Der Fuchs und die Truthühner

[207] Es wählte eine Truthahnherde,

Die ein begieriger Fuchs begehrte,

Zur Nachtrast eines Baumes Äste.

Umsonst beschlich der Fuchs die Feste;

Und ließ er sich's auch viele Gänge kosten,

Fand er doch wachsam stets das Federvolk auf Posten.

Er zürnte: »Wie? Man lacht mich aus! Man spottet mein!

Sollten wahrhaftig einzig diese mir entgehen?

Ich sage: nein! Bei allen Göttern, nein!«

Und wie er's schwur, so ist's geschehen.

Wenngleich das helle Mondenlicht

Auch günstig schien der Hühnerschar

Und klar ihr zeigte die Gefahr –

Der kundige Fuchs verzagte nicht,

Er hatte seinen Sack voll List und Lug.

Er tat zunächst, als wolle er den Baum ersteigen,

Indem er seine Pfoten um die Rinde schlug;

Dann sank er hin, um sich als toten Mann zu zeigen,

Und wieder auferstanden trieb er neuen Trug:

Verwandelte sich wie ein Harlekin

In immer andere Gestalten,

Hob seinen Schwanz und schwenkte ihn,

Hat unentwegt die indischen Hühner wach gehalten.

Von diesen, die den Feind nicht aus den Augen ließen,

Wagte natürlich keins, zum Schlaf das Lid zu schließen.

Scharf spähten sie und wurden endlich müd und matt,

Und manches taumelte erschöpft vom Baum

Und fand alsbald die letzte Ruhestatt,[208]

Die ersten in des roten Mörders Magen,

Die nächsten trug er schnell in seinen Vorratsraum

Nach Malepartus ein.


Was meine Fabel euch erzählt?

– Wer nichts als immer die Gefahr im Auge hält,

Fällt schließlich ganz gewiß hinein.

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 207-209.
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