Hundert und vierzehnter Brief

Rosalia an Mariane S**.

[286] Nun ist die zweyte Ittensche Tochter ganz bey mir. Sie ist, ohne Schönheit, höchstgefällig, von mittler Größe, schlank, weiß, etwas Pockennarbigt, Wangen und Lippen fein roth, der Mund groß, aber schöne Zähne, und die Bewegung im Reden und Lachen ganz artig, Anstand in allem was sie thut. Sie faßt alles leicht, bewegt sich und geht leicht; denkt und spricht gut, ist freundlich, edel und dienstfertig. Wie innig das holde Mädchen sich an mich heftet, kann ich ihnen nicht genug sagen! Sie lauscht, sieht und horcht nach mir, wenn ich mich wende, komme oder rede. Aber eben so aufmerksam ist Ott auf sie. Letzt sagte sie mir, in seiner Gegenwart: Sie wolle meine mir ganz ähnliche Tochter werden. Da faßte er ihre Hand und sprach ganz lebhaft: O wie glücklich machten sie uns alle, meine Liebe, wenn dieß geschähe. Was will er damit? Ich ward roth, und das liebe Mädchen sagte so[286] treuherzig: warum ist ihnen an einer Rosalie nicht genug daß sie dazu noch eine Julie haben wollen? Er antwortete: Seyn sie ruhig, Liebe, und suchen nur, so viel sie können, Wiederschein von diesem strahlenden Bilde zu werden; wobey er auf mich deutete. Ich nähte emsig fort, weil mich der Inhalt dieses Gesprächs verlegen machte. Ott hatte sonst nie keine Art von Schönthun bey mir gezeigt. Ich will es auch nicht, dann wahre Freundschaft besteht nicht mit diesem Getändel; und der schätzbare Mann sah so ernst und nachdenkend dabey aus, daß er mir fast mißfiel. Aber nun ist meine Pflicht des guten Beyspiels doppelt geschärft; gute Eltern vertrauen mir jungen Frau ihr Kind, und die truglose Seele des Mädchens hält mich für so verdienstvoll, daß sie für ihre eigene Liebenswürdigkeit nichts bessers zu thun siebt, als mir nachzuahmen und der Ott nimmt den feyerlichen Ton und Miene an, um ihr dieses Nachahmen recht wichtig zu machen. Dem Himmel sey Dank, daß der natürliche Gang meiner Seele nach einem guten Ziele gelenkt ist, sonst würde mir die Idee einer Nachfolgerinn sehr beschwerlich werden, weil ich sie mir immer zugleich als Aufseherin denken[287] mußte. Ich lehrte sie die französische Sprache. Des Morgens, wenn wir ganz allein sind, lieset sie und sagt mir das Wenige, so sie in der Gramaire gelernt, auswendig vor, und dann geht sie mit mir in Haus und Hof umher, und muß, wann wir bey unserer Zimmerarbeit zurück sind, mir, was sie sah und mich reden hörte, wiederholen und dann wird es übersetzt, und manche schöne Betrachtung gemacht. Die Gute! wie zärtlich ist sie! Aber, meine eigene Erfahrung und die noch ganz neue über eine Fremde gemachte Betrachtung überzeugt mich, daß die Fähigkeit zu lieben, uns nicht sehr glücklich macht, weil die geringste Störung im Genuß dieses Wohls den bittersten Kummer über uns ergießt. Denken sie, was ich bey Clebergs vermeinter Aenderung litte. Ich will mich selbst und das liebe Mädchen zu stählen suchen. Helfen sie mir zu einem sichern Mittel, das uns gegen zu starke Anfälle der Empfindsamkeit schützen kann. Ich mag das Rezept meines muthwilligen Clebergs nicht; daß. »wenn man sich in allen Augenblicken, höher als alle andre Menschen schätzte und liebte, vermeide man sicher alle starke Anhänglichkeit und sey daher auch vor dem Leiden der Trennung und des[288] Verliehrens bewahrt.« Meine gute große Tochter bat mich ihr zu versprechen, daß sie mich um alles fragen dürfe und ich ihr auch sagen wolle, was ich an ihrer Stelle denken oder thun würde. Dieses hat zu manchen recht köstlichen Unterredungen Anlaß gegeben. Das Mädchen ist ein herrliches Geschöpf. So wahr in Allem, und so rein in ihrer Seele. O Caroline! nie werde ich vergessen, daß du gestern an meiner Brust die schönsten Thränen der edlen Empfindung weintest. Rein sollen deine Gesinnungen bleiben, und dich einst glücklich machen. Sie will nicht lieben, will auch für den besten Mann nur etwas mehr, als bloße Freundschaft haben. Männerstolz will sie erniedrigen, und ihnen zeigen, daß man ohne Verbindung mit ihnen glücklich seyn kann. Ich sagte ihr da von dem Widerspruch, der in diesem Vorsatz und ihrer Phantasie läge, mich in Allem nachzuahmen; weil das Beste, so sie jetzo von mir sehen könne, eine gute liebende Frau sey. »Ja!« sagte sie, »das ist auch die einzige Unvollkommenheit in ihnen: dies will ich auch nicht lernen, aber sonst alles.«

