Neun und siebzigster Brief

Rosalia an Mariane S**.

[246] Ich muß noch einen großen Brief vor meiner Abreise an Sie schreiben, über einen neuen gesellschaftlichen Zirkel, der mir Glückseligkeit verspricht. Denn für mich, wissen Sie, ist große Anzahl Menschen und lärmende Unterhauungen nicht Vergnügen, sondern Last gewesen.

Man sieht mich, seit dem Kauf einest Hauses und der Bestimmung meines Bräutigams, als eingebohrn an; und ich wurde, nach der Gewohnheit dieser Stadt, bey allen benachbarten Familien meines Hauses und meines Standes zum Besuch geführt worunter drey etwas ältliche, unverbeyrathete Frauenzimmer waren. Keine Seele hatte mir je von ihnen etwas gesagt, und ich war daher um so viel betroffener, sie zu finden. – Man muß durch einen Hof gehen, eh man in ihr Haus kommt, denn sie wohnen zur Miethe bey einem reichen Mann, der fünf Wohnungen[246] umher baute, wovon zwey auf die Hauptstrasse, links und rechts des Thors gehen; zwey in den Hof von jeder Seite der erstern; und dann die von ihm und den drey Frauenzimmern. – Diese scheidet der Eingang in den Garten der sehr schön ist, in welchem der Saal, wo sie ihre Besuche empfangen, die Aussicht und einen Gang hat. – Das Zimmer ist sehr artig mit Tapetenstreifen geziert, welche die Großmutter auf weißem Grund genäht hat. Streifen von gelben Halbdamast, oder Brocadel sind dazwischen gesezt. – Die Stühle, ein großes Ruhbett und alt geformtes Canape sind von ihrer eignen Arbeit, an welcher die Zweyte immerfort ämsig sitzt, aber niemals an einer Unterredung Antheil nimmt, weil sie vor vielen Jahren von einer Melancholie befallen wurde, wovon sie niemals den Grund augab und erst lang immer für sich allein war; endlich aber ihren Schwestern darinn nachfolgte, im großen Zimmer zu seyn, weil die Dritte bey dem Tode der Eltern noch zu jung und zu hübsch war, um sie allein bey Besuchen zu lassen, wenn die Aelteste, die das Hauswesen besorgt, nicht da seyn konnte. – Diese ist von einem äusserst aufgeräumten[247] Geist, dabey voller Muth und Laune. Die Jüngste ist artig, sanft und eine köstliche Vorleserinn; – Alle vortreflich erzogen. – Die Zweyte ist am besten gestaltet, bat ein ovales aber sehr blaßes Gesicht, worin das schönste schwarze Auge einen langsamen durchdringenden Blick, und höchst selten ihr feiner Mund eine Art krankes Lächeln zeigt. – Sie trägt immer Kleider von violet Farbe, ein weißes großes Halstuch und eine schwarze Kappe und Schürze. Nichts netteres kann man sehen, als ihren Anzug. Neben ihrem Ramen, der seinen Platz in der obern Ecke des Saals am Fenster hat, steht ein kleines Tischgen mit dem Keficht eines Blutfinken, den sie liebt, und ihn manchmal, wenn er eine Zeitlang die Hälfte eines ganz einfachen Liedchens gepfiffen hat, mit trauriger Miene betrachtet, auch heraus nimmt, ihn mit einer rührenden Zärtlichkeit, auf einen ihrer Finger setzt und mit der andern Hand streichelt. Zwey dunkelrothe Nelkenstöcke stehn am Fenster, auch von ihr gezogen und gepflegt. Zwischen diesen einer mit Maaßlieben; die besorgt sie Abends, wenn es dämmert, mit einem Ausdruck in ihrem Gesicht, den ich nicht beschreiben[248] kann. Aber gewiß, es ist, als ob sie diesen Blumen und dem Vogel alles sagte, was sie Menschen nicht sagen mag, – so voll Bedeutung sind all ihre Züge, ihr Dastehen, die Bewegung ihres Kopfs, der Arme und Finger, wenn sie nach den Blätgen sieht, an den Nelken riecht, oder die Erde etwas lockert. Abends, wenn Licht nöthig ist, leget sie ihre Wolle und Nähzeug zusammen, deckt ihren Rahmen zu, nimmt den Keficht, macht mit dem besten Anstand eine Verbeugung, und geht durch die Thüre, die gleich neben ihrem Platz ist, in ihr Schlafzimmer, wo sie lauter ernsthafte Bücher list. – So lebt sie schon zwanzig Jahre von ein und vierzigen, die sie alt ist, hatte immer das beste Herz und einst viel Feuer. Sie arbeitet sehr schön und unglaublich viel, da sie durch nichts zerstreut wird und alle Tage wenigstens acht Stunden fleißig näht. Und da sie nun lauter Muster nach heutigem Geschmack nimmt, so verkauft sie es auch sehr gut und sammlet das Geld für sich. Sie zog beynah all meine Aufmerksamkeit auf sich und erinnerte mich an Henrietten von Essen. – Die Aelteste ist etwas klein, und wie man hier sagt, untersetzt; aber lauter[249] Thätigkeit, Güte, Einsicht und Kenntnisse von Sachen und Menschen; sagt immer, was sie denkt und beweist nebst ihrer jüngern Schwester, wie schätzbar unverheyrathetes Frauenzimmer für die Gesellschaft werden kann, wenn sie in ihren blühenden Jahren das Zeugniß der Tugend und in ihren erlebten Tagen den Ruf der Klugheit und einen angenehmen Umgang haben. – Sie sind nicht reich, haben nach dem Tod ihrer Eltern alles zu Gelde gemacht, und nur die Einrichtung des großen Saals und das Nöthige für die Küche und ihre Schlafzimmer behalten. Eine alte, treue Magd kauft ein, kocht, und ißt mit ihnen. eben so wie sie selbst; denn niemals geben sie Andern zu essen. Aber alle Tage findet man bald große, bald kleine Gesellschaft bey ihnen. – Ihre Eltern waren rechtschafne Leute deren Bekannte noch den Töchtern Freundschaft fort bewiesen, und ihre Kinder auch zu ihnen führten. – Die jungen Leute, welche da Munterkeit, Güte, und Gefälligkeit, – die Eltern aber Vernunft mit wahrer Tugend und Freundschaft antrafen, gewöhnten sich beyde hin. – Sie helfen zu der Erziehung; denn oft bitten Väter und Mütter eine von[250] den Schwestern den jungen Leuten diese oder jene Ermahnung zu geben. – Es steht ein Klavier im Saal, – eine Violine und Baßetchen ist auch da. Keine versteht Musik; aber wenn jemand hinkommt, der sich damit unterhalten will so hat er gleich alles. – Oft tanzen und singen Söhne und Töchter, während die Eltern sich mit reden unterhalten, oder im Brettspielen. – Ein kleines Billiard und Volaute sind auch da Wochenschriften, Gedichte, der französische Merkur, Varrentraps Handbuch, ein öconomisches und historisches Wörterbuch. Tißots Anleitung für das Landvolk, und eine Götterlehre der Alten sind in einem offenen Eckichrang beysammen – und dieses giebt immer dem Stoff der Unterhaltung ein neues Leben. – Man bat den ganzen Nachmittag Freyheit, zu kommen und zu gehen, wie man will. – Immer findet man vernünftige und rechtschaffene Leute da. Der Hausherr und seine Frau sind es recht sehr. Diese haben den Hauszins vermindert, um die schätzbaren Personen bey sich zu behalten. – Vorzügliche Männer kommen hin, – oft erst nachdem sie zu Nacht gespeist und bleiben bis zehn Uhr. Die zwey Schwestern empfingen[251] mich sehr höflich und nannten mich neue Nachbarinn. – Aber immer, während die Eine mit mir sprach, horchte und beobachtete die Andre. Die Aeltere sagte mir:

