Zehnter Brief

[46] Wie vortreflich ist Ihr vor mir liegendes Schreiben! wie gütig Ihre Freundschaft für mich! Ich kann auch die ganze weibliche Welt aufbieten, um mir noch eine Mariane zu weisen! Mit was für einer schmeichelhaften Wendung sagen Sie mir, daß Sie sehr zufrieden sind, in acht Tagen keinen Brief von mir gesehen zu haben. So macht es die edle Liebe, die Freude, das Glück des Freundes wird dem eigenen vorgezogen. Es ist Ihnen lieb, sagen Sie, daß mein Kopf und Herz Beschäftigungen hatte, die mich hinderten, Ihre Abwesenheit zu fühlen, und meine Arme auszustrecken, um von allen Wesen allein Sie zu umschlingen; und gerne wollen Sie meine feurige Zärtlichkeit für Sie in gemäßigte Wärme verwandelt sehen, wenn ich zugleich gerechter und liebreicher gegen andre werde. O, Mariane! gerecht war ich just in dem Augenblick, da Sie den vorzüglichsten Theil meines Herzens und meiner Hochachtung erhielten! Fodern Sie mich nicht auf, gerecht[46] zu seyn, denn da muß ich jedem geben, was ihm gebührt, und dann kommt noch viele Nahrung zu dem Feuer meiner Zärtlichkeit für Sie. – Aber liebreich, meine Mariane, liebreich und billig will ich seyn! – Ich weiß es, nicht jeder Geist kann, wie der Ihrige, angebauet, nicht jede weibliche Seele so groß, so edel, wie die Ihrige, seyn; aber, alle könnten doch – ich sehe Ihre Hand, die mir den Mund zuhalten will. – Ich schweige selbst, und gewiß, ich wollte nichts Hartes sagen. Sie wollen, daß ich durch Thaten rede! Ja, meine Freundinn, ich will; und da meine armen Briefe das einzige Kennzeichen sind, nach welchen Sie meine Handlungen beurtheilen können: so sollen diese beweisen, ob ich so gut werde, als Sie es wünschen; und gleich will ich mir eine artige, ganz romantische Begebenheit unsers Concerts zu Nutz machen, um Sie zu überzeugen, daß ich nicht so unverträglich bin, als der manchmal heftige oder nur eifrige Ton meiner Gedanken es vermuthen läßt.

Ich muß in meinem Gespräch mit Mademoiselle G**, nachdem sie gesungen hatte, billig[47] genug gewesen sein, und sie nicht verhindert haben, jede gute Eigenschaft ihres Verstandes und Herzens zu zeigen, weil Sie sich durch diese Unterredung eine vortheilhafte Heyrath zuzog. Sie hatte Italienisch gesungen. – Ich fragte, ob sie die Sprache verstünde? munter sagte sie mir: Signora fi. Ich redte gleich im Italienischen fort, und sie sagte sehr schön, sehr geläufig, alles Gute, was sie über meine Frage dachte. Wir vermutheten nicht, daß gleich hinter uns ein Fremder saß, der aus Venedig kam, und alles, was wir redeten, um so eher hörte, als es meistens von uns Deutschen geschieht, eine fremde Sprache stärker und lauter auszusprechen, als gewöhnlich die eigene. Ich sah wohl, daß, wie wir aufstunden, um die zweite Arie hören zu lassen, er ganz dienstfertig die zwey Stühle rückte, und seine Blicke mit Sehnsucht auf die schöne Blondine G**. heftete. – Aber nach dieser Arie ging Mademoiselle G** mit mir und ihrer Schwester auf und ab, und der Fremde verlohr sich. – Nach Endigung des Concerts, wie wir aus dem Gasthofe, wo es gehalten war, weggingen, stund er unter der Thüre, war sehr höflich, und sah uns nach. Das[48] Haus des Herrn F**, wo wir alle wohnen, ist nur sechszig Schritte davon; und den andern Tag, als ich Ihnen meinen ersten Concertbrief geschrieben, ließ sich Herr S**, Kaufmann aus Venedig, bey mir melden. – Ich stutzte und sagte, es müsse eine Irrung seyn; ich hätte die Ehre nicht, Jemand dasigen Orts zu kennen. Er bat aber so sehr, mich einen Augenblick zu sprechen, daß ich ihn auf mein Zimmer kommen ließ. Ich erkannte sein Gesicht, und war gleich wegen unsers Welschen Geschwätz besorgt.

Er entschuldigte seine Zudringlichkeit sehr artig und sagte: Er nennte sich S**, wäre ein Sohn des reichen Banquiers dieses Namens, und in der Absicht hierher gekommen, eine artige deutsche Frau zu holen. Er wäre eine Stunde vor dem Concert angelangt, und hätte es gleich mit Begierde angehört, wo er so glücklich gewesen wäre, nicht nur die schönste Stimme zu hören, sondern auch durch den Zufall einer Unterredung nahe gewesen zu seyn, in welcher das junge artige Frauenzimmer, so bey mir gesessen, den allervortreflichsten Charakter[49] gezeigt, und sein Herz auf alle Weise eingenommen hätte. Er wünschte und dächte, daß eine solche geistvolle Freundinn, wie ich, wissen könne, ob das Herz der liebenswürdigen Schönen noch frey wäre, und er also sich um ihre Gunst bewerben könnte. Er würde mir ewig für diese Güte verbunden seyn. – Nun kam ich völlig zu mir; denn anfangs dachte ich, er wollte mir Anträge machen! – Ich versprach, nach der Mademoiselle G** Freyheit zu fragen. – In dem Augenblick kam mein Oheim, sah mich bey einem Fremden allein, der mir die Hand küßte. Sein ernstes Gesicht machte, daß ich ihm gleich die Historie erzählte; da nahm er alles auf sich. Der Fremde speiste mit uns, redte Mademoiselle G** Italienisch an, blieb den ganzen Nachmittag bey uns, und hatte das Glück, sich ihr gefällig zu machen. Abends sprach er mit Herrn und Madame G**. Nach dem Souper war das Versprechen, und in vierzehn Tagen führte er sie weg, nachdem er einer noch jüngern Schwester das ganze Vermögen seiner Braut geschenkt, und dieser nur die nöthigen Reisekleider zu behalten[50] erlaubte. – Ist dies nicht ein artiger Roman? und sollten nicht junge Frauenzimmer recht sorgfältig seyn, lauter gute Sachen zu reden, auch wenn sie ganz allein zu seyn denken? Adieu! ich gehe nach R**.[51]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 1, Altenburg 1797, S. 46-52.
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