Heimatsklänge

[92] Drei Klänge sind's vom Heimatsland,

Die ich schon lang nicht mehr gehört,

Manch trübe Stunde schon entschwand,

In der ich schmerzlich sie entbehrt;

Drei Klänge, süß wie Liebeslaut,

Wie schüchtern Wort aus Kindermund –

Bald wieder, wie zur nächt'gen Stund,

Das Wutgeheul der Sturmesbraut:

Du Rauschen in dem dunklen Föhr,

Du Wellenklang vom grünen See,

Du Lied aus Volksmund, wild und weh –

Wer weiß, ob ich euch nochmals hör!


O Rauschen von dem Kiefernwald,

Ich hab' dich stets so lieb gehabt,

Wie hat's mein wildes Herz gelabt,

Wenn des Piroles Flöten schallt,[92]

Wenn ringsumher die Biene summt,

Sonst alles Leben ist verstummt –

Und andersmal beim Mondenschein,

Bei Nachtwinds grellen Melodein,

Wenn's in den Kronen ächzt und kracht

Und durchs Geäst der Waldkauz lacht,

O Rauschen von dem dunklen Föhr,

Wer weiß, ob ich dich nochmals hör!


O Wellenplaudern im Geröhr,

Und Wogenklatschen an dem Strand!

Wer euch gehört, den läßt's nicht mehr,

Es hält für immer ihn gebannt.

O traumhaft leises Abendlied,

Wie's murmelnd durch das Röhricht zieht,

Du liebes Lied der dunklen Flut,

Beglänzt von Abendsonnenglut –

Noch schöner, wenn die Möwe gellt

Und weiter Gischt am Strand zerschellt

O Wellenrauschen, leis und schwer,

Wer weiß, ob ich dich nochmals hör!


O Heimatslied aus Volkesmund,

So schneidighell wie Schwerterklang,

So kühn, wie's je in heißer Stund'

Aus starken Männerkehlen drang;

Bald zarter Liebe Leid und Lust,

Der eignen Schönheit unbewußt,

Bald dämmrigschauernd Ammenlied,

So gleichbewegt wie Glockenton,

Vom Abglanz alter Zeit durchglüht,

Vom Volke fast vergessen schon –

Ihr Lieder, wild und wehmutsschwer,

Wer weiß, ob ich euch nochmals hör!


Nach Osten zieht's mich mächtig hin,

»Nach Hause« klingt's in meinem Sinn:

Drei Klänge sind's vom Heimatsland,

Die haben mir das Herz entwandt;

Es ist schon lange nicht mehr mein,[93]

Es findet nur zu Hause Ruh:

»Nur einmal in der Heimat sein!«

Das klopft und klopft es immerzu.

Du Wellenklang vom grünen See,

Du Lied aus Volksmund, wild und weh,

Du Rauschen von dem dunklen Föhr –

Wer weiß, ob ich dich nochmals hör!


1886. Im September zu Münster


Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 92-94.
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