»Madame G**, hat Ihnen gewiß Gutes von uns gesagt; – wie wir von Ihnen gehört haben. Ich weiß, setzte sie munter hinzu, – daß Sie viele Freude an Bildern von römischen und griechischen Alterthümern haben. – Lassen Sie sich das Altdeutsche Ihrer guten Nachbarinnen auch gefallen. Sie werden unsre Gemüther und unsre Gedanken sehen, wie die Stiche da, in meinem Großvaterstuhl. – Viel Dienste kann ich Ihnen nicht anbieten, ausser den, Ihnen zu sagen, was gescheute Leute an Ihnen loben und tadeln. – Dies ist recht nützlich, mein Schatz, von ehrliebenden Menschen zu hören; besser als von kleinen Gezeug, das um Sie herum kriechen wird, so bald man Sie in Ansehen und Wohlstand erblickt. – Hüten Sie sich immer vor Kriechern; sie haben alle was Ungezieferartiges an sich und bringen was Kleines an, weil sie die Lücken und Ritzen der Schwachheiten des Charakters aufsuchen und zu finden wissen und dort ihre Schmeicheleyen,[252] Erzählungen und Angaben hinlegen, wie Insekten ihre Brut; wodurch oft das herrlichste Geschöpf, wie schönes Geräthe besudelt, verdorben und unbrauchbar gemacht wird. – Verzeihen Sie; – aber Sie gefallen mir und ich mußte das Nöthigste gleich sagen.« ––

