Acht und neunzigster Brief

Van Gudens Fortsetzung.

[56] Und auch, nachdem ich so viel geschrieben, sind Sie doch ungedultig? weil ich das kleine Kinder Fest nicht gleich dazu gefügt hatte. Soll ich wohl glauben, daß das Glück, so Sie mit Ihrem Cleberg geniessen, ein verwöhntes eigensinniges Kind aus Ihnen machte, das sein Stirnchen runzelt, das Mäulchen eckig zieht, und ein kleines abgebrochenes Murren äussert, wenn es nicht den ganzen Vorrath von dem kleinen Spielzeug bekommt, den es in der zweyten Schieblade des Schranks vermuthet? Verzeihen Sie mir, meine Liebe, und fragen Sie sich, ob Sie nicht unrecht haben, so eifrig in mich zu dringen? Glauben Sie aber nicht, daß ich aus Unmuth vier Tage später antwortete. Ich hatte zwey davon mit dem Entwurf eines Erziehungsplans für die Pindorfischen Kinder zugebracht; ich fühle, daß ich eine schwere Arbeit unternommen; und auch, daß mein Plan manchen lächerlich[56] und thöricht scheinen muß, so lang als mir die Neigungen und Fähigkeiten der Kinder nicht völlig bekannt sind; dazu hat mir der Zufall durch Wollings Gedanken, den Kindern ein Willkommfest zu geben, mehr Dienste geleistet, und einen sicherern Weg gebahnt, als vielleicht Jahre von Nachdenken nicht gethan hätten. Genuß von Freyheit und Vergnügen, bewegt und öfnet die Seele der Kinder so gut, wie die unsere. Diese beyden allein, entwicklen den Keim der Fähigkeiten und Empfindungen. Das Wohl wieder zu geniessen, dem Uebel zu entgehen, diese Triebe bestimmen die erste Richtung des Auges, nach Hülfsmitteln zu sehen, und die Anspannung der Kräfte, sie zu erreichen. Eigenliebe und Nächstenliebe zeigen sich da in Mittheilung des Guten, oder im Alleinhabenwollen; wohl gar auch im gewaltigen, offenen, oder listig heimlichen Wegnehmen bey der andern. Heftigkeit der Begierden zeigt sich im Genuß des Vergnügens, im Darumbitten, und im Danken. Ich hatte im Pindorfischen Hause bemerkt, daß der Vater sehr wenig von seinen Kindern mußte, und ihr Aufseher den Willen und Verstand nicht hatte, sie richtig zu kennen und zu leiten.[57] Ueble Begegnung über unschuldige Fehler der Kindheit; Zwang, der ihnen angethan worden, sich das Bezeugen und Wissen erwachsener Leute eigen zu machen, hatte natürlicher weise ihr Herz verschlossen, Henrietten furchtsam, Gustaven mißtrauisch und beynah storrisch gemacht. Ich mußte sie also Wollinghof, seine Freuden und Bewohner in aller Freyheit kennen lernen laffen, und nur still beobachten, an welches Kind von den unsern, an welche erwachsene Person, sie sich mit dem ersten Vertrauen wenden, und welchen Zeitvertreib oder welche Belustigung, sie zuerst wiederhohlt wünschen würden; wonach sie zuerst fragen möchten, u.s.w. Zu diesem Allen zündete das kleine Fest das Licht an. Sie wissen wir kamen zu spät nach hause, um noch den Abend etwas vorzunehmen; die Kinder waren auch auf einer Seite durch den Prunk des Tages, durch Bärnskneipp und dem Abschied vom Vater zu sehr erschüttert, und dann hatte Frau von Pindorf den Eigensinn gehabt, daß beyde junge Pindorfs in ihrem Staatsputz nach Wollinghof geführt werden sollten, damit die Leute dort sehen möchten, daß sie nicht aus Barmherzigkeit aufgenommen[58] würden. Ohne Zweifel dachte sie Frau von Lißheim, unsern Kindern und Leuten damit eine Ehrfurcht einzuflössen. Aber Wolling und ich wollten die unsrigen weder dem Schmerz des Unterschieds, noch der Gefahr des Bewunderns und Nachwünschens aussetzen. Henriette wurde also, wie Gustav in einen großen Mantel gewickelt und durch den Obstgarten gleich in meine Zimmer gebracht, wo Meta das Fräulein, und Wolling den Junker auskleideten, doch ohne das Mindeste von Lobsprüchen wegen der schönen Kleider zu äussern. Als es bey dem armen Jettchen aufs Aufschnüren kam, fieng sie schon an zu seufzen und zu zittern, und faltete ihre Hände mit dem Bitten. O langsam! langsam! Meta hielt gleich inne; und ich knieete vor das gute Kind hin: was fehlt Dir, meine Liebe? warum zitterst Du? Ach die Schnürbrust und mein Hemd, stecken in meiner