierig. Ab nach rechts.


Emma und Anna räumen das Kaffeegeschirr zusammen und gehen damit durch die Mitte ab.


EMMA währenddessen bei Seite. Ich muß jedenfalls erfahren, was das mit Marie und dem jungen Weigelt für eine Bewandtnis hat. Ab.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 7-9.
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