Der Ton, mit dem sie sprach, gefiel mir ungemein. Es ist in der That glücklich, eine redliche und vernünftige Person auf seiner Seite zu haben, die uns von unserm Guten und unsern Fehlern Nachricht giebt. Ich will auch die elende, verkehrte Eigenliebe nicht haben, die sogleich aufgebracht ist, wenn man nur von ferne etwas von einer Unvollkommenheit mit uns spricht. – Ich dankte meiner würdigen Nachbarin für ihre Warnung vor den Kriechern und bat sie, Wort zu halten und mich treulich von Allem zu unterrichten, was mich anginge, – sie versprach es mir freundlich, – um so mehr, sagte sie, – »da ich ja ungebeten davon angefangen habe. Ich geh immer meinen gewohnten Gang gerade fort. Ich habe freylich Einigen durch die Anzeige ihrer Versehen mißfallen: auch deswegen, weil ich die Leute nicht nannte,[253] die mir davon gesagt hatten. Ich merkte da wohl, daß sie begieriger waren, sich an ihren Tadlern zu rächen, als sich zu bessern. Da sagte ich den jungen Leuten, daß ich dieses in ihrem Gemüth sähe; es wäre unbillig und unvernünftig; denn von ihrem Sprach- und Tanzmeister nähmen sie Erinnerungen an, und von einer Freundinn nicht. Den ältern Personen weise ich ein erstauntes Gesicht über den Wahn von Vollkommenheit und daß Jahre und Erfahrung ihnen weder den Werth der Freundschaft, noch der Wahrheit gelehrt haben. – Sind sie bös und bleiben weg: so bedaure ich sie. – Aber die Meisten sind wieder gekommen und scheinen mit mir zufrieden.«

Nachdem fragte sie mich, was ich wohl bey dem Eintritt in ihr Zimmer von den alten Zierräthen und alten Gesichtern gedacht hätte? ––

»Es ist mir ungewöhnlich, aber nicht unangenehm und nicht geringschätzig gewesen.« ––

»Das ist gut,« sagte sie. – »Ich dachte, nach ihrem Gesicht und ihrer Kleidung, daß eine verständige Gutartigkeit in Ihnen sey.« –[254]

»Ich bin froh, daß dies in meinem Gesicht steht. – Aber daß meine Kleidung davon zeugte, kann ich nicht denken.« ––

»O, Kleider sind redender, als wir glauben. Sie haben viel Einfluß auf unsern Charakter und zeigen eine Hauptseite von ihm an. Der Grundzug unsrer Seele geht durch alles, färbt alles, – nicht nur die Liebe, den Haß, Zorn, Freude und Traurigkeit; – nein, auch unsern Geschmack, Redensarten, alles. – Sehn Sie meine melancholische Schwester. Sie hat sich von allem loßgemacht, was auf andre Menschen würkt. Aber, da sie, vor dieser Aenderung ihres Gemüths, edel und gut war: so ist sie es noch. Sehen Sie sie an, – ist ihr Anzug nicht redend? und der Meinige? fuhr sie fort; – riefen nicht die Form meiner Haube, die Falten meines Rocks Ihnen zu: da ist jemand, der sich nicht scheut, den Meynungen der Andern gerad entgegen zu geben und immer gleich seine Gesinnungen zu zeigen, mit so einfachem Wesen, wie die Leinwand an meinen Manschetten, und unbebrämt, wie mein Rock.« ––[255]

Ich versicherte sie, daß mir ihre Art recht wohl gefiele. Die Zeit würde sie überzeugen.

