Die Rache Tamalals

[267] Die goldnen Hörner klangen

Hinab auf Ninive,

Die silbernen Brunnen sprangen

Aus dem Marmorsee;

Die Freudenfeuer sprühten

Rot auf jedem Dach,

Hunderttausend Fackeln glühten

Und machten die Nacht zum Tag.
[267]

Vor Kaiser Hasurbanipal

Tamalal, der Sänger, stand,

Die goldne Harfe gab stolzen Schall

Unter seiner Hand;

Einen Hymnus sang er dem Kaiser,

Einen Hymnus hoch und hehr,

Die Brunnen spielten leiser,

Die Hörner klangen nicht mehr.


»Vier Könige vor deinem Wagen,

O Hasurbanipal,

Ihre Völker liegen erschlagen,

Erhabener, überall;

Wie der Löwe die Rinderherde

Sprangst du sie an,

Rot strichst du die Erde

In der Lande vieren an.


Humanaldasch und Wate,

Ihr liegt im Sand,

Tammarhita und Pate,

Euer Glanz verschwand;

Die gelben Schakale pflegen

Sich an eurem Hirn,

Ihr tratet entgegen

Dem großen Gestirn.


Und war auch deiner Feinde Zahl

Wie Sand am Meer,

Du streutest, Hasurbanipal,

Wie Spreu sie umher;

Sieben Himmelsgewalten

Beschirmen dein Land,

Assur und Isthar halten

Dich in ihrer Hand.


Du bist die Sonne,

Du bist das Licht,

Deiner Völker Wonne,

Der Feinde Gericht;[268]

Es leuchtet dein Namen

Über Berg und Tal,

Benedeit sei dein Samen,

Hasurbanipal!«


Es ist ein Lied gekommen

Von Babylon,

Ninive hat es vernommen,

Die Männer pfeifen es schon;

Die Frauen summen die Weise

Lächelnd vor sich hin,

Sie summen sie ganz leise

Und haben die Worte im Sinn:


»Es war einmal ein König,

Wie er heißt, ist einerlei,

Der liebte nichts so wenig

Wie Kriegsgeschrei;

Wenn Beile auf Schilde krachten,

Dann schlug im Frauenzelt

Andere Schlachten

Der große Held.«


In Ninive sang man es leise,

In Babylon laut man es sang,

Die niederträchtige Weise

Auf allen Gassen erklang:

»Ja, wären die Feinde Frauen,

Hunderttausend an der Zahl,

Als Held wär' dann zu schauen

Hasurbanipal.«


Und der das Lied gefunden,

Der Mann hieß Tamalal,

Es schlug seinem Stolze Wunden

Hasurbanipal;

Da floh mit Zorn im Herzen

Der Sänger gen Babylon,

Aus seinen roten Schmerzen

Klang grüner Hohn:
[269]

»Du führtest den Krieg

Unter Assurs Schutz,

Ich trete deinen Sieg

In den tiefsten Schmutz;

Ich mache deinen Ruhm

Nackt und kahl,

Dir nimmt dein Heldentum

Tamalal.


Solange Menschen leben,

Seist du bekannt

Als der, so sich mit Beben

Barg in Weibsgewand;

Zum Staub will ich dich reißen,

Hasurbanipal,

König Unterrock sollst du heißen,

Schardanapal.«

Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 267-270.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mein blaues Buch
Mein blaues Buch. Balladen
Mein blaues Buch: balladen (German Edition)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon