Drey und zwanzigster Brief

[140] Wie viel, theure Mariane! wie viel habe ich Ihnen zu danken, da Sie mich so liebreich bey der Hand fassen, und mich mein Leben geniessen lehren! – Es dünkt mich auch, ich könne Sie versichern, daß Sie mich niemals mehr werden murren hören, wenn die Hand des Schicksals mir, anstatt des verlangten Guten, ein andres hinlegt. – Ich will nicht mehr, wie ein eigensinniges Kind, es von mir stoßen, sondern mit gelassenem Dank es annehmen und genießen. – Sie sollen aber doch auch wissen, was mich bey Ihrem gütigen Rath am meisten erfreute, was mich am stärksten lockte, ihm zu folgen. –

Sie wiederholten meine Klagen über die Entfernung von Ihnen und von meiner gewöhnten Eintheilung der Tage und ihrer Verwendung. Sie sagten: »Wenn ich Rosalia L** mit dem feinen Gefühle der Seele wäre, so würde ich wie sie, jedes genossene Gute, jede Freude der verflossenen Tage, das Bild meiner Freunde, und den Ort, wo ich[140] alles dieses im Besitz hatte, dankbar in meinem Gedächtniß bewahren; ich weihte ihrer Erinnerung sogar Augenblicke des gegenwärtigen Genusses; ich freute mich der Sicherheit, dieses alles in einiger Zeit wieder zu finden, und pflückte daneben mit ämsiger Aufmerksamkeit die Blumen des Vergnügens, die der Zufall auch auf fremden Boden für mich sprossen ließe; ich würde mir es nicht vergeben, wenn ich nur den Himmel, nur die Gegend unserer Mutter Erde, nur die Menschen lieben wollte, die ich bisher sah.« –

Ich fühlte, daß Sie gerechter sind, als ich. Meine, gegen die hiesigen Einwohner gehegte Gleichgültigkeit war mir leid. Ich nahm mir vor, billig zu seyn, und meine Liebe, meine ewig vorzügliche Hochachtung für Mariane, unterstützte diesen Vorsatz weil ich mich freute, Etwas zu thun, was Sie an meiner Stelle thun würden. O, wie unschätzbar ist der Werth der Tugend derer, die wir lieben, weil man die Neigungen des geliebten Gegenstandes so gerne annimmt! Ich habe würklich heute Blumen gepflückt, von deren Saamen ich auch bey uns auszustreuen suchen werde. Es gehr die Ausbreitung der[141] Gesellschaft und Gesetze an, die sich neun junge Frauenzimmer gemacht haben, und die damit ganz unfehlbar den Endzweck erreichen werden, jedes wichtige und reizende Verdienst unsers Geschlechts zu erlangen.

Es ist hier gewöhnlich, daß Männer, Frauen und junge Personen, jedes eine abgesonderte Gesellschaft halten. Sie kommen aber nicht öfter, als alle Woche einen Tag zusammen, und zwar immer wechselsweise von einem Hause um das andre. Diese Verbindungen nennen sie von langen Zeiten her, einen Freund schafts-Kranz, und den Tag der Zusammenkunft, den Kränzeltag. Eine Verwandtinn von Frau R** hat mich heute, da die Reihe an ihr war, dazu eingeladen und mir die Beschreibung ihrer Gesetze gemacht.

Jeden Donnerstag kommen sie mit ihrer Arbeit, Nachmittags um drey Uhr, artig geputzt, zusammen; trinken eine Tasse Coffee, aber nicht heiß, weil heißer Coffee der Schönheit und Reinlichkeit der Gesichtsfarbe schadet. Nach diesem geben sie einige Teller mit Obst und Confect. Von dem Letztern muß aber allezeit etwas von der Kranzgeberinn selbst gemacht[142] seyn. Ist es neu erfunden, oder erlernt, daß die andern es noch nicht wissen: so muß sie die Vorschrift mittheilen. Dann werden die Arbeitensgewiesen; von der, alle zwey Monat neu gewählten Vorsteherinn gelobt, oder getadelt. Jede muß das Neugelernte, oder die erworbene Vortheile, in Erleichterung der Mühe, oder zur Vollkommenheit des Ganzen, den andern mittheilen. – Dann müssen sie nach der Reihe sagen, was sie von ihren Freundinnen haben loben oder aussetzen gehört; Erläuterungen geben, und sind sie verbunden, alle eine, und jede alle zu vertheidigen. Der Putz wird auch durchgegangen; die Unkosten und die Art der Verfertigung gesagt; der wohlfeilere Kaufmann genannt. Dann wird erzählt, was man Schönes und Nützliches gelesen oder gehört, und sich eigen gemacht hat. Nachdem Etwas aus dem Schauplatz der Natur, einer Wochenschrift, eine Comödie, oder Poesie gelesen; darüber geredet und auf die Letzt für Arme etwas Geld gesammelt; und eine jede von ihnen lehrt ein armes Mädchen Lesen, Schreiben und Arbeiten, wodurch sie tüchtig weiden kann, einmal als gute Dienerinn glücklich zu werden. In den[143] Häusern, wo die Tochter Brüder hat, kommen auch diese mit ihren artigen Freunden gegen sechs Uhr in die Gesellschaft, welches natürlicher Weise Abänderung und Munterkeit unter sie verbreitet. Man hat mir darüber zwey recht artige Sachen erzählt, die ich Ihnen auch melden will. –

Das Kränzchen bestund vor einiger Zeit aus neun jungen Frauenzimmern, die mindeste Schöne war die Reichste, und saß einst bey ihrer vertrautesten Freundinn, als junge Herren kamen. Einer von ihnen bemerkte, daß er von diesen beyden betrachtet wurde, und sie von ihm redeten, und lag der einen so lange mit Bitten an, bis sie ihm gestund, daß Mademoiselle F** ihr gesagt: »Sie wisse, daß sie niemals wegen ihrer Person könnte geliebt werden, und daß man sie nur wegen ihres Vermögens suchen würde. Sie wünschte daher nur, mit ihrem Reichthum das Glück eines würdigen Mannes zu machen; zum Beyspiel, des rechtschaffenen jungen K**, den sein Oheim das wenige Gute, das er ihm bewieß, so theuer erkaufen ließe; und es würde ihre größte Freude[144] seyn, ihm durch ihr Vermögen unabhängig und vergnügt zu sehen.«

Herr K** ward durch diese Edelmüthigkeit gerührt; von der Einwilligung des jungen Frauenzimmers versichert, suchte er um sie an, erhielt sie, und würde durch seine Dankbarkeit und ihre zärtliche Liebe lange glücklich gewesen seyn, wenn er sie nicht in dem ersten Wochenbette verlohren hätte, wo sie nach dem Tod ihres Kindes nicht um Hülfe gegen ihre Schmerzen, sondern allein um die Zeit bat, ihr Testament zu machen, um ihrem geliebten Gatten ihr Vermögen, als das allein überbleibende Zeugniß ihrer Zärtlichkeit, zu versichern, und er dadurch in den Stand gesetzt würde, eine schöne liebenswürdige Frau nach seinem Herzen zu wählen, und durch ihren Besitz für alle die feine Achtung belohnt zu werden, die er ihr bewiesen hätte. – War dieß nicht eine schöne Seele, meine Mariane?[145]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 1, Altenburg 1797, S. 140-146.
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