An die Ungezeugten

[160] Euch, welche noch zum Leben nicht

Der Samen hat geweckt,

Euch, die noch vor dem grellen Licht

Der Mutterleib bedeckt,[160]

Euch gilt unser Schreiben und Streiten,

Die Wege euch vorzubereiten.


Wir schwingen mit Begeisterung

Das scharfe Wahrheitsbeil

Und hacken, roden Stamm und Strunk

Vom Urwald »Vorurteil«,

Damit ihr freie Wege wandelt

Und ohne Hindernis handelt.


Wir fasten und wir frieren gern

In Schmach und Schmutz gebannt,

Uns stählt ein heller Hoffnungsstern

Die arbeitsschwarze Hand,

Was liegt an uns Verlornen,

Es leben die Ungebornen!


Ein freies, schönes Menschengeschlecht,

Gottähnlich sollt ihr sein,

Ein einigstarkes Liebesrecht

Wird euer König sein –

Amen und diesen Glauben

Soll uns kein Knechtmensch rauben.


Münster, August 1890


Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 160-161.
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