Hunderter Brief

Rosalia an Mariane S**.

[88] Nun wohne ich seit einigen Tagen auf dem Lande und bin froh, daß ich immer dieses Leben liebte, immer die Beschreibungen davon gerne las; auf meinen Reisen mich über den Landmann und seine Arbeiten freute; gerne meinen Schlaf abbrach, um, wie mein Oheim sagte, mit ihm der Sonne entgegen zu gehen. Hier kann ich aus meinem Bette sie willkommen heissen, denn unser Schlafzimmer ist gegen Morgen, und ich darf nur einen Laden aufziehen und in meinem Bette mich aufrichten, so seh ich über meinem Garten hin, am Ende des Wäldgen die entfernte Anhöhe, hinter welchen die Purpurwolken sich färben und dann der schimmernden Aurora Platz machen. Die Morgenluft strömt in mein Zimmer, ich höre das Plätschern des kleinen Springbrunnen in meinen Garten bald auf der steinernen Einfassung, wohin der Wind den dünnen Wasserstrahl treibt, bald im Becken[88] selbst, und dann das frohe Gezwitscher der Vögel, das kleine Flattern der Flügel von denen, die nah an meinem Fenster vorbey streichen, das Gacksern unserer Hühner und das Krähen der Dorfhähne; sehe dazu das schöne Grün und die blinkenden Thautropfen. O! wie gern danke ich dann mit der ganzen Natur unserm Schöpfer und bete ihn an! Ich weiß nicht, meine Beste, ob Sie das kleine Gedicht das Gräschen kennen: daher will ich es hier einschalten, weil es wirklich erst auf dem Lande seinen ganzen Werth erhält, und ich es unendlich liebe:


Das Gräschen.


Gräschen, beperlt vom Thau,

Das jüngst Mutter Erde noch

Dem verderbenden Nord

Sanft im Schooße verschloß,

Dich sang kein Lieder-Sohn.

Du! sey du mein Gesang

Kleiner, erster Bothe des Frühlings.

Ist dein stilles Daseyn dann

Dichtern so unmerkbar?[89]

Doch vergißt dich der Tags-Strahl nicht!

Wandelt in Silber-Glanz

Deine Morgen-Thräne!

Dir, wie dem Sternen-Heer

Wachet der Vorsicht Aug,

Und, wie das Sternen-Heer,

Neunt des Allwaltenden

Namen dein stiller Pracht!

Freudig entsprangst du der Erd;

Rufest Enkel auf Enkel empor;

Deckest mit Nachkommen

Deiner Gebährerinn

Haupt, indes ungebohrner Eichen

Langsam mächtigen Drang

Unter deinen Fuß ihr

Busen bezähmet.

Gräschen! Schmuck des Hügels!

Kleid der Erde!

Augenweide!

Mehr als kühn strahlend Gold

Ist deine Farbe!

O du, des Menschen

Lust und Lager zur goldenen Zeit!

Welcher Hügel, welch

Wildes Gestade kennt[90]

Dein Geschlecht nicht!

Deiner Brüder, wie viel!

Wanken im sanften Arm

Jedes Zephirs von Abendstern,

Bis zu der Morgen Sonne,

Die den vergötterten

Länder Beherrscher nicht

Unter goldenen Gewölben kennt;

Aber dich jeden Tag,

Wenn im Schimmer zerreissend das

Wolkenbett ihren Rosenfuß

Blendend enthüllt,

Dich, ihr Gräschen, freudig küßt.

Unbezwingbar dem Sturm,

Der die Wälder zerriß,

Stehst du triumphirend,

Wie eine Lanze des Siegers,

Stehst du da, glänzend vom Ufer

In den irrenden Bach!

Doppelschneidig scheinst du zu drohen,

Doch beugt dein Wipfel sich

Sanft der Weste Hauch,

Sanft den Liebes Götterchen

Zarter Insekten Heere.

