Krüzkes Franz

[88] Siehst du den Menschen? so glasig und öde

Starret sein Blick nach den Steinen,

In seinem Angesicht, geistlos und blöde

Seh ich nie Lachen, noch Weinen.


Wie er dahinwankt mit schlotternden Knieen,

Aschgrau die Jammergebärde,

Zitternd die mageren Finger ziehen

Kreuzzeichen über die Erde.
[88]

»Krüzkes Franz, Krüzkes Franz!« necken und höhnen

Heulend und brüllend die Knaben,

»Fränzchen, kiek hier« – so hör' ich es tönen,

»Dor ligg din Moder begraben!«


Gierig mit scheuen und schüchternen Blicken

Folgt er den höhnenden Rufen,

Aber vergebens versucht er zu drücken

Kreuze auf steinernen Stufen.


War er ein froher und munterer Knabe,

Als seine Mutter noch lebte,

Seit man sie barg in dem hungrigen Grabe,

Wahnsinn den Geist ihm umwebte.


Als man der Mutter den Grabhügel häufte,

Glaubt er, vergessen man habe,

Daß man ein Kreuz in die Lehmscholle streifte,

Ruhe ihr gäbe im Grabe.


Nimmer nun, wähnt er, könne entweichen

Jene des Fegfeuers Qualen,

Bis man das leidenerlösende Zeichen

Ihr auf das Grab würde malen.


Sucht er die Stelle, wo sie begraben,

Täglich und findet sie nimmer,

Aber es blieb, ob auch höhnen die Knaben,

Ihm noch ein rettender Schimmer.


Daß er durch Zufall könne einst finden

Jene verborgene Stelle,

Und seine Mutter vom Orte der Sünden

Aufführ' zur himmlischen Helle.


Darum wühlt er die flüchtigen Zeichen

Hastig in Wege und Gossen,

Seh' ich ihn täglich die Straßen durchstreifen

Hoffnungsvoll und unverdrossen.


Münster 1885


Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 88-89.
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