Ein und zwanzigster Brief

[125] Die edle, die liebenswürdige Henriette ist nun in den Armen der ewigen Ruhe! Und ich, meine Mariane, winde mich um das Andenken jedes Augenblicks, den ich bey ihr zubrachte, sie handeln sah, reden hörte, und ihrer Liebe genoß. Die Wiederholung alles dessen, was ihre letzten Tage bezeichnete, ist der süsseste Trost, den ich mir geben kann. Hören Sie mich also noch alles erzählen, was seit meinem vorigen Briefe geschah.

Ich setzte mich an Henriettens Bette, wo ich mit gepreßtem Herzen, bald sie, bald den Arzt ansahe, um auf dessen Gesicht meine Hofnung, oder meine Furcht zu lesen. Seine tiefsinnigen Blicke und das jeweilige Schütteln seines Kopfs sagte mir alles. Ich ließ daher meinen Thränen freyen Lauf, so, wie ihre Jungfer, die am Bett kniete. – Endlich öfnete sie die Augen, und schwach, anfangs kaum verständlich, sagte sie: »Liebe Rosalia! und du, meine gute, treue Liese! kümmert Euch nicht, ich werde glücklich –[125] ewig glücklich.« – Nachdem erblickte sie den anbrechenden Tag, und wir mußten die Fensterladen ganz öfnen, daß sie den Garten und das Feld sehen konnte. Lächelnd bewegte sie die Augen umher, und sprach sanft: »Schöne Erde! aller deiner unschuldigen Freuden habe ich genossen!« – Der Arzt gab ihr erquickende Tropfen und ging hinaus, worauf ich nach einigen Augenblicken fragte, wie ihr wäre? »Schwach, sehr schwach, meine Rosalia! – Sie sehen, daß ich Recht hatte, zu sagen, daß ich keine Kraft mehr habe, Freuden zu tragen. Ihr süsser Anblick machte mich krank; der, von dem Herrn von T**, hat mich über das Vergangne und Gegenwärtige zu heftig bewegt, um es zu dauren.« – Nachdem schwieg sie lange, und verlangte dann ein Kästchen, das in einem Schranke der Mauer stund, ließ es aufmachen und gab mir daraus einen Ring, worauf ihr verzogner, Name, mit kleinen Brillanten, auf schwarzem Grunde steht. Sie steckte ihn selbst lächelnd an meinen Finger. Da aber meine Thränen auf ihre Hand fielen, blickte sie mich mit viel Empfindung an und streichelte mich. »Seyn Sie vergnügt, Rosalia! Sie waren[126] die letzte Freude meines Lebens. Für Sie sag' ich der Vorsicht den letzten Dank; denn durch Sie hat mein liebendes Herz das Glück der wahren Gegenliebe genossen. Ich weiß, daß ich in dem Ihrigen unvergessen bleiben werde, und daß Sie gerne manchmal mein Bild sehen werden.« – Hier gab sie mir ihr Miniaturgemählde, in himmelblauer Kleidung, mit einer Hand einen Schleyer von weißen Flor über sich ziehend, sehr schön gefaßt. – »Du, meine Freundinn Lise! sollst diesen Ring tragen.« (Den sie von ihrem Finger zog und ihr gab.) »Mein kleines Bild in Oel ist auch dein; die übrigen Kennzeichen meines Danks und meiner Liebe wird Herr M** K** in diesen Papieren finden.« – Herr M** K** und der Arzt kamen da würklich ins Zimmer. Sie reichte Erstern eine goldne schwarz emaillirte Dose: »Dieses Andenken erhält noch durch meine Hand einen Werth; nicht wahr?« – Dem Arzt gab sie eine ganz goldene, und nahm aus dem Kästchen noch ein großes und zwey kleine Futterale heraus, ließ es zumachen und gab die Schlüssel dem Herrn Pfarrer M** K**, der, wie ich, im feyerlichem[127] Stillschweigen da stund. Nach diesem war sie lange ruhig und dann blickte sie mich sehr rührend an. »Rosalia! noch einen Labetrunk von ihrer Hand!« Ich stützte ihren Kopf mit einem Arm, und mit der einen Hand hielt ich das Glas an ihren Mund. Sie bat, sie etwas höher zu legen, und wir bemerkten, daß sie über was nachdachte. Endlich fing sie an: »Wo ist Herr von T**? ich möchte ihn sehen! Aber, lieber Herr M** K**, bitten Sie ihn, daß er nicht zu bewegt sey!« Der Arzt, und wir alle, wollten sie von dieser Unterredung abhalten, weil sie solche zu sehr angreifen würde. »Ach, meine Freunde! ich fühle, daß ich nur noch wenige Schritte bis an das Ende meines Lebens habe! Lassen Sie mich diese kurze Zeit noch nach meinem Herzen genießen! Was soll T** so weit von meinem Zimmer thun? Mein Anblick ist ihm so werth –« Herr M** K** ging hinaus, ihn zu holen. Da drückte sie meine Hand – »Ach, Rosalia! was ist mein Schicksal mit den zwey Vettern! Der eine raubte mir Freude und Gesundheit, und dieser gute edle Mann befördert meinen Tod!« – Von T** kam.[128] Sie blickte ihn lächelnd an, und reichte mit der Hand nach ihm. Er näherte sich ziemlich gefaßt, küßte ihre Hand mit bebenden Lippen und fragte nach ihrem Befinden. – »Ziemlich wohl! Aber, müde an Geist und Leib.« – Mein Gott! erwiederte er, ich fürchte, mein unbedachtsames Eindringen hat Sie erschreckt und so krank gemacht! Ich werde es mir niemals vergeben. – »Sie hätten Unrecht, theurester T**; denn Ihr Anblick würde mir bey keiner Gelegenheit gleichgültig gewesen seyn, aber, meine vorherige Entkräftung hat mich zu jeder Bewegung untüchtig gemacht.« – Er sagte hierauf nichts, sondern küßte nur ihre Hand und blieb mit darüber gebogenem Haupte sitzen. Sie schwieg auch lange, und sagte dann mit flüchtigem Erröthen: »Sie haben eine würdige Gemahlinn, Gott segne Sie beyde! – Bitten Sie die Frau v. T**, dieses Andenken von der Freundinn des besten Mannes anzunehmen!« – Und da gab sie ihm das große und kleinere Futteral, wo in dem einen die kostbare Uhr, die mit der Agraffe reich mit Brillanten besetzt ist; in dem andern, Ohr-Rosen und eine Haarnadel war; in dem dritten, zwey gleiche[129] Ringe von großem Werth, wovon sie einen ihm reichte. »Diesen tragen Sie. Den andern, Ihre Gemahlinn. Ihre Tochter, die Sie in der Taufe meinem Andenken weihten, habe ich schon lange als das Kind meiner Seele zur Besitzerinn von Effenhofen gemacht. Ich hoffe, sie wird einst die guten Einwohner darinn lieben und glücklich machen.« – Herr von T** lag nun auf den Knien vor ihrem Bette, seine beyden Arme an dem Bettgestelle ausgespannt, und rief: »O Henriette! Henriette! was sollen all diese Anordnungen?« – »Sie sind das Einzige, was mich die Versicht für den zu spät geliebten Mann meines Herzens thun läßt!« sagte sie, und in dem nemlichen Augenblicke war sie aufgerichtet küßte die Stirne des Herrn v. T**, und mit Sammlung ihrer letzten Kräfte, legte sie ihre Hände auf ihre Brust, – »Von Dir, ewige Liebe! erhielt ich dieses gefühlvolle Herz! Rein, Rein, wie es aus Deinen Händen kam, gebe ich Dir es zurück.« – Mit einem Schrey des Schmerzes sank von T** auf die Erde. Henriette rufte: »Ach Gott!« ließ ihre Hände fallen, und verschied. –[130]

