Der Bär und die zwei Gesellen

[103] Zwei Freunde, die in Geldverlegenheit,

Verkauften Nachbar Kürschner eine Bärenhaut.

Zwar hatten sie den Bären nur geschaut,

Doch meinten sie, vom Fang sei's nicht mehr weit.

Auch hatten sie dem Kürschner anvertraut,

Daß solch ein Riesenexemplar von Bär

Wohl nicht zum zweitenmal zu finden wär.

Der Winter, sagten sie, der werde heuer kalt,

Und für zwei Mäntel reiche wohl das Fell.

Sie lobten ihren Bären dergestalt,

Als hätten sie ihn schon zur Stell.

In spätestens zwei Tagen wollten sie ihn bringen.

Sie nehmen ihren Lohn und eilen in den Wald

Und finden auch den Bären bald,

Der schnurgerade auf sie zugelaufen kommt.

Man fühlt, hier gibt es kein Entspringen!

Der eine findet, was ihm frommt,

Und klettert hoch in einen Baum hinein.

Der andre, der kein Glied mehr rühren kann,

Wirft sich zur Erde, hält den Atem an

Und stellt sich tot; denn grade fällt ihm ein,

Daß oft die Rede geht: der Bär verschont

Den regungslosen Leib, in dem kein Leben wohnt.

Und Meister Petz fällt wirklich drauf herein.

Er sieht den Körper, dem das Lebenslicht entflohn

Und denkt: Der Mann ist tot – wennschon

Es möglich ist, daß er sich nur verstellt.

Weshalb er es für ratsam hält,

Den Leichnam umzudrehn und zu befühlen

Und ihm die Schnauze ins Gesicht zu wühlen,

Um festzustellen, ob der Atem fort.[104]

»Wahrhaftig, eine Leiche! Wie sie stinkt!«

Brummt er, als er von dannen hinkt.

Der andre der Gesellen dort,

Der auf dem Baum, steigt nun herunter,

Läuft hin zu seinem Freund, begrüßt ihn munter

Und meint entzückt, wie schön es sei,

Daß die entsetzliche Gefahr vorbei

Und ihre Qualen nur in etwas Angst bestanden.

»Ja, allerdings,« fügt er hinzu, »das Fell des Bären...

Doch bitte, willst du mir erklären,

Welch ein Geheimnis dir Herr Petz gestanden,

Als er so nah dir ins Gesicht geschaut?«

»Er sagte nur, man solle nie die Haut

Des Bären schon zu Markte tragen,

Eh man nicht ihn, den Bär, erschlagen.«

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 103-105.
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