Haut: Hier! sie wies auf die Hüften, und hielt den Athem an sich, indem Angst in ihrem Gesicht und Thränen in ihren Augen zu sehen waren. Ach, Rosalia! was verderbt Unsinn und Vorurtheil an Leib und Seele! Sie hatten, um dem Mädchen einen dünnen Leib zu ziehen, das[59] steife Schnürleib über ihren Hüften so zusammen gezogen, daß auf beyden Theilen die Haut theils offen, theils mit einer Rinde bewachsen war, und durchgehends ein brauner Streif um den ganzen Leib ging. Sie bat mich, daß sie das Hemde selbst losmachen dürfe. Ich ließ es gern geschehen; sie schrie und fiel mir weinend um den Hals. Tröste dich, mein Engel, du sollst die häßliche Schnürbrust niemals mehr anziehen! Wie sie mich da küßte und liebkoßte, das gute Kind; und dann in ihrem Schlafzeug, das ganz artig war, mit Gustav in seinem Ueberrock recht herzlich zu Nacht mit mir aßen, und auch so wohl schliefen. Gustav hat ein Zimmer dessen Fenster auf den Weg gehen. Der Gärtner blieb neben ihm, aber den zweiten Tag nahm ich den vortreflichen jungen Mooß zu ihm, der als Freund mit ihm leben, als Freund, alles was er weiß, mit ihm theilen soll: sobald Gustav zu Etwas. womit sich Wilhelm Mooß beschäftigt, Lust bezeugt. Als die Kinder schliefen, durchsuchte ich mit meiner werthen Meta ihren Koffer und Kleidungsstücke, um Etwas zu finden, daß Henriette des andern Tages anziehen könnte, ohne das Schnürleib zu brauchen,[60] und doch geputzt zu seyn, wie es dem Stande ihres Vaters zukommt; denn sie sollen die Erziehung haben die ihnen gebührt. Aber auch sehr genau Ordnung, Werth und Pflichten eines jeden Standes, nebst deren Ansprüchen kennen lernen. Die Vortheile im Glück, Ehre, und Wissen ihrer Classe sollen sie nicht mit Stolz, sondern mit edelmüthigen Gesinnungen gegen ihre Nebenmenschen, und dankbarer Verehrung gegen die Vorsicht erfüllen. Meta und ich arbeiteten noch lange in der Nacht, dis ein weisses musselines Leibkleidgen fertig war, daß Henriette den Morgen über ein anderes dünnes Leibkleidgen anzog, aus dem wir die Aermel schnitten und ihr nur eine breite blauseidene Binde um den Leib gaben, die mit einer großen Schleife auf der Seite festgemacht wurde, und nicht die geringste Bewegung ihres Körpers verhinderte. Die Aermel waren auch wie der kleine Strohhut mit blauen Bändern gebunden. Die Blumen sucht sie aber seit dem Tage des Willkommfests, wo sie Kranz und Strauß geschenkt bekam, meistens selbst und lernt sie zusammen binden. Sie besorgt auch schon Blumentöpfe; so wie Gustav, Oberaufseher, über das Stück Wald seyn[61] will, wo der Anflug junger Eichen und Buchen ist. – An diesem Theil unsers Berges hatte Wolling das Kinderfest veranstaltet, so Abends gegeben wer den sollte, nun aber zum Frühstück wurde. Ich hatte wenig geschlafen, stund früh auf, zog mich an, und setzte mich in mein Kabinet, um Bemerkungen über mich aufzuschreiben; gab aber dabey auf Henriettens Erwachen Achtung. Sie wissen, die obere Füllung der Thüre meines Kabinets ist von Flor, wodurch ich mein großes Zimmer meistens übersehe. Das Kleidgen, die Binde und der Hut lagen auf einen kleinen Tischgen neben Henriettens Bette hübsch geordnet. Auf dem kleinen Stuhl ihre übrigen Kleidungsstücke nett gelegt. Nachdem sie erwacht war, und einige Augenblicke sich hin und her bewegt hatte, richtete sie sich auf und guckte nach meinem Bette, streckte den Kopf vorwärts, um zu horchen; kniete dann und betrachtete die Kleidung auf dem Tisch; berührte die Binde mit Staunen, lächelte auf den Hut, horchte wieder, nahm ihn dann und versuchte, ob er ihr paßte; legte ihn wieder auf seinen Platz; wollte dann ihre Strümpfe anziehen, war aber ziemlich ungeschickt dabey, wie auch in Zubinden ihres[62] Rocks. Dies merkte ich mir, zu einem Anlaß von Beweise des Werths der Menschen in der dienenden Classe, und ging zu ihr, umarmte sie, fragte: ob sie wohl sey? wohl geschlafen habe? und nahm sie auf meinem Arm an das Fenster, von dem man einen Theil des Obstgartens, Feldes und Teiches sieht. Himmel und Erde waren schön.

