Zwey und zwanzigster Brief

[134] Gestern ist der Herr von T** mit dem Pfarrer M** K** abgereiset. Er hatte sich bey Letzterm besonders nach mir erkundiget. Weil ich Henrietten so theuer gewesen, sagte er, müsse ich eine vortrefliche Person seyn. Herr M** K** gab ihm alle Nachrichten, und auch die, daß ich durch den Briefwechsel mit einer edlen Freundinn bewogen worden, eine genaue Beschreibung von allem zu machen, was sich seit meiner Bekanntschaft mir Henrietten zugetragen habe. – Urtheilen Sie, Mariane, wie begierig der gute Herr v. T** auf diese Papiere wurde! Es war mir auch unmöglich, ihm die Abschriften zu versagen. Er will sie seiner Gemahlinn weisen, bey welcher die so auffallende schönen Züge von Henriettens edler Seele, nicht nur eine Schutzschrift für seine daurende Liebe seyn würde, sondern auch zu einer Belohnung ihrer Großmuth dienen könnte, da sie selbst ihm die Reise zu Henrietten vorgeschlagen habe.[134]

Er hatte die Anschriften meiner Briefe in meinem Zimmer, unter manchen Thränen, stille durchgelesen, und bey dem Stück, wo die Frage von seinem Briefe an Henrietten war, erzählte er mir alle Umstände des Kummers, der ihn lange Zeit auf doppelte Weise marterte, da er Henriettens Bild nicht aus seiner Seele drängen, und den innern Vorwurf auch nicht vermeiden konnte, daß er so kalt gegen seine Gemahlin wurde, die seine traurige übermäßige Zärtlichkeit gegen ihr Kind, und sein trockenes, obgleich sehr ehrerbietiges Bezeigen gegen sie selbst nicht begreifen konnte. Er wäre darüber ganz elend geworden; hätte niemand, als seine Gemahlinn und seine Tochter gesehen, und endlich, da er einmal bettlägerig gewesen, habe er seiner Gattinn sein Herz eröfnet. Sie hätte viel geweim; lange still geschwiegen und ihn dadurch in die äußerste Aengstlichkeit gebracht; dann aber wäre sie von ihrem Stuhl aufgestanden, hätte sich auf das Bett gesetzt, seine beyden Hände in die ihrigen genommen, und ihm mit aller Würde und Eindruck der wahren edlen Güte des Herzens gesagt, daß sie ihm unendlich für sein Vertrauen danke, und ihm gestünde, daß sie[135] dabey gelitten habe; aber, daß sie gar wohl einsähe, was für eine unwiderstehliche Gewalt die Liebe über ein Herz haben könne; sie bedaure die junge Dame innig, und bäte ihn, zu ihr zu reisen, um entweder eine Aussöhnung mit ihrem ersten Liebhaber zu stiften, oder doch wenigstens durch sich selbst von dem Zustande des Fräuleins unterrichtet zu werden. Vielleicht könnte er dadurch Etwas zu der Wiederherstellung der Munterkeit und Gesundheit des Fräuleins von Essen beytragen; genösse den Trost, sie zu sehen, und würde eine richtige Idee von ihren Leiden und Wünschen erlangen, da er jetzo in der Ungewißheit, allein den Sorgen seiner Liebe und Bekümmernissen überlassen, sich abzehre, und alle, die ihm ergeben wären, zugleich unglücklich würden. –

Er hätte noch einige Tage gegen diese Reise gekämpft und sich auch aufgemuntert; theils, um seine Gemahlinn zu beruhigen, theils auch wäre ihm in Wahrheit nach Eröfnung seines leidenden Herzens leichter gewesen; seine Gemahlinn wäre dadurch in alle heilige Rechte einer Freundinn getreten, auf deren Seele er die seinige stützte; sie hätte ihn über acht Tage lang gehen lassen, ihn aber genau beobachtet;[136] dann wäre sie Abends in sein Cabinet gekommen, und hätte ihm mir einer zärtlichen Heiterkeit gesagt: »Mein lieber T**. Sie haben mir schon einigemal versichert, daß Sie mir eine Genugthuung schuldig sind, wegen des vielen Jammers, den mir Ihre Traurigkeit verursachte. War es Ihnen Ernst mit Ihrer Schadloshaltung?« – »Gewiß, meine Auguste, meine gütige Auguste! Sagen Sie, was soll, was kann ich thun, um Sie zu befriedigen?« – »Sie sollen die Anstalten gut heissen, die ich zu Ihrer Reise nach Effenhofen gemacht habe, und morgen früh mit Ihrem Kammerdiener dahin abgehen. Ich fodre es als einen Beweis Ihrer Achtung für mich, und bitte Sie, mich diese edelmüthige Handlung ausüben zu lassen. Die Vorsicht hat mich glücklich genug gemacht; ich bin Ihre Gattinn, die Mutter Ihres Kindes, Ihre Freundinn, und bey diesem Ueberflusse soll ich eine tugendvolle Unglückliche im Leiden wissen und hülflos lassen? Nein, mein T**, Sie sollen zu dem Fräulein von Essen. Sie sollen für sich diese Freundinn erhalten, und mir sie zur Freundinn erwerben.[137] Meine Seele ist über die Eifersucht der Eigenliebe erhaben, denn ich liebe dieses empfindungsvolle Frauenzimmer. Ich will Ihnen mit unserer Henriette nachreisen, wenn Sie es nach den Umständen gut finden werden. Aber morgen früh sollen Sie weg. Alle Sachen, auch unterlegte Pferde, sind bestellt; die Witterung ist schön, und der Beweggrund so, wie er vor dem Richteramt der wahren Menschenliebe bestehen kann.«

Er versprach es ihrer großmüthigen Liebe, und ging weg. Da er einen leichten Wagen hatte und überall sechs bestellte Pferde antraf, so konnte er den zweyten Tag so zeitig in Effenhofen seyn. Er schickte ihr den andern Morgen einen eigenen Boden zu Pferde, und meldete ihr die hofnungslosen Umstände der Gesundheit des Fräuleins. – In der Antwort der Frau von T** liegen alle Züge einer vortreflichen Seele. Sie dankte ihm, daß er nach Effenhofen gereiset sey, und sie hofte bessere Nachrichten; bat ihn auch, alles Mögliche beyzutragen, das verwundete Gemüth des lieben Fräuleins zu heilen. Aber, diese Bitte kam zu der Zeit, wo die edle Henriette schon über alle menschliche Leiden und Hülfe[138] erhaben war. Die Frau von T** kann über ihre Veranstaltung und Betreibung der Reise ihres Gemahls zufrieden seyn; ich denke, es mag sie was gekostet haben, ihren T** von sich zu der so feurig geliebten Henriette zu schicken! Ihr Opfer war groß, aber schön, und nun wird sie durch den Dank und die Verehrung ihres würdigen Gemahls tausendfach belohnt.[139]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 1, Altenburg 1797, S. 134-140.
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