O Mariane! wie gerne hätte ich meine Seele auf ihren Händen, die ich küßte, ausgehaucht! Ich konnte nicht reden und nicht weinen. – Durch unsere Unruh und Mühe kam von T** zu sich, rafte sich auf, und stund mit gerungenen Händen, starre Blicke auf Henriettens Leichnam geheftet. – Auf einmal näherte er sich Liesen, die an der einen Seite des Betts kniete, und mir einem Schnupftuche den Todesschweiß von der Stirne des entwichenen Engels wischte. Er legte sein Gesicht einen Moment auf Henriettens Arm. – »Heilige, heilige Ueberreste!« sprach er mit dem wehmüthigsten Tone, betrachtete noch mit gesunkenem Haupte das kaltwerdende Bild, riß dem knienden Mädchen das Schnupftuch aus der Hand, hüllte sein Gesicht hinein, küßte es, faßte es in beyde Hände, eilte ins Vorzimmer, wo er sich vor einen Stuhl auf die Erde warf und laut schluchzend zu weinen anfing. – Ich ging traurig in mein Zimmer. Kurz darauf wurde mein Herz durch das Wehklagen der Dorfleute aufs neue zerrissen. O, die Liebe der wahren Tugend liegt tief in der Seele der Menschheit! Ich habe es bey der Leiche von Henrietten gesehen. – Was für[131] Trauer, was für Ehrerbietung war in allen, die sie zu der gewählten Ruhestätte begleiteten!

Sie liegt neben den Ueberbleibseln einer kleinen alten Capelle, am Ende des Dorfs, wo sie schon vor zwey Jahren, ohne daß man ihre Absicht wußte, auf die Seite gegen das Feld, ein halb rundes Dach, auf fünf schöne steinerne Säulen gestützt, hatte bauen lassen. Auf beyden Seiten der mittlern Säule ist es offen zum Eingang. Zwischen den andern aber, Bänke von Stein, wo sie oft hinging, sich setzte, und mit den Feldarbeitern sprach. Ein großer Stein deckt ihre Gruft, auf dem nichts steht als:


Ruhestätte

von

Henrietten von Effen,

24 Jahr alt.


In ihrem letzten Willen erhält die Tochter des Herrn von T** all ihren Schmuck, Silber und Effenhofen; der Herr von M** eine schwere goldene Dose, zum Denkzeichen ihrer Versöhnung; und das übrige Vermögen[132] geht in vier Theile. Den ersten ihren Verwandten; den zweiten für Erziehung armer Kinder; den dritten ihren Hausbedienten; und den vierten unter Arme auszutheilen.

Der Herr von T** will hier wohnen. Wenn er es thut, so lebt er nicht lange, denn alles nährt seinen endlosen Kummer. Er will in ihrem Zimmer wohnen, ihre Betten, alle ihre Möblen haben, ihr Messerzeug. – Er betete sie an, und ihr letzter Athemzug war das Bekenntniß ihrer Liebe für ihn! Morgen geht er weg, und Herr M** K** mit ihm.

Wie lange ist dieser Brief! Aber es war der letzte Auftritt, der ganz meine Seele erfüllte![133]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 1, Altenburg 1797, S. 125-134.
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