Sieh, mein Kind! du und die Bäume und das Feld sind so wohl und schön, durch den nächtlichen Schutz Gottes. Ich danke ihm dafür, und bitte ihn, dich deinen Papa, und alle Menschen auf der ganzen Erde zu seegnen, Drückte sie an mich und küßte sie. – Sie können nicht glauben, liebe Freundin, wie süß mir die Rührung war, die ich in Henrietten hervorgebracht hatte; sie schloß ihre Arme um mich und ich hielt sie noch einige Augenblicke still in den meinigen, und sagte dann, daß sie nun zum Ankleiden und zum Frühstück gehen müsse. Ich kann mich selbst nicht anziehen, sagte sie ganz verschämt und kleinmüthig.

Ich weiß es Liebe! denn ich brauchte auch einmal gute erwachsene Menschen, die für mich sorgten.[63]

Nun ging sie ganz Mädchenartig zu dem Tischgen mit ihren Kleidern. Liebe Madame! ist das mein? Ich sprach ihr von Reinlichkeit durch Waschen und sonstige Sorgfalt, und kleidete sie selbst an. Wolling kam mit Gustaven, der nett in einem grauen Frak mit grünen Kragen und Aufschlägen, sich mir ehrerbietig und zufrieden näherte. Guten Morgen, mein Sohn, hat Er in Wollinghof gut geschlafen? Mit inniger Zufriedenheit versicherte er mich, ja! Nun wollen wir zum Frühstück in den Wald sagte ich. Henriette nahm die Hand ihres Bruders, als er sie, wegen der Leidbinde betrachtete. Sie bog sich hin und her. Da fühle, wie weich das ist! und sieh wie ich mich biegen kann! Denke! gar niemals mehr soll ich die Schnürbrust bekommen. Der holde Knabe freute sich brüderlich, über die Zufriedenheit seiner Schwester und sah mich dabey, mit dem Ausdruck des Vertrauens an, daß auch er bey mir von allem schmerzlichen Zwang befreyt seyn würde. Nun gingen wir durch die Seiten-Thüre längst dem Teiche bey den alten Birken und der Nußhecke zum jungen Eichwald, in welchem wir einen Graßplatz leer gelassen, und von der großen Quelle,[64] eine Rinne abgeleitet haben, die durch gedeckte Röhren läuft, und zwischen zwey Moosbänken über kleine Kießelsteine in ein Becken sprudelt; dort hatte der gute Wolling die Kinderscene veranstaltet. Auf der ersten Hälfte des Wegs blieben wir bey dem Tone einer Schalmey stehen, die man sehr artig spielte. Aber Wolling winkte uns nach dem Eingange des Quellplatzes und verschwand sogleich. Ich staunte über den Anblick der Verzierungen, die er angebracht hatte. Die Quelle und zwey Moosbänke sind gerade dem Eingange gegen über. Da war hinter der Quelle ein von Tannenreis gemachtes Stück Wand, das sich an zwey schöne Eichen lehnte; etwas vorwärts waren zu beyden Seiten über den Moosbänken, auch solche Wandstücke, die bis an die Aeste der Bäume reichten, welche darüber herunter hingen. Auf der mittlern Wand war in weissen Rosen ein V. G. auf denen an der Seite in Rothen H. P. und G. P. zwischen gelben Wiesenblumen Cränzen aufgehänkt. Alle Bäume an beyden Seiten waren mit grünen Wandstücken bestellt, an denen große Blumensträuße herunter hingen. An der Ecke der einen Moosbank stunden die zwey Mädchen unsers[65] Bauren, sauber gekleidet, mit weissen Schürzen und neuen Strohhüten. Die eine hatte die Hand an einem großen Milchtopf, der auf der Bank stund, und kleine Milchschüsselgen waren in einer Reihe dabey gestellt. Das andre Mädchen hielt die Henke eines schönen Armkorbes, über den die Ecken eines weissen Tuchs etwas heraus hiengen; über dies ragte eine grosse irdene Schüssel mit Blättern bedeckt, auf welchen frische Butterstücke, nach bäurischer Art geziert und geformt lagen. Neben dem Korbe auf einem hölzernen Teller kleine Käse, und Weidenkörbchen mit Kirschen. An der andern Bank stunden zwey hübsche Bauerknaben, auch reinlich angezogen; ihre runden Hüte auf den Köpfen. Der eine, bey einem leeren Bienenkorbe, auf welchem noch Stücke von Wachswaben lagen, in denen noch Honig war. Ein weißes irdenes Geschirr voll Honig mit einem Löfel darinn, stund daneben; dann Weidenteller voll Pflaumen und an der einen Ecke der Bank ein andrer Knabe mit einem Korbe voll kleiner weißer Brödtchen. Ein großer Laib Hausbrod lag neben dem Korbe. Den Augenblick, da ich mit den Pindorfischen Kindern, ein paar Schritte vorwärts gegangen[66] war, hüpften, nach der Musik einer Flöte und Schalmey, Lottchen und Nanny Wolling mit der kleinen Auguste und Louise Moos, an einer Blumenkette sich haltend, uns entgegen; alle in neu Leinen gekleidet, Strohhüte und Sträusse an den Köpfen, drehten sich recht artig gegen Henrietten und sangen; da ihr Lottchen ein Blumengewinde umhing:


