Der Vorteil der Wissenschaft

[154] Einst haben sich zwei Bürger einer Stadt

Beständig um den Rang gestritten;

Der eine war ein reicher Nimmersatt,

Unwissend und von groben Sitten,

Der andre arm, doch groß an Geistesgaben.

Der Reiche wollte alle Ehre haben;

Er meinte, jeder sei verpflichtet gar,

Ob seiner Schätze ihn zu preisen.

Was soll man Gütern, des Verdienstes bar,

Achtung wie edlem Geistesgut erweisen?

So frage ich. Der Dumme aber war

Ganz andrer Meinung, und er sprach zum Weisen:

»Mein Freund, Ihr haltet Euch für wert,

Doch kann man je bei Weisen trefflich speisen?

Was nützt belesen sein und hochgelehrt?

Man muß zu Euch ins dritte Stockwerk reisen,

Ihr kleidet Euch im Winter wie im Mai

Und habt nur Euren Schatten als Lakai.

Wie sollte wohl ein Staat bestehen können

Von Leuten, die sich keinen Luxus gönnen?

Brauchbare Bürger müssen Geld verbreiten!

Seht uns, wie wir durch Lustbarkeiten

Der ganzen Stadt Verdienst bereiten,

Dem Künstler wie dem Handelsmann,

Dem, der die Röcke macht, und denen, die sie tragen!

Dagegen Ihr? Ihr fertigt Bücher an,

Die mit den Namen hoher Gönner prahlen

Und die wahrhaftig sonst nicht viel besagen,

Als daß Belobte Schlechtes gut bezahlen.«

Es fand der unverschämte Redeschwall,

Was er verdiente: keinen Widerhall![155]

Der Weise schwieg, er sparte sich sogar

Eine Satire, die gewiß am Platze war.

Weit besser rächten ihn die Kriegesplagen,

Die bald darauf der Feind ins Land getragen.

Die Stadt wird eingenommen und zerstört,

Schutt ist die Pracht, die jenem Protz gehört,

Und wie der Arme muß auch der Verarmte fliehn.

Er irrte um und wußte nicht wohin.

Man wies Unbildung allerorten ab,

Indes dem Weisen gern man Hilfe gab,

Denn Wissen wurde allerorts geschätzt.

Und das entschied den Streit zu guter Letzt.


Was auch die Dummheit knurrt und bellt,

Die Wissenschaft gilt mehr als Geld.

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 154-156.
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