Die Gesellschaft war groß, In den Fenstern, die sehr niedrig sind, stehen Bänke; da sitzen meist die jungen Frauenzimmer und arbeiten, weil sie zugleich die Aussicht des Gartens geniessen, der aus lauter Alleen und Grasplätzen besteht, in denen der Besitzer einen seltnen Gedanken zeigt, nehmlich alle Arten von Blumen zerstreut hinein zu pflanzen und hingegen gewöhnliche Wiesenblumen, in Beeten und Töpfen zu ziehen. Es ist in der That schön Hyacinthen, Tulpen, Nelken mitten im Grase zu sehen, und es reiset seit vier Jahren kein Fremder durch, der nicht deswegen in den Garten kommt und begierig ist –– »den närrischen Menschen zu sehen«, sagte der Hausherr, »der die Gärtnerart so umkehrte. – Dann staunen sie, – mich mit gesunder Vernunft reden zu hören und ich freue mich, einer anscheinenden Thorheit das Vergnügen zu danken, viele schätzbare Menschen mehr zu kennen und ihnen einen kleinen unschuldigen Spaß in dem Weg gelegt zu haben.« ––[256]

Die ältere Jungfer Bogen, wie sie sich nennet, bemerkte einen kleinen Streit unter den jungen Frauenzimmern und Herrn. –– Frau G** war auch darein gemengt. – Wir näherten uns, und hörten, daß es über eine abwesende Schönheit sey; – und Mannspersonen fragten, woher es komme, daß Frauenzimmer eine fremde Schöne mehr lobten und besser von ihr sprächen, als von einer, die unter ihnen wohnte? –– »O, Jungfer Bogen!« – riefen die Mädchen: –– »Sie müssen den Knoten auflösen.«

»Das ist leicht, meine Kinder. – Es ist die nehmliche Ursache, aus welcher die Männer nur verstorbenen Gelehrten eine Lobrede halten.« – Da war Freude bey dem Frauenzimmer und die Männer lächelten auch über den Ausspruch. – Der ganze Nachmittag und Abend ging vergnügt vorüber. –

Die Bogenschen Schwestern wollten niemals mehr, als die Anschaffung eines Thee, Caffee, einer Limonade, oder eines Obstes bey sich erlauben, und sie haben Recht. Bey ihrer einzigen Magd und erlebten Jahren wäre es zu unruhig – »und dann,« sagte Carolina Bogen, »verlöhr ich den größten Werth meines[257] Hauses, worinn junge Leute lernen sollen, oft ohne Essen und Naschen, bloß durch nützliche, muntre Gespräche und anständigen Zeitvertreib, einige glückliche Stunden hinzubringen. –– Was anderswo geschieht, geht uns nichts an. – Aber bey uns ändern wir nicht.« ––

Es wär auch Jammer und Schade, Mariane, denn die Zeit in diesem Saal geht herrlich vorbey, und die Schwestern sind wir sehr ehrwürdig. – Wenn jemand Trost braucht, Rath, und Gelegenheit einen Freund zu finden, eine Aussöhnung zu veranstalten: so geht man zu Bogens. – Söhne und Töchter suchen ihre Vorsprache bey den Eltern. Sie warnen die jungen Leute, machen sie ihre Pflichten lieben und erhalten dabey in ihnen einen vaterländischen Geist und Sitte, das mich etwas sehr Wohlthätiges dünkt. Die Mädchen bleiben auch durch sie auf dem Mittelwege der Moden und äffen nicht so gleich alles nach, sondern nur, was ihnen recht wohl steht; – und das ist billig. Denn so lange wir keine Nationaltracht haben, müssen wir wohl den Abänderungen folgen, die in der französischen Kleidung, nicht allein von[258] den Leichtsinn dieser Nation, sondern auch von ihrer politischen Vorsorge für den Fortgang ihrer Fabriken herrührt. – Mode – ist bey ihnen Grundlage des Wohls von vielen Tausenden geworden; Mode – die Triebfeder zu Anstrengung des Geistes in tausendfachen Erfindungen und Arbeiten; und noch, mein Schatz, dünkt es mich der Frage werth zu seyn, ob man nicht auch das Vergnügen mit berechnen soll, das so viele tausend Menschen haben, nach der Mode gekleidet zu seyn. – Kleider müssen wir haben. Wenn wir nun mit dem Bedürfniß Freude verbinden können: warum sollen wir es nicht thun? – –

