Sieben und siebzigster Brief

Rosalia an Mariane S**.

[219] Da war ich mitten im Winter verreißt, Otte, seine Julie und ich, um Herrn und Frau G** in F** abzuholen, die nach einer Abwesenheit von etwa drey Monaten wieder zurück wollen. – Es war sehr kalt, als wir abgingen; aber ein heller, reiner Himmel dabey. Alle Steine, alle Grashälmchen mit Silberduft überzogen, und das auf einer grossen Weite umher. Dann enge Hohlwege, unfreundliche, und gefrorne Bäche, bey denen wir ängstlich waren. Aber auch ein herrlicher Buchenwald, alle Zweige bereist, braune und gelbe Blätter daran, nur an den Enden mit dem so glänzenden Duft eingefaßt. Und als wir auf die Höhe des Waldes kamen, wo er stark ausgehauen ist, hatte ich den angenehmsten Anblick, den diese Jahrszeit geben kann. Eine Art Nebel, aber sehr dünn, der auf dem Berge lag, durch welchen die auf der Seite stehenden Büsche nur als durch einen Flor[219] schimmerten, würde schon an sich reizend gewesen seyn; aber die Sonne verschönerte es äusserst. Da ihre Strahlen just von der Seite unsern Wagen trafen und dessen Schatten an die Gebüsche warfen; so bildete sich um diesen Schatten herum ein Regenbogen, der ihn lange Zeit begleitete, bis eine Wendung des Wegs den köstlichen Anblick zerstörte. Die Farben waren etwas blaß, wie beynah die Mondregenbogen sind – und nach Maaßgabe des kleinen halben Zirkels um unser Fuhrwerk, auch schmal und um so viel neuer und gefälliger für uns. Wir hatten auch etwas langsamer fahren lassen, das holde Schauspiel länger zu geniessen. Es endigte mit dem Abhang des Berges und den aufsteigenden kleinen Säulen von Rauch, aus den Hütten eines armen Dorfs, durch das wir fahren mußten. – Otte spottete unser sehr, da wir in dem Posthaus und dem andern, was wir sahen, alles so schlecht und häßlich fanden und die schönen Sachen bedauerten, die wir im einsamen Walde gesehen hatten. –– Er behauptete, unsre Entzückung sey nicht aus dem Grunde der großen Reitze des Winters der Natur hergekommen, sondern weil[220] wir Farben, kleine Spiegelchen und Diamanten gesehn hätten. Bald wären wir auch ungeduldig über ihn geworden; aber der neue Postillion, ein hübscher, munterer Kerl, stimmte sein Horn so schön an, daß er uns auch munter erhielt. Er fuhr sehr geschwind, ausgenommen gegen das vorletzte Dorf der Station, wo wir wieder Pferde wechselten. Da ließ er nur einen Schritt gehen, aber alle Künste seines Posthorns und dann das Klatschen seiner Peitsche hören. Ich bemerkte endlich, daß er immer auf eine Seite hinsah und auf einmal wieder aus vollem, lustigem Othem ein, Stückchen bließ. – Da kam aus einem etwas hoch liegenden Bauerhaus ganz eilig ein artiges Mädchen heraus gesprungen, ohne Haube, und band sich eine weiße Schürze noch auf der Vortreppe um, nickte ihm freundlich zu, bis er das Horn unter seinen linken Arm zurückwarf. –– »Guten Morgen Toni!« – rief sie dann aus ihren runden, glühenden Backen und mit einer Hand aus Geländer gestützt, – »wann kommst du wieder?« – »Um zehn, rief er, eine Milchsuppe.« – »ja – ja!« antwortete sie, so voll Zufriedenheit in ihrem blauen Auge, und mit[221] beyden Händen ihr weißgelbes Haar zurückstreichend, daß ihr der Morgenwind ins Gesicht wehte. – Einige Augenblicke, sah sie ihm, gewiß nicht unsrer Kutsche, nach, hüpfte leicht und mit wahrer Anmuth in den Hof. Ihr Freund Toni aber klatschte noch ein paarmal lebhaft und künstlich; nachdem aber führte er uns, wie fliegend, dem nächsten Posthaus zu. Die ganze Scene hatte uns so wohl gefallen, daß wir in dem Kramladen des kleinen Orts ein Halstuch, ein Band und eine Schürze für sein Mädchen kauften und ihm mitgaben. – Der gute Mensch wurde roth, als Ott mit ihm von ihr sprach und sagte, daß wir die Ursache seiner vielen Musik errathen hätten. ––

»Sie ist nur Magd bey dem Bauer, sagte er, aber das schönste und ehrlichste Mädchen im ganzen Lande. Ich verzehr immer mein halbes Trinkgeld bey dem Bauer für Milchspeise, und er hält sie deswegen auch besser. Das übrige Geld hebt sie auf, daß ich es nicht vertrinke und mir was spare, damit wir ein kleines Söldnergütchen gleich neben meinem Herrn bestehen können. Ich bleib Postknecht. Mein Herr und die Pferde haben mich gern; 's Fuhrwerk geht nicht immer[222] gleich stark, ich hab noch einen Cameraden. Da kann ich schon mein kleines Feldchen bauen, und meine Terese sorgt für die Kuh, den Garten und das Kraut; da kommen wir mit Gottes Hülfe sehr gut zurecht.« ––