Nicht den luftigen Erlen gleich[91]

Scherzt mit der Wolkensonne

Deine Spitze, doch steht sie dem

Kleinern Luftvolke Erlen hoch

Und bleibt Welten unersteiglich.

Welten! auf meinem Gräschen!

Welten! dem Menschen Aug

Unscheinbar, seyd ihr glücklich?

Staub Bewohner!

Schleicht nicht der Neid, der

Wonne Verzehrer durch

Eure Städte

Aus Monaden gebauet?

Rasseln nicht Ketten von

Eines Tyrannen Thron

Ueber Eure Nacken hin?

Würgt ihr Euch nicht

Um Atomen Gewinn

Und setzt Ehren nur

Dem, der Atomen häuft?

O! dann glücklich! glücklich seyd ihr!

Staub-Bewohner! dem Menschen, der

Aus dem Daseyn euch

Unbemerkt wegtritt,

Dem sticht Gram ins Herz!

Aber Gräschen! du,[92]

Bald hast du weggescherzt

Deinen Frühling! ein Sichelschnitt

Fällt dich mit Tausenden

Deiner Brüder; Doch, traure nicht,

Stufenweise steigst du zu

Höheren Leben auf;

Eile zu wandlen dich

In das Leben des Thiers;

Einst ein heiliger Theil des

Edelsten Gottes Geschöpfs.

Wall ein Tropfen Blut

In dem Herzen des Menschenfreunds.


Ich will alle Landarbeiten kennen lernen. Ackerbau, Viehzucht, die ersten der nützlichen Wissenschaften; von diesen will ich anfangen, einen neuen Gang durch alle menschliche Kenntnisse zu machen. Sie denken aber schon, daß es nichts anders seyn wird, als Namen und kleine Beschreibungen des Gebiets der Erfindungen und des Wissens durchzugehen, wie man, ohne von seinem Geburtsort zu reisen, die geographische Beschreibung der Erde sich bekannt machen kann, und es angenehm ist, bey Durchlesung einer Zeitung, oder Anhörung einer Geschichte, gleich zu wissen, in[93] welcher Gegend der Welt der Auftritt sich ereignete.

Meine Hauseinrichtung war den Ersten Tag geschehen, weil alles höchst einfach angestellt ist. Da habe ich gleich die Bekanntschaft, mit unserer Bauren-Haushaltung gemacht. O, Liebe! was für ein theures, schätzbares Weib ist eine gute Bäurin! Wie viel mehr, als wir, muß sie die Kräfte ihres Lebens verwenden, um Kühe, Kälber, Milch, Butter und Käse zu der gehörigen Nahrung ihrer Leute und zugleich zum nutzbaren Verkauf einzutheilen. Den Hühnerhof und das Mastvieh durch Abfall der Früchte des Obsts- und des Gemüsgartens aufzuziehen, und zu vermehren; damit alles benüzt und von des Bauren angepflanzten Futter, wieder Etwas zum Verkauf gespart werden könne. Hanf- und Flachsbau, Zubereitung, nöthiges Leinen davon in das Haus und dann das möglich Uebrige auch zu Gelde gemacht, früh und spate Aussicht über das Gesinde, und dann Kindes zu besorgen. Die Verantwortung des ganzen innern Hauswesens; das Beyspiel der Arbeit in allen Zeiten; in der Heu- und Korn-Erndte, die so schwer sind. Ich seh mit wahrer Achtung[94] die jungen Weiber an, welche zugleich mit mir zur Ehe eingeseegnet wurden. Mich dünkt, sie haben mehr nützliche Thaten vor sich, als ich sammlete. Mein Oheim machte mich mit so viel Vergnügen mit den Ackerwerkzeugen bekannt, die ich um so mehr betrachtete, als mein Cleberg die Säemaschine einführen will, mit welcher ein Acker nur Ein Fünftel Aussaat braucht, und kein Körnchen verlohren geht.

