Fünf und achzigster Brief

Cleberg an seinen Freund.

[337] Ihr kleines, ungeduldiges Blättchen an mich beweist, daß ich Recht hatte zu vermuthen, Antua müße von dem Charakter dieser van Guden am meisten eingenommen werden, besonders auch von ihrem Gang auf den Berg. Da haben Sie die übrigen Briefe von ihr selbst und die Abschrift derer, welche Rosalia an eine ihrer Freundinnen schrieb, wo ich nichts zusetzen kann, als daß alles so da ist, wie meine Schwärmerinn es mahlt; – die Gegend, Menschen und Sachen um sie herum. – Ich war gewiß eben so begierig, als meine Frau selbst es seyn konnte, den Wollinghof, den ich gern Liebehof nennte, zu sehen. Als wir um die Buchbäume uns gegen das Haus wandten, wurde ich wahrlich in Staunen gesetzt, indem es gleichsam der Aufzug des Vorhangs in einer Oper war. Denn so ein Haus, in der würklichen Welt, ist Traumgesicht, bis man mir seinen fünf Sinnen darinnen herumwandelt,[337] ißt, schläft, schwatzt und wohnt. Sie haben es mit Bedacht so versteckt gehalten, um bey denen, die es sehen konnten, das Gefühl, über sein sonderbar Angenehmes nicht abzunutzen, die Leute nicht hinzulocken und ihren Kindern die Unterstützung ihres Charakters, ihrer Tugend und ihres Glücks nicht zu rauben, die einen großen Theil ihrer Stärke, dieser Einsamkeit und dieser, von allen Verhältnissen der Gesetze und Gewohnheiten abgeschnittnen Lage schuldig sind. ––

In der, von Rosalien angezeigten, von künstlichen und natürlichen Blättern durchflochtnen Laube, saßen die zwey Weiber und Kinder. Wolling ging herum; ein schöner, schlanker Mann, hager, aber die edelste Bildung, und der Blick eines Feuervollen, durchdringenden Auges, ein feiner Mund, Gang und Stellung voll Entschlossenheit, der beynah an Trotz gränzte, wenn nicht die vortreflichste Männliche Seele den Zügel hielte Was würde dieser Mann in einem grossen Würkungskreise gethan haben, mit all der Kraft zu tragen, zu kämpfen und zu handeln! – Aber sagen Sie, ist es nicht toll, daß wir ein Stück Gold nicht eher ganz in seinem Werth glauben,[338] als es nachdem durch Kunst verarbeitet ist, oder das Gepräge von Bild und Aufschrift eines Fürsten trägt? – Bin ich nicht bey diesem Manne, was Europäer bey den Indianern waren, als sie diese ihr Gold zu Gefässen ihres täglichen, kümmerlichen Essens verbrauchen sahen? Unglück tragen, Weib und Kinder nähren und schützen, ist das nicht gute Verwendung des Verstandes und der Kräfte des Lebens, in den Augen der Gottheit und des Weisen?