Eine Begebenheit von diesem Morgen muß ich Ihnen noch erzählen. Wir gingen nach dem[289] Frühstück zu dem neuen Bauernhause, das bey dem ausgetrockneten Stück Moon erbauet wurde, und versuchten das erste Brodt, so aus dem, zum erstenmal da gewachsenen Korn gebacken worden. Mein Cleberg war glücklich, als er aus dem kleinen Hause ging, und die Anlage von Aeckern, Wiesen und Baumstücken sah, die durch ihn, aus einem öden Sumpf entstanden waren, und nun einen ehrlichen Landmann mehr nährten. Bey einem kleinen Umwege in das Dorf zurück, fanden wir an einer Hecke eine Bettlerfamilie sitzen, die etliche Brodkrumen in dem Queersack zusammen suchten, und zum Einweichen in einen Topf mit Milch warfen. In der Kötze, welche die Frau auf dem Rücken getragen, saß ein Kind und spielte mit einem zahm gemachten Raben. Der ältere Knabe von zehen Jahren hatte ein gelb und weiß scheckiges Hündgen mit einem Strick voller Knoten an seinem Gürtel gebunden. Die Frau war ordentlich und redte als gute Mutter mit ihren Kindern, auch recht vernünftig von dem Tode ihres Mannes und wo sie nun hinwollte, und bat um etwas altes Leinen. Cleberg wollte den Raben kaufen. Die Frau sah ihn bedenklich[290] an, und sagte: Ja, Herr, wenn ihn mein Kind gern hergiebt. Aber wenn es weint, ach, Herr! ich kann ihm keine Freude machen; da will ich ihm diese nicht nehmen. Aber geben sie; Sie wieß dem Kinde, das drey Jahr alt seyn mochte, Geld, und sagte: das ist dein, gieb den Herrn den Raben und wollte ihn nehmen. Das Kind hatte das Geld gefaßt; als aber die Mutter den Vogel nehmen wollte, ließ es das Geld, schrie und faßte den Vogel mit beyden Händen. Er fragte dann den ältern Knaben, der traurig auf seinen Bruder und den Raben blickte, ob er seinen Hund nicht auch verkaufen wolle? Er ging zu seiner Mutter-Mutter! sagt er: der Hund wacht so treu, wenn wir auf dem Felde oder in einer Scheune schlafen. Ex ißt kein Brod, als wenn mir ihm geben. O Mutter! behalt den Bello; er gautzt sich tod um mich, ich will weniger essen, laß mir doch den Hund. Aber Jörg! der Herr will dir ja einen großen Thaler geben. Denk, wie arm wir sind, du kriegst schon wieder einen andern Bello. Der arme Junge sah auf den Thaler in Clebergs Hand, weinte und murmelte. O kein Bellon krieg ich nimmer. Er fieng an mit verdrüßlichem Gesicht den Knoten des[291] armen lumpigen Stricks loszumachen, mit dem der Hund an feinen Lenden fest gebunden war, und ließ den Strick fallen. Da, sagte er, und lief hinter die Ecke des Baurengartens. Der Hund lief ihm nach. Er stieß ihn mit einem Fuß von sich; aber als der Hund schrie, so zog er ihn an, und liebkoßte ihn. Meine liebe Itten und ich hatten Thränen in den Augen und blickten auf Cleberg und Ott. Ersterer that nicht, als ob er es achtete. Aber Ott sah auf meine junge Freundin und sie flüsterte ihm zu: Ach mein Gott! wenn ich reich wäre, so gäbe ich dem armen Jungen den Thaler zu seinem Hunde, weil er als Bettler für seinen Dienstboten besser sorgt und ihn mehr liebt, als vornehme, glückliche Menschen die lieben, die für sie wachen und arbeiten. Ich umarmte sie, und Ott gab ihr einen Thaler. Da Gute! befriedigen sie ihr edles Herz, Cleberg schenkt ihnen den Hund. Nicht wahr? Mein Mann lächelte Ja! Schnell lief sie zum Buben, und rief ihm schon von weitem zu: Bube, guter Bube! bind den Hund wieder an dich, er ist dein, und den Thaler da gieb deiner Mutter. Nun kam der Junge, küßte ihr die Hände, dankte uns mit noch rothen Augen, und ließ[292] seinen Hund aufwarten. Er schüttelte an seinen Schubsäcken, wandte sie um, und ließ den Hund die Brosamen darinn weglecken, nach welchen das arme Thier dazu noch recht hoch hüpfen mußte. Die Frau war sehr froh über das Geld und die Kinder über ihre Freunde, den Hund und den Vogel. Mein Oheim fragte nach dem Namen des Orts, wo sie hinginge und sagte ihr, wenn er Gutes von ihr hörte, so würde er ihr auch noch Gutes thun. Ich schickte ihr noch einen Bündel altes Leinen, worüber sie große Freude bezeigte. Die junge Itten sagte auf dem Heimwege zu meinem Manne. O wie viel Angst haben sie mir gemacht, als sie den armen Kindern die Thiere abkaufen wollten. Ich war böse über alle Reiche, daß sie glauben, Geld sey alles werth, Bettler müssen doch auch eine Freude haben, dachte ich, und fürchtete auch, die Mutter würde die Kinder zum Verkauf zwingen; denn die kennt freylich den Nutzen des Geldes, wie junge Leute die Süßigkeit des Vergnügens.