Diese redliche Erzählung und die freundlichen Blicke, die er auf die, in seinen Händen haltende Geschenke von uns, von Zeit zu Zeit heftete, und das kleine Päktgen auf- und zulegte, dann wieder mit beyden Händen zusammen druckte, – rührte uns. Julie sagte auf französisch zu Otten, ihm eine Beysteuer zu geben. – Er thats und der gute Mensch weigerte sich, indem er auf unsre Geschenke deutete. Nachdem aber küßte er unsre Hände und segnete uns. – »Kommen Sie den Weg nicht bald wieder?« fragte er. –– »Ja, in acht Tagen.« – Da zählte er an seinen Fingern, – »Das ist mein Tag nicht, – aber ich will meinem Cameraden das Trinkgeld lassen und Sie fahren. – Sie sollen sehen, wies gehen wird« – und da schnalzte er mit der Zunge und der einen Hand, und blinzte mit den Augen frohen Beyfall dazu. – Er hielt auch Wort, und führte uns ganz vortrefflich im Rückwege. ––[223]

In F** fanden wir unsre Freunde und mußten uns mit ihnen noch einige Tage aufhalten. – Urtheilen Sie aber von meinem Staunen, als ich den vierten Tag meinen Oheim mit Clebergen in das Zimmer treten sah. Er war mir so unerwartet, das ganz Englische Wesen, so er angenommen; eine Art stuzendes Betrachten meiner Person, die rasche Freude und Thränen meines Oheims, noch mehr aber sein Reissen an meiner Hand und an Clebergs Arm, mit dem Ausruf: »Nun, Kinder! nach zwey Jahr Abwesenheit dürft ihr euch wohl umarmen.« ––

Cleberg gehorchte mit Freude in seinem Auge, – ich aber widerstrebte und sank beynah in dem erregten Sturm zu Boden. Meine Lippen zitterten und Cleberg faßte mich mit Schrecken, da er mich blaß und schwankend sah. –– »Was ist das! Rosalia! – um des Himmels willen, was ist das? was ist seit Ihrem lezten Brief in Ihrem Herzen vorgegangen? – Unser Oheim macht Sie nicht zittern, das bin ich, ich allein, den Ihr Uebelwerden angeht.« ––

Ich konnte nicht reden: die Worte starben in meinem Munde. –– Ich legte endlich[224] meinen Kopf auf seinen Arm. – Er schwieg und druckte mich an sich. Ich küßte eine Hand meines Oheims, die ich hielt. – Er sagte mit: »Gutes Mädchen! wir hatten Unrecht, dich so zu überfallen, ich finde es, erhole dich nur.« ––

Diese Betrachtung war richtig. Aber ich würde von der plötzlichen Erscheinung nicht so erschüttert worden seyn, wenn mein Oheim nicht so rasch auf eine Umarmung gedrungen hätte. Denn bey der Erinnerung der äussersten feinen Strenge, die ich mir aufgelegt und heilig gehalten hatte, daß von dem Tag an, wo mein Herz und mein Oheim mich für Clebergen bestimmten, niemals die Lippen eines andern Mannes meinen Mund berühren sollten, – war ich wohl billig genug, nicht das nehmliche von ihm zu fodern und zu erwarten. – Aber gewünscht hatte ichs, und den Augenblick, da er nach der Auffoderung meines Oheims sich mir näherte, warf ich ihm einen Mangel an Feinheit vor; – und zugleich war in mir der Gedanke: O, wie viele dieser Küsse mag er verschwendet haben! – Und dann war doch auch die Bescheidenheit mit verbunden. – Es war mein Bräutigam, aber doch ein[225] Mann, den ich in zwey Jahren nicht gesehen hatte. – –

Ich war besser – und zeigte ihm mein Vergnügen, ihn zu sehen. Er betrachtete mich, während ich sprach, mit Aufmerksamkeit – und es dünkte mich, als ob es lauter Vergleichungen wären, die er zwischen mir – und was ihn auswärts angezogen, in seiner Ueberlegung machte. Ich war eben sehr vortheilhaft gekleidet. – Ein langer Pelzrock nach der Taille, feines Gelb mit Zobel ausgelegt; – die polnische Haube dazu, stand mir sehr gut. –– Er faßte meine Hand, mit Blicken voll Liebe. »Sie sind schön, Rosalia! schöner als jemals. Wo wollten Sie denn mit alle den Reizen hingehen, als wir kamen?«

Ich sagte, daß ich mit meiner Gesellschaft eingeladen wäre, einige junge Leute Schlittschuh laufen zu sehen – und daß es mich gefreut hätte, weil es mir ganz neu sey. –