Dieser Mann da, half Rosalien aus dem Wagen. Frau van Guden war herbey geeilt und sie umfaßten sich, mit wahrer Ergiessung der Seele in Liebe und Freude. Ich stand und betrachtete das Weib, nach welcher Rosalia geseufzt und mich neugierig gemacht hatte. Eine, über mitlere Größe erhabene, ganz regelmäßige Gestalt, mit einer unwiderstehlichen Anmuth umgeben; denn alles hat den Charakter der Liebe, des Wohlwollens und Verstands voll Güte. – Die Art wie sie Rosalien umschlang, ihren Kopf an sie legte, sie küßte, war der schönste Ausdruck der reinsten, edelsten Zärtlichkeit. Eine feine Röthe bezog ihr Gesicht, als ich ihr vorgestellt wurde und sie ohne Zweifel in meinem Blick etwas von[339] dem sah, was ich von ihr dachte. Ohne Schönheit sind all ihre Züge äusserst reitzend, ihr Auge voll Würde und Bescheidenheit, ihre Kleidung von Ostindischen, schmalgestreiften Leinen, nett passend, weiße Schürze, ein Strohhuth mit blauem Band, und ein großes weißes Halstuch. – Frau Wolling, ein feines, schmächtiges Weibchen. Groß genug und schön wäre sie, wenn bey ihrem herrlichen blauen Auge, ihre Gesichtsfarbe noch weiß wäre. Diese hatte violet und weißes Landleinen, aber auch die weiße Schürze und den Huth. – Die liebsten Kinder um sie, waren in blau und weißen, kurzen Kleidchen, die Haare nach englischer Art geschnitten, immer die Schürze weiß, bis auf die Mägde. – Ein Säugling an der Brust, hinderte Frau Wolling bey unsrer Ankunft aufzustehen weil sie der Gewohnheit keine Pflicht opfert. Ein Knabe von zehn Jahren, ganz Vater, Wollings Züge, munter und wahr, hatte einen grauen Frack, wie der Vater und ging gleich zur Kutsche und dem Kutscher. – Lottchen von acht Jahren, blieb aber bey dem mit Milch, Obst und Blumen bestellten Tisch, wo sie bald uns ansah, bald wieder etwas an den Blumen[340] zurecht machte, die in einem Körbchen da standen. – Eine kleinere, holde Figur ging aussen herum und trug ganz geschäftig, wie kleine Mädchen sind, etwas auf ihrem Aermchen, wie die Mutter den Säugling hielt. Ein Knabe von drey Jahren kam, mit einem kleinen Schubkarren voll Sand, über den Weg her, stutzte, da er uns erblickte, ließ den Karren stehen und lief seinem Vater zu; wies auf uns und fragte ihn um Alles. Wolling hob ihn mit der Vatergüte auf, und trug ihn meinem Wagen zu, der den Kleinen am meisten anzog. Die Pferde fand er gleich nicht so schön, als die Braunen des Vaters, weil diese da so garstige Flecken hatten; denn ich war mit einem Lohnkutscher gekommen, der vier Schecken angespannt hatte. ––