Unser Hofbaner soll der zweyte Klyjag werden, und es ist schon alle Anstalt zu des Schwitzers Dünger gemacht. So gar aus meiner Koch- und Waschküche darf kein Tropfen verlohren gehen. Der Eifer, den mein sonst so galanter Cleberg für alle diese Beschäftigungen zeigt, macht mir ihn sehr werth. Er legt einen Ton von Verehrung der Erde und ihrer Wohlthaten hinein, der an dem schönen jungen Weltmann ganz reizend ist. Die Ursache, warum ich nicht in unsern Garten durfte, eh wir herzogen, war, das eine artige englische Brücke über den großen Graben geschlagen wurde, der durch Cleberg zur Austrocknung eines Sumpfs diesen Winter aufgeführt ward. O wie viel kann ein denkender und thätiger Mensch für sich und andere thun, besonders[95] auf dem Lande, wo die Tage weniger zerstreuet werden; Ich freue mich, über das Glück der Bauerkinder! Gleich jungen Vögeln, sobald sie aufrecht sich halten können, tragen sie etwas zu ihrer Nahrung bey und die nützliche Arbeit wird ihnen Vergnügen und Bedürfnis.


So müd' ich auch von einem etwas langen Spatziergange bin, so muß ich doch das beschreiben, was mich besonders rührte. Eine Viertel-Stunde von Seedorf geht das Land abwärts und macht ein anmuthiges Thal, das durch die Ringbach bewässert wird. In der Spitze dieses Thals liegt ein kleines Dorf, welches vor einigen Jahren beynah ganz abbrannte und freylich jetzo um so schöner aussieht. Ein Fußpfad leitet in der jähesten Ecke hinunter. Mein Oheim führte uns zum Müller des Orts in den Garten, der in ein Baum- und Gemüsstück abgetheilt ist. Nun liebe ich von meiner ersten Jugend an die Baumstücke am meisten, weil ich in einem Bauergarten das Erstemal eine freye Aussicht, freye Luft, die Schönheit der Wiesen und[96] blühenden Bäume genossen hatte. Und gewiß, daß erste starke Gefühl des Vergnügens bleibt und zieht uns immer zu diesen Gegenstand. Ach! möchte doch jede erste Freude eines gefühlvollen Herzens aus unschuldigen Gegenständen fliessen, weil diese Quelle niemals versiegt und immer reizend bleibt. Sie liessen mich und Hannchen herum trippeln, bis sie uns am Ende des Baumstücks stille stehen sahen, denn dort liegt ein zerbrochener Mühlstein an einem großen Birnbaum und ein Rebenstock ist an einem Pfosten hinauf über den Stein zum Schatten gebogen. Hannchen und ich blieben stehen, weil wir zwischen dem Traubengeländer und der Hecke hin die Aussicht in das ganze Thal hatten. Mein Oheim führte mich aber näher zum Stein, in welchem diese Aufschrift gegraben ist:

»1772 hab ich, Hanns Kofel, 80 Jahr alt, bey dem Brand meine zwey Enkel, Michel und Hanns Kofel, sammt 200 Thaler Herrengeld hierher aus der Münle getragen und bin nach dem guten Werk, aus Angst für meinen braven Sohn, der zu viel wagte, auf diesem Steine selig verschieden.«[97]

O Liebe! wie weinte ich bey diesem einfachen Denkmal der Vaterliebe und des treuen Unterthanen, der Enkel und Herrengeld mit gleicher Sorgfalt rettete! Man fand ihn zwischen den zwey Knaben hingesunken, die ihn immer wecken wollten. Der Geldsack war unter ihn gefallen, und die armen Buben von sechs und fünf Jahren sassen im Hemde auf den beyden Ecken seiner Jacke, die er für sie ausgebreitet hatte.

Mein Oheim drückte mir die Hand:

Nicht wahr, Salie! der Hausvater-Tod ist auch ein schöner Tod? Der gute Alte! In der Angst seines Herzens arbeiteten die Triebfedern, die in seinem ganzen redlichen Bürgerleben ihn geleitet hatten. Nun Liebe! adieu.[98]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 3, Altenburg 1797, S. 88-99.
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