Ich mußte sie hier freundlich anblicken und sie sagte mir: aber warum sagten sie nichts? Sie sind sonst so gut gegen die Armen. Ich mußte erst sehen, ob es meinem Cleberg mit[293] dem Kauf der Thiere Ernst sey. Sie antwortete mit sanftem Ton: Der Kummer von den armen Kindern war doch sehr ernstlich. Ott sagte da mit Rührung gegen mich: Herrliches Mädchen, ach wenn! Seine Blicke auf mich und auf meine junge Freundin waren so bedeutend, daß ich nicht wußte, was ich daraus machen sollte, denn ich wiederstrebte den Vermuthungen, die sich schon ein paarmal in mir erhoben hatten. Die Anmerkung von Carolinen, über mein zögerndes Mitleiden, hatte mich schon etwas düster gestimmt und vielleicht war dies die geheime Feder, welche den Gang meiner widrigen Vermuthungen beschleunigte. Denn, da ich auf einer Seite von der jungen Itten getadelt wurde, so war ich gewiß mehr geneigt, auch andre zu tadeln. Mein Cleberg bemerkte, daß Etwas besonders in mir lag, und ich gestund ihm meine Verlegenheit über Ott, in Ansehung meiner jungen Freundin und mir. Er lachte mit einer Art satyrischen Muthwillen. Salie! sagte er, gewiß liegt die Idee einer Lisettengeschichte in dir? Ich zuckte ein wenig zurück vor dem Andenken und vor dem Scharfsinn des Mannes. Er kam gegen mich: Sey ruhig, meine Liebe! und laß das[294] Mädchen alles werden, was sie nach dir werden kann. Ott will sie für Latten so haben, und es wird ihm wohl gelingen. Nun reute mich der Schritt und alles, was ich geargwöhnt hatte, weil das Bilden nach mir, noch so viel Anhänglichkeit in dem jungen Manne zeigte, und ich wohl denken konnte, von meinem Cleberg doppelt beobachtet zu werden. Aber der Entschluß, den ganz geraden Weg zu gehen, half mir, wie er immer helfen muß. Ich änderte nichts, in meinem ganzen Thun und behielt dadurch mein natürlich es Wesen und hatte nichts zu besorgen; obschon, ich bekenne es Ihnen, ganz ungesucht alles in mein Gedächtniß zurückkam, was Latten an mir gelobt hatte, und gewiß auch alles dieß in mein Bezeigen eingeschaltet wurde. Das Fritzgen besorgte ich besonders vor Carolinen und gab ihr immer eine Beschäftigung mit ihm, sie zeigt dem Kinde auch viel Zärtlichkeit.

Nun schicken wir uns an zur Rückreise in die Stadt und mein Oheim sagt, unser Besuch bey dem sogenannten Moorbauren sey ein Abschiedsbesuch gewesen. Er hat mich diesen Abend sehr bewegt, da er mit mir auf dem kleinen Altane stund, der über unserer Hausthüre[295] ist. Es waren viel leichte Wolken am Himmel, die in einer Menge schöner Farben abwechselten. Er sah sie sanft ernsthaft an. Da sie etwas falb wurden, nahm er meine Hand: Liebe Salie! du, dein Mann und eure Freunde, ihr habt den Abend meines Lebens eben so erheitert, wie diese Wolken die letzten Stunden dieses Tages, vielleicht seh ich keine mehr auf diesem Platze neben dir. Ich werde glücklich seyn, wenn meine letzten Augenblicke in eine sanfte Düsterheit verhüllt, unter deiner zärtlichen Sorgfalt verschwinden. Bleib, meine Beste! auf dem Wege deines Herzens. Es wachsen dir gewiß bey jedem Schritt innere Ruhe, Liebe und Achtung aller Zeugen deines Lebens auf, und mein Segen, mein Kind, (sagte er mit Thränen, mich an sich drückend, da ich schluchzste und seinen Arm gefaßt hatte) mein Segen wird um dich seyn, wenn ich über die Wolken (auf die er deutete) erhoben seyn werde. O Mariane! dieser feyerliche Abschied von der Natur und mir, von diesem väterlichen Freunde, zerriß mein Herz mit traurigen Ahndungen. Gott erhalte ihn mir noch lang, lang.[296]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 3, Altenburg 1797, S. 286-297.
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