Sey willkommen, Henriette!

Schön, wie diese Blumenkette,

Sollen deine Tage seyn;


Kaum hatten die Mädchen das ausgesungen, als die Knaben auf der andern Seite hervor tanzten. Carl und Gottlieb Wolling mit Bernhard und Philipp Moos in saubern leichten Zeug gekleidet und Kränze um ihre Strohhüte gewunden, hatten auch eine Blumenkette, an der sie sich hielten, gegen Gustav sich bewegten, und Carl, der einen Kranz in der Hand trug, setzte ihn unterm Singen auf Gustavs Hut:


Willkomm Gustav, edler Knabe!

Nimm von uns die erste Gabe,

Einen Kranz aus diesem Hayn.


Während dem Singen der Knaben tanzten die Mädchen auf der andern Seite im Reyhen[67] herum; kamen dann näher, und Carl und Lottchen sangen zusammen:

Kommt und nehmet alle Beyde

An der Lust, und an der Freude

Von uns guten Kindern Theil.


Nun tanzten die Knaben allein, und Lottchen sang, auf die Quelle weisend:

Rein und helle,

Wie die Quelle,

Macht die Unschuld unser Herz!


Alsdann kamen die Knaben näher, und die Mädchen tanzten fort:

Carl sang:

Wald und Sonne

Giessen Wonne

Ueber frommen Jugend-Scherz


Gustchen Mooß, mit ihrem Silberstimmgen:

Morgenröthe

Und die Flöthe

Guter Hirten weckt uns auf;


Bernhard Mooß:

Und dann lernen

Wir von Fernen

Guter Menschen Lebenslauf.[68]


Nanny Wolling:

Engel sehen

Wo wir gehen:

Sind zu Wächtern uns bestellt.


Gottlieb Wolling:

Thau und Regen

Bringen Seegen

Auf den Garten und das Feld.


Louise Mooß:

Blumen blühen;

Bienen ziehen

Wachs und Honig uns daraus.


Philipp Mooß:

Vögel singen,

Schaafe springen,

Ganz vertraut um Hof und Haus.


Lottchen Wolling:

Abends blinken

Stern', und winken

Uns, und alles in die Ruh!


Carl Wolling:

Und wir schliessen

Mit dem süssen

Gott sey Dank! die Augen zu.[69]


Nun hüpften die Knaben und Mädchen gegen die jungen Pindorfs, die ganz entzückt neben mir stunden. Carl Wolling reichte Gustaven, und Lottchen Henrietten das Ende des Blumengewindes, an dem sie getanzt hatten und beide sangen dabey:


Komm, Gustav! komm, Henriette,

Fasset diese Blumenkette,

Machet sie zum Freundschaftsband.


