2. Szene.

[68] Weigelt. Minna.


MINNA im Umschlagetuch, einen Korb am Arm, tritt ein. Morgen, Herr Weigelt. Na, schon wieder an die Arbeit?

WEIGELT. Natürlich, Minna. Es freut mich sehr, daß du kommst, aber du darfst es mir nicht übel nehmen, wenn ick mir nich stören lasse.[68]

MINNA. Bewahre, ich habe auch gar nicht lange Zeit.

WEIGELT. Lang' dir doch den Fauteuil von da hinten her und setz' dir 'n bisken zu mir, wir können ja denn doch plaudern.

MINNA holt den zerbrochenen Stuhl und setzt sich neben Weigelt. Wenn Sie erlauben, Herr Weigelt, dann bin ich so frei.

WEIGELT. Was machst du denn Minna? Geht das Budiker-Geschäft gut?

MINNA. Na, so ziemlich, man muß bei die Zeiten zufrieden sein. Wir haben uns jetzt auch 'n Mittagstisch eingerichtet für Gäste.

WEIGELT. So? Was habt Ihr denn für Gäste?

MINNA. Na, ein paar arme Studenten, Droschkenkutscher, ein früherer Bankdirektor – so allerlei durcheinander.

WEIGELT. Und das rentiert sich?

MINNA. Sehr viel bleibt gerade nich übrig, aber man macht das Lokal doch populär.

WEIGELT. Und dein Mann? Deine Kinder?

MINNA. Alles wohl, Gott sei Dank.

WEIGELT. Das is die Hauptsache.

MINNA verlegen. Herr Weigelt, ich hätte wohl eine Bitte an Ihnen –

WEIGELT. Man zu! Du wirst dir doch nicht genieren?

MINNA. Ich habe nämlich heute für unsern Mittagstisch einen Gänsebraten riskiert. Nu will man doch gern sicher sein, ob man bei die Gäste keine Schande einlegt; darum möchte ich wohl ein sachverständiges Urteil hören. Sie sind doch Kenner, wenigstens von früher – Rasch. Wollen Sie die Gans nich mal probieren? Holt aus dem Korbe eine Gänsekeule und präsentiert sie Weigelt.

WEIGELT schielt nach der Gänsekeule und atmet wollüstig den Duft ein. Hm! Ah! Dein Vertrauen schmeichelt mir sehr, und wenn du wirklich meinst, daß mein Urteil maßgebend is –?

MINNA. Gewiß, Herr Weigelt, gewiß.

WEIGELT. Dann fühle ich mir sogar verpflichtet – Greift nach der Gänsekeule und beißt hinein. Hm! Ach! Sehr gut, Minna, sehr gut. Kauend. Weißt du wohl, daß ich keine Gans mehr zu sehen gekriegt habe, seitdem du von mir fort bist?

MINNA seufzend. Ja, ja, die Zeiten haben sich geändert.[69]

WEIGELT. Na und ob! Früher zum Beispiel war mir meine silberne Uhr nich gut genug und ick ließ sie vergolden; nachher mußte ick die goldene Uhr wieder versilbern.

MINNA. Aber 'n bischen besser könnten Sei's doch haben, Herr Weigelt, wenn Sie man wollten.

WEIGELT. Wie meinst du das?

MINNA. Erstens haben wir Ihnen doch so oft gebeten, bei uns zu essen, wenigstens den Sonntag.

WEIGELT. Du weißt, ick gehe nich gern unter Menschen; und dann habe ich auch gar keine Zeit, viel auszugehen, ich muß arbeiten.

MINNA. Sie müssen sich doch aber mal Ruhe gönnen und 'n bischen Zerstreuung. Das find Sie sich schuldig.

WEIGELT halb für sich. Wenn ich weiter keinem was schuldig wäre, wie mir, dann ginge das, aber so –

MINNA. Und wenn Sie nu auch nich zu uns kommen wollen, es leben doch noch andere Leute, die Ihnen näher stehen, ganz nahe, Ihre –

WEIGELT hat während Minnas Worten immer heftiger auf die Sohlen welche er bearbeitet, geklopft, und zwar absichtlich, um ihre Stimme zu übertönen. Er steht jetzt auf. So, die Sohlen sind fertig.

MINNA ebenfalls aufstehend, bei Seite. Davon will er nischt hören, der alte Eigensinn!

WEIGELT. Minna, du hast mir doch nich verraten?

MINNA. Herr Weigelt, ich habe Ihnen versprochen, zu schweigen, und ich werde mein Versprechen halten.

WEIGELT. Dann ist's gut. Jetzt kommen die Riester auf die Stiefeletten von Fräulein Laura, die in die erste Etage wohnt. Nimmt einen Damenstiefel und setzt sich wieder an die Arbeit.

MINNA. Wenn Sie doch wenigstens etwas mehr für Ihre Gesundheit tun möchten, Herr Weigelt?

WEIGELT. O, ich bin ganz gesund.

MINNA. Sie müssen sich besser pflegen. Nimmt eine Flasche Wein aus dem Korb. Sehen Sie, hier wäre ein Pülleken Rotwein, den mein Krümel neulich angesetzt hat.

WEIGELT. Wein? Wo denkst du hin, das is viel zu kostspielig für mich.

MINNA. Er is ja nich so teuer, wir beziehen die Besinge Blaubeeren billig von außerhalb. Probieren Sie mal, ja?

WEIGELT. Nee, Minna, ick will mir gar nich an spirituelle Genüsse gewöhnen. Reines Wasser is das Beste, dabei bleibt der Kopp klar.[70]

MINNA legt seufzend die Flasche wieder in den Korb. Wenn Sie aber auch gar nischt von mir annehmen wollen!

WEIGELT freundlich. Doch, Minneken, doch. Sorge man für viel Arbeit, die nehme ich immer an. Ich verlange ja nich, daß ihr die neuen Stiefel bei mir machen laßt, aber die Flickereien – du hast mir jetzt lange nischt gebracht.

MINNA. O, ich will gleich zu Hause nachsehen, morgen komme ich wieder.

WEIGELT. Du willst schon gehen?

MINNA. Es is Zeit, ich muß in die Küche. Adieu, Herr Weigelt.

WEIGELT. Adieu, Minna. Hält ihr die Hand hin.

MINNA verlegen. O! Wischt ihre Hand an der Schürze ab.

WEIGELT besieht seine schwarze Hand und sagt dann lächelnd. Wisch dir nachher ab.

MINNA schüttelt Weigelt kräftig die Hand. Adieu! Im Abgehen bei Seite. Es is doch ein Jammer, einen reichen Mann zu sehen, der noch ärmer is, als unsereins. Ab.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 68-71.
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