»Sie müssen hin; – aber ich habe Erlaubniß, auch zu folgen.« ––

Das war natürlich – und ich ging zu Julien, die schon zweifelte, mich zu sehen, weil sie die Nachricht von der Ankunft meines[226] Oheims hatte. – Wir mußten ein gutes Stück vor die Stadt hinaus fahren, bis wir endlich an der Landstrasse still hielten und lang an einer Mauer über gefrornen Boden gingen. Am Ende folgten wir einem kleinen Wiesengraben, woran Weiden stehen, und hörten auf einmal Musik und lautes Rufen. Zugleich flogen über zehn Eislauser gegen uns, die uns dann die Hand boten, über den Graben zu kommen und uns auf den zubereiteten Platz zu der übrigen Gesellschaft zu setzen. – Eine Reihe Bänke mit Tuch belegt, und Diehlen auf dem Boden die Füsse vor der Kälte zu schützen; ganz kleine Tischgen, immer drey Fuß breit von einander, mit Servierten gedeckt, worauf dann Chocolade, Kaffee, kleine warme Pastetgen, Confect und fremde Weine, Schinken und Braten gesetzt und angeboten wurde. – Der Schauplatz war auserlesen. Eine, viel Morgen Lands fassende Wiese, auf welche der noch fliessende Bach etliche Tage lang ausgetreten war, und dieses, einen halben Schuh tiefe Wasser zu einem festen, glatten Spiegel gefroren; – das ganze Stück auf zwey Seiten mit Weiden besetzt, die dritte, eine weite Aussicht, wo verschiedne Gärten[227] und Lusthäuser stehen, – und oben an der Ecke, die uns am nähsten war, ein Busch Ulmen, hinter denen ein schöner Bauerhof, mit seinem neuen Ziegeldach, die Scene um so viel einnehmender machte. Der Himmel heiter, nicht der geringste Wind und für Jennortage Sonne genug. – Bey den kühnen Schlittschuhläufern waren die Söhne der angesehensten Familien, junge Engländer, Offiziere – und einer der seltensten und vortreflichsten Köpfe Deutschlands; alle in kurzen Pelzröcken, und runden, ihnen recht passenden Kappenhüthen. – Mich freute es innig, das jugendliche Feuer so vieler schönen Leute, so munter, in tausendfachen Wendungen in dem Reiche des Frosts herum treiben zu sehen. Es schien mir ein edler und schuldloser Genuß ihrer Kräfte, Ihres Muths und ihrer Geschicklichkeit. – Cleberg stand hinter mir und horchte auf meine Bemerkungen. Ich sagte ihm, es dünke mich, sogar charakteristischen Unterschied in dieser Belustigung zu sehen; – er solle den Blick und die Haltung des Leibes von Werther beobachten, wenn er den Schritt über die ganze Fläche anfing. – Ein Engländer hatte sich abgesondert und nahm seine[228] Bahn, oben queer über, da er Phantasiereiche Gänge und Zirkel beschrieb. – »Diesen, sagte Cleberg, will ich in der Nähe betrachten« – und verließ mich. Einige Minuten nachher schlüpfte eine edle Gestalt in einem nett zugeknöpften, weißen Rock, mit schwarzem Pelzwerk bebrämt, und einer gleichen Pelzkappe, an unsern Tischgen vorbey, die ich nicht im Gesicht erblickte, sondern aus der Kleidung für einen neuen Mitspieler ansah. – Er lief ein paarmal an dem einsamen Engländer hin und her, sprach mit ihm, dann umarmten sie sich lebhaft und fingen einen Wettlauf gegen die Andern an, die schon ein Stück Wegs voraus hatten. – Der weiße Rock übertraf die Meisten und ließ den Britten weit zurück, kam ihm wieder entgegen, ergriff seine Hand und war Augenblicks darauf mit ihm vor mir. – Und dieser so schön sich hervorthuende weiße Rock war – Cleberg selbst. Er mußte meine Freude und Beifall mit meinem Staunen vereinigt sehen – und schien sehr vergnügt darüber; stellte mir seinen englischen Freund vor und ermunterte mich, englisch zu sprechen. – Von Zeit zu Zeit kamen auch die andern und nahmen etwas Essen,[229] und auch vielleicht einige gütig belohnende Blicke von den artigen Frauenzimmern die da waren. ––

Dieser Morgen war mir sehr schön. –– Cleberg ging mit mir zurück, aß mit uns, bat mich um eine Unterhaltung in welcher er mir viele alte und neue Liebe versicherte – und mir die Ursach meines Uebelwerden auf den Knien dankte und abbat; – zugleich aber seine neue Abreise auf den nehmlichen Abend anzeigte, – weil er zwanzig Meilen von da wieder zum Gesandten treffen mußte. – Aber bald, wenn mein Herz es gut hiesse, würde er, nach Anordnung unsers Obeims, auf immer als der glücklichste Mann um mich seyn; – und bis dorthin auch nicht einen Blick auf eine andre Seele heften. – Mariane! Ihren Seegen.[230]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797, S. 219-231.
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