[140] Jetzt zieht ein süßes, banges Wonneahnen
Heimlich erschauernd über die Natur,
Ein unbewußtes traulich-leises Mahnen
Des nahen Lenzes erste Werdespur.
Am Weidenbusch die Silberkätzchen schwellen,
Es fliegt der erste gelbe Schmetterling,
Es murmeln leise die befreiten Wellen,
Im kahlen Apfelbaum studiert der Fink.
Der Winter flieht, der alles kalt und trübe
Verschlossen hielt, erkältend jede Glut,
Ein jedes Herzchen denkt an neue Liebe,
An helle Kleider und den Sommerhut.
Es kommen jetzt die holden Weihetage,
Jedweden Dichter küßt der Genius,
Nach rosa Briefpapier ist große Frage
Und der Papierkorb schäumt von Überfluß.
Nun ruhe, Hand, du hast genug geschrieben –
O deutsches Volk, wie hoch wirst du beglückt!
Jetzt aber will ich gehn und mich verlieben,
Wie sich das für den deutschen Jüngling schickt.
Doch wenn im Herbst die Stürme rauh zerfetzen
Das letzte Laub am fahlen Apfelbaum,
Dann will ich still mich an den Ofen setzen
Und klagen über meinen Frühlingstraum.
Münster, März 1890