Der Fuchs und die Katze

[172] Zwei rechte Heilige, Fuchs und Katze,

Begaben sich auf Pilgerschaft:

Zwei wahre Schelme, die trotz ihrer Sammettatze

Als Reisezehrung massenhaft

Das köstlichste Geflügel knackten

Und manchen fremden Käse packten.

Man schlug sich durch, so gut es ging.

Langweilig war der Weg; man fing

Zur Kurzweil an zu disputieren;

Denn ohne solches ist Spazieren

Bisweilen ein ermüdend Ding.

Ihr Eifer schob sie gut vom Platze.

Kaum war die eine Sache tüchtig durchgestritten,

Da wurde schon ein neues Thema angeschnitten.

Und schließlich sprach der Fuchs zur Katze:

»Für sehr bewandert hältst du dich –

Doch bist du so geschickt wie ich?

Ich trage hundert Listen hier in meinem Sack.«

»Nein,« sprach die Katze drauf, »in meinem Beutel ist

Nur eine einzige List;

Doch steh ich dafür ein, sie wiegt ein ganzes Pack

Von tausend Listen auf.«

Schon ist der neuste Streit in Lauf:

Ob ja, ob nein, wird hin und her erwogen.

Da plötzlich stört sie eine Meute.

Die Katze spricht: »Mein Freund, sofern du nicht gelogen,

Durchsuche nun den Sack, damit du nicht zur Beute

Der Hunde wirst, nach deiner besten List.

Was mich betrifft, schau her, wie meine eine ist!«

Sie sprach's und klomm den nächsten Baum empor.[173]

Der Fuchs erprobte hundert Finten,

Durch hundert Löcher täuschte er der Hunde Chor,

Er glaubt sich manchmal schon in Sicherheit, doch nein:

Schon wieder sind die Hunde hinten.

Hier treibt man ihn mit Rauch hervor,

Dort dringen Dächsel zu ihm ein;

Und wie er wieder flieht aus seiner Höhle Tor,

Erwischen und erwürgen ihn die flinken Hunde.


Zu viele Mittel können leicht von Schaden sein.

Man wählt – und opfert manche Stunde,

Verliert, indem man alles tut.

Ein Mittel ist genug – doch sei dies eine gut!

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 172-174.
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