Sehen Sie, das war ein Stück, so ich zur Unterredung lieferte und man war damit zufrieden. Man tadelte nur die wenige Solidität, welche alle die schönen Modesachen haben. Da kamen die Gedanken, daß artig und gründlich nicht zusammen tauge – Aber artig und leicht, schön und gründlich, – dies Aussuchen und Gegeneinanderhalten des Werths und der Schicklichkeit der Ausdrücke, nahm einen guten Theil Zeit hin. – Man sprach noch von der Mahlerey, und die Franzosen wurden auch des Leichtsinns beschuldigt,[259] daß sie die Pastellgemählde so hoch schätzten, die gar keine Dauer hätten. – Der Schade wäre aber auch leicht ersetzt, sagte jemand, und es wäre zu wünschen, daß es noch mehr pastellartige Sachen unter denen gäbe, die aus Bosheit, Eigensinn, Dumheit und Eigenliebe verdorben und zu Grunde gerichtet würden, damit jedem Uebel durch eine geschickte und leichte Hand bald abgeholfen werden könnte.

»Nein, das wollt ich nicht,« sagte die Bogen, »da verlöre das Gute selbst seine Natur der Dauer und Gründlichkeit und es fänden sich Leute, die sich Böses und Schaden thun zum täglichen Spielwerk machten; das wäre ja noch ärger als wenn eine heftige Leidenschaft uns dazu bringt, dem Nächsten zu schaden und ihn zu betrüben; wobey man noch hoffen kann, es werde dem Menschen in seinem Leben nicht mehr widerfahren, so weit zu gehen.« – –

»Sie haben Recht,« fiel einer von den Männern ein. –– »Ich will lieber Einem verzeihen, der mir in der Wuth des Zorns einen Degenstich gibt, als dem, der mich hundertmal mit Lächeln den näckenden[260] Schmerz des Rizens mit einer Nadel fühlen liesse. Der Erste ist ein bessrer Mensch, als der Lezte.«

»Das ist wahr,« – sagte ein Dritter, »denn tausendmal wird Einer, der den Degen gegen seinen Nächsten zog und ihn beschädigte, sich hinwerfen, Reue fühlen, Jammer selbst leiden – bevor Derjenige es einmal bedauert, der mich durch Zungenstiche, feiner, lächelnder Gedanken gekränkt, oder gar den Grund meines Unglücks gelegt hat.« –– »Auch,« – wurde wieder gesagt, »vergibt man eher dem, der uns haßt, als dem, der unser spottet.« ––

Madame G**, die immer die Lust und Geschicklichkeit hat, eine Unterredung, wenn sie ihr zu ernsthaft wird, ins Muntre zurück zu führen, fing an: »Da bin ich Euch allen recht gram, daß Ihr von den Pastellgemählden auf alle die fürchterlichen Ideen gekommen seyd. – Ich hatte so was Artiges zu sagen; – und nun muß ich es ungenuzt nach Hause tragen, und verliehr es vielleicht gar unter Wegs.« – Nun waren wir alle mit Bitten da, sie möchte es noch sagen; wir wolten es aufheben. – Es dauerte lange,[261] eh sie heraus kam. – »Nun, ich denke, ein Theil Frauenzimmer in Frankreich schützet die Pastellmahlerey, weil sie meistens selbst lauter solche Gemählde vorstellen.« ––

Sagen Sie, Mariane, sind nicht die Tage, die man mit diesen Frauenzimmern verlebt, glückliche, angenehme Tage? Ich will sie auch recht benutzen, –– so wie Julie Otten es verspricht, wenn sie nun auch in ihrem neuen Hause, nicht weit von dem Meinigen, wohnen wird. – Bin ich nicht ein gesegnetes Geschöpf, durch die Bekanntschaft mit so viel guten Menschen? – Ich will auch, aus Dankbarkeit gegen die Vorsicht, bemüht seyn, eins von den besten Menschenkindern zu werden.[262]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797, S. 246-263.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon