Der Märchenwald

[207] Mitten im Moor liegt der Märchenwald,

Vom Zauberbache begrenzt;

Lockender Zauberruf dort erschallt,

Distel und Dorn ihn umkränzt.


Mitten im Wald eine Wiese sprießt,

Ihr Gras ist weich und lang;

Unter der Wiese die Quelle fließt,

Die hat eigenen Klang.


Hinter der Quelle steht ein Baum,

Sein Silberlaub zittert im Wind;

Da sang mir ein Vogel den Wundertraum

Von dir und mir, mein Kind.


Unter dem Baume da wächst ein Moos,

Das schimmert und leuchtet wie Gold;

Farne wuchern da stolz und groß,

Ihr Laub ist seltsam gerollt.


Da wo die beiden Machangeln stehn,

Da führt der Weg in den Wald;

Nur wer das Wort kennt, der kann ihn gehn,

Ihm bieten die Dornen nicht Halt.


Komm, Geliebte, und küsse mich,

Komm, ich weiß ja das Wort;

Und das Wort, das heißt »Ich liebe dich!«

Das drängt jedes Hindernis fort.


Komm, mein Lieb, und fürchte dich nicht,

Komm doch, das Glück das lacht;

Zwei Machangeln, schwarz und dicht,

Halten treuliche Wacht.

Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 207-208.
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