Sie blickten mich an und ich winkte ihnen, daß sie es thun, und mittanzen sollten. – Mit was für Freude sah ich die liebenswürdige Reihe dieser guten unverdorbenen Herzen, voll inniger Fröhlichkeit, gesund und harmlos mit so viel natürlicher Anmuth herumspringen! – Schon im Singen hatten Sie mein Herz erweicht. Ich wollte die Baurenkinder sich mit anschliessen lassen, und bewegte mich also von meinen Platze. Den Augenblick kamen Wolling, seine Frau, Meta und Willhelm Moos hinter einer Fichtenwand hervor, schlossen sich an die Reihen, und tanzten alle um mich her. Meta sang mit ihrer so schönen Stimme:


Wollinghof hat tausend Freuden,[70]


Frau Wolling:

Liebe, Güte –


Wolling:

Trost im Leiden –


Alle drey:

Fließen auf van Gudens Hand.


Sie mögen denken, wie äusserst gerührt ich da stand. Ein süsser Schmerz durchdrang meine Seele. Ich mußte weinen. Küßte meine beyde Hände, und reichte mit meinen Armen nach Frau Wolling, die mit den andern noch im Reihen herumtanzte. Nun kam sie, faßte meine Hand, küßte sie; alle andre tanzten fort, schlossen sich aber nach und nach um mich, und die, welche einen Arm, ein Stück Kleid von mir erreichen konnten, küßten und drückten sie. Die Schalmey und wir alle, schwiegen eine Zeitlang; denn, wer kann da reden! Ich umarmte endlich Frau Wolling, und sagte ihr:

»O was machen Sie!«

Er blickte mich an und dann gen Himmel, konnte nicht reden, alle Augen waren auf uns geheftet. – Dank! sagte ich endlich, tausend Dank! kommt Ihr Lieben alle, wir wollen[71] zum Frühstück tanzen. Die guten Baurenkinder kamen auch in die Reihen, und dann gingen die Kinder zum Essen, setzten sich hier und da; gingen mit einander; beguckten die neuen Ankömmlinge. Der Pfarrer, der Beamte, und unsere Dienstleute, die hinter den Fichtenwänden gestanden und zugesehen hatten, kamen nun auch; und wir aßen alle zusammen eine Art Mittagsbrod und waren sehr glücklich und vergnügt! Ich bemerkte an Gustav ein wahres offenes Herz; an Henrietten viel Feinheit, und sprach ihnen zu, mit den guten Kindern freundlich zu seyn, die sich so viele Mühe um sie gegeben hätten. Da thaten sie nun auch recht artig. Gustav und Henriette wußten einen Tanz für vier Kinder und wollten ihn die andern lehren, wenn ich es zufrieden wäre. Ich willigte gern darein, und sprach mit den großen Leuten fort, damit die Pinvorfischen Kinder nicht denken möchten, daß ich sie beobachtete. Gustav lehrte seine drey Tänzer recht gedultig; Henriette aber, hatte immer vielmehr zu tadeln und zu bessern, wurde aber eher ungedultig als er und wies die kleineren Kinder lebhaft auf die Seite. Zu diesen ging ich dann, und lehrte sie nachtanzen,[72] indem ich mit ihnen nachzuahmen suchte. Henriette blieb, als sie es sah, mitten im Tanzen stehen und blickte aufmerksam mich an. Ich lächelte ihr aber zu und rief: sie sollte fortfahren, denn sonst könnten wir nichts lernen. Da sprang sie freudig zu mir, küßte mich und sagte: O, ich dachte, Sie wären böse! Warum, meine Liebe? über kleine Kinder werden gute Menschen niemals böse. Geh, meine Tochter, und tanze ruhig fort. – Sie bemerkte dies ganz, und war denn mit den kleinen recht gedultig und sanft. Dies war mir ein Merkzeichen ihres Charakters. Carl hat ein Schaaf erzogen, das ihm überall nachläuft. Es gefiel Gustaven. Carl wollte es ihm schenken, aber Gustav nahm's nicht, sondern bedingte sich nur, daß es auch ihm manchmal folgen und aus seinen Händen essen sollte. Alles das that meiner Seele wohl. – Und nun ist meine Liebe für Pindorf zur wahren Freundschaft geworden. Das Glück seiner Kinder ist alles, was ich wünsche, und ihre Erziehung mir ein süsses Geschäft![73]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 3, Altenburg 1797, S. 56-74.
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