Achter Brief

[35] Diesesmal, meine Freundinn, schreibe ich in vollem Zorn an Sie, über Schwätzer, die mich hinderten, zwey Stunden eher mit Ihnen zu reden! – Artige Sachen hatte ich gesammlet, und meine besten Ideen dazu gedacht. Mit der Feder in der Hand saß ich da, meinen Brief anzufangen! aber, da ich weg mußte, um die Leute zu unterhalten, die auf meinen Oheim warteten, so wurde alles zerstört; die feinsten Gedanken sind verschwunden! Ich bin, wie eine Person, die schöne Blumen gepflückt hatte, und just begriffen war, ihrer Freundinn ein Bouquet davon zu binden: jähling kommt ein böser Geist, und wirft einen Haufen Sand, Spreu und Geniste auf ihr Blumenkörbchen. Nach dem ersten Unmuth sucht sie das Zeug wegzuräumen; aber die meisten Blumen sind zerknickt, haben theils ihre schöne Form, theils Blätter und alle den frischen Glanz verlohren! Ist man da nicht böse, meine Mariane? Nun ists noch dazu Zeit, zu Tische zu gehen, und da höre ich gewiß[35] nichts, das mir meine verflogene Gedanken zurück rufte.


Nachmittags 4 Uhr.


Da! gewiß ist selten ein Mißvergnügen allein! Ich denke aber, das ist eine Folge der üblen Stimmung des Gemüths, in welche uns das Erste versetzte. – Ich komme mit meinem halb mürrischen Gesicht ins Speisezimmer, und fand wider mein Vermuthen einen Fremden, der der feinste Beobachter moralischer Charaktere seyn soll. Auf diesem muß der trockne widrige Ausdruck, der auf meiner Stirne saß, eine schöne Wirkung gemacht haben! – Denn die heitre Miene, die ich bey dem Anblick meines Oheims bekam, konnte ihn nicht anders denken lassen, als daß ich diesem zu Lieb die wahre Beschaffenheit meines Gemüths verberge, und es vielleicht aus eigennützigen Absichten, und nicht aus der feinen zärtlichen Sorge für sein Vergnügen thue. – Denn was für Ursachen kann ein gesundes hübsches Mädchen von zwanzig Jahren angeben, die ihr verdrüßliches Aussehen, beym Eintritt in das gesellschaftliche Zimmer, entschuldigten? zumal, wenn ihre Glücksumstände durch die Liebe[36] eines Verwandten, wie mein Oheim, so vortheilhaft sind, muß man sie sorgenfrey achten, und ihre üble Laune einer verkehrten Gemüthsart, oder Ungeduld der Liebe zuschreiben; und beydes ist höchst nachtheilig! O, möchte ich, meine Mariane, für mein ganzes Leben, so schnell und so stark jeden Fehler meiner moralischen und geselligen Pflichten fühlen, wie jetzt meine geängstigte Eigenliebe dieses, dem Ruhme meines artigen Humors so schädliche Verhalten empfindet!

Herr L**. ist mit meinem Oheim und seinem Freund zu Besuch gegangen. – Er kommt wieder mit Ihnen nach Hause. Ich will Gelegenheit suchen, von meinem heutigen Gesicht zu reden! Dieser Mann soll nicht übel von mir denken, durchaus nicht; eher zehn Andre!


Abends 11 Uhr.


Ich bin mit mir ausgesöhnt! und Herr L**. hat mich gegen jede Besorgniß wegen seiner Gesinnungen gesichert.[37]

Er hatte bey Tisch, Mittags, sehr wenig geredt, und nur andre reden zu machen; wobey er mich, wie mich dünkte, mehr als die andern beobachtete. Nach der Zurückkunft, da mein Oheim auf einige Zeit in sein Zimmer ging, redte mich Herr L** ganz sanft, aber mit so ganz forschenden durchdringenden Blicken an. Ich gerieth in eine ganz sichtbare Verlegenheit, aus welcher mich nichts, als Freymüthigkeit erlösen konnte. – Ich sagte ihm, die Ursache meines Stottern und Erröthens wäre ein kleiner Kampf zwischen meiner Eigenliebe und der Wahrheit. Das unfreundliche Wesen, so er an mir müßte bemerkt haben, wäre Ursache daran. – Ganz fein, ganz schonend fragte er mich: warum ich deswegen besorgt wäre? – Weil ich die Hochachtung sah, die Sie meinem Oheim, und er Ihnen bewieß, so wäre mirs leid, daß er ein Verhalten von mir gesehen hätte, welches der glücklichen Nichte dieses unschätzbaren Mannes nicht anstünde. – Er lächelte beynah etwas satyrisch hierüber. – Dieses bewog mich, sogleich aus meinem Zimmer den Anfang meines Briefs an sie zu holen, und ihm solchen ganz im ernsten Schweigen zum Lesen zu geben. –[38] Er lächelte wieder, aber nicht mehr bitter; seine Augen, dünkt mich, wurden größer, glänzender, und gewiß war ein Ausdruck von staunender Achtung darinn, da er mir meinen Brief gab, und für mein Vertrauen dankte. Den Augenblick ward mir leicht, mit ihm zu reden, ob ich schon fand, daß alle seine Fragen nothwendigerweise charakteristische Antworten nach sich zogen. Er fragte auch nach der Mariane, an die ich alles schreibe. Er sah meine Seele, da ich von Ihnen sprach. Und nun endige ich meinen Brief mit einem herzlichen Gott sey Dank! daß ein edler, scharfsinniger Mann, und die geistvollste tugendhafteste Person meines Geschlechts, in jedem Augenblicke meines Lebens in meiner Seele lesen dürfen.

Rosalia.[39]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 1, Altenburg 1797, S. 35-40.
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