Rosalia hat Recht; ich wurde über die Stellung entzückt, in welcher ich die drey Weiber sah, als ich, nach Einführung meines Wagens, mit Wolling zurück kam. Eine Kupfersammlung von all den Auftritten möchte ich haben, welche diese van Guden, schon veranlaßt und vorgestellt hat. – Das Gespräch, das Haus und Abendessen war, wie Sie in Rosaliens Briefe lesen werden, mit all dem[341] übereinstimmend. Mir war diese Verwebung der Kunst mit Einfalt und Natur, Bauerhof, Bauerarbeit, der Ton voll Kenntnisse und seiner Empfindung, feine Sitten und Freymüthigkeit, die Stille im Wald, in dem Aeussern des Hauses, die sanfte Fröhlichkeit und Thätigkeit der Leute im Innern –– Erscheinung, an die ich mich in den ersten zwey Tagen, nicht gewöhnen konnte. Indessen zog mich Alles mit sich weg. Ich hätte die leere Hütte einnehmen mögen, die Wolling ehmals bewohnte. Wie lang ich es da gedauert haben würde, weiß ich nicht; aber ich fühle noch deutlich, wie verschieden die Bewegung meiner Seele ist, wenn ich mir Höfe und Palläste zurück rufe, die ich auf meinen Reisen gesehen und dann die zehn Tage, in Wollinghof verlebt, und die Menschen und den Berg, ihre Sitten, Freuden, Arbeiten und Abendgespräche mir denke. – Ich ging einen Morgen mit Rosalien allein herum, und las mit ihr, auf jedem Platz, von dem die van Guden schrieb, die Scene, die ihre Feder bezeichnet hatte; ihre Kämmerchen zwischen den alten Mauern, die mit Papier überklebt sind und wechselweis einzelne Stücke vom alten Rom,[342] von Neapel. Englische, und hiesige Gegenden und Aussichten zur Zierde haben; – oder bald sie, bald Pindorf, der Glückliche, immer in schönen Stellungen abgebildet sind, und in diesen immer die Züge edler Gedanken, edler Gefühle der Seele so deutlich liegen. So, werden nicht viele Männer geliebt, und solche Weiber sind auch selten. Sehen muß ich ihn einst, diesen Pindorf. Ich habe was wider ihn. So bildhauerisch schön seine Gestalt ist, so glaube ich etwas darinn zu erblicken, das einen Grad Biegsamkeit andeutet, die durch das Geringste hervorgebracht werden kann. – Sicher bin ich, niemals wär er Wolling gewesen. – – Nachdem ich Alles kannte und wußte, so wollte ich auch versuchen, auf was für einer Seite sich die van Guden einem Manne zeigen würde, der ihr freymüthige Fragen vorlegen, und Betrachtungen machen könnte. – Wenn ich nicht mit Fleiß meine Unterredung mit Lobsprüchen angefangen hätte, so würde ich aus aller Fassung gekommen seyn, da sie mir mit feinem Lächeln zugehört hatte und endlich sagte: »Ich bemerke ganz deutlich, daß alle die ausserordentlich schönen Sachen, die Sie mir, über mich und unsern Berg sagen,[343] nichts als der Eingang von einer Unterredung sind, in der Sie mich, durch sich selbst kennen lernen möchten. Ich bin gar nicht darüber erstaunt und noch weniger böse. – Mein ganzes Wesen und Thun hat eine so eigne Farbe, daß man natürlicher Weise auf die Mischung begierig ist, aus denen sie besteht. – Sie haben mir, nach der eingeführten Artigkeit unter Euch jungen Männern, auch von meiner Person gesprochen. Ich weiß daß ich, ohne Schönheit, was sehr Gefälliges habe, und daß meine Art mich zu kleiden, und mein Bezeigen, dieses Gefällige noch vermehrt; besonders wenn mein Klavierspiel, meine Stimme, mein Tanzen, oder Bleystift mit dabey erscheinen. Denn welcher Mann von Geist ist nicht zufrieden, wenn er bey einer solchen Figur und Talenten, auch ein Maaß Kenntnisse antrift, das ihm verspricht: – ›Hier kanst du vom Leichten und Starken sprechen, Du wirst gehört und verstanden seyn.‹ –– Freygebigkeit, Güte und Freundlichkeit, die mir der Himmel zu meinem so großen Vermögen gab; alles dies hätte mir gewiß immer Freunde erworben, und mir Ehre und[344] Achtung zugezogen; so daß mich kein Mangel irgend einer erkannten Glückseligkeit in diese Einöde führte, sondern, wie ich glaube, der eigentliche Gang der Triebfedern meiner Seele. Wie die Schläge unsers Herzens, den Umlauf des Bluts und Lebens befördern und erhalten, aber auf der andern Seite die Werkzeuge abnutzen und zu ihrer Trennung vorbereiten; –– so hat eben das, was auf einer Seite meiner Seele die Beharrlichkeit gab, so viel zu lernen, ganz zu wissen und an lauter Gutes und Edles mich zu heften, auch das seltsame Bild von Liebe in mir hervorgehracht, das ich seit so vielen Jahren in mir nähre und mit ihm lebe. – Liebe für einen Mann, oder von Euch Männern für eine Frau, ist ein Tribut, den die Ratur uns Allen auflegt. –– Ich lernte Herrn von Pindorf just in der Zeit seines und meines Lebens kennen, da in uns beyden der selige, moralische Enthusiasmus für alles Schöne und Große glühte. Wie hätt er sonst, mit all der Liebe für mich, die Stärke gehabt, das gegebne Versprechen seiner Hand zu erfüllen? – Wo hätt ich die hergenommen, niemals mich zu vergessen, niemals[345] mit ihm allein zu seyn? – Glücklich genug, wie eine edle Griechinn in Plato's Gastmahl sagt, daß wir uns sahen, sprachen, die nehmliche Luft athmeten und gleichgestimmt, alles bemerkten und betrachteten. – Sagen Sie mir, was anders als eine gleiche Erhöhung der Seele, ließ mich in ihm die Vollziehung seiner schon lange bestimmten Heyrath verehren? – Und ihn mit Segen an den Mann denken, dessen Eigenthum ich einst werden sollte? – Ich will glauben, daß es Schwärmerey unsrer glühenden Einbildungskraft war; aber es war auch das seligste Gefühl meines ganzen Lebens. Der Verlust seiner Person, seines Anblicks und seiner Unterredungen, schmerzte mich nicht so zerreissend, als da ich ihn wieder sah, und weniger Edel, weniger Groß, sein Betragen in einigen Theilen seines Lebens der hohen Würde seines Herzens und seiner Seele nicht gemäß zu seyn dachte. Ach, da! – da verlohr ich ihn; da riß ein feindseliger Geist alles Glück aus meinem Leben! Wer sollte mich schadlos halten? –– Ein anderer Mann? –– Man glaubt nicht zweymal, was ich glaubte; – man liebt nicht zweymal,[346] wie ich liebte. – Und sagen Sie, war es möglich daß ich, mit diesem Ton des Charakters, mich tröstete, wie Andre sich trösteten? – Ich bätte die Grundlage meines innersten ganzen Wesens ändern müssen. Konnt ich das thun? oder vielmehr, konnt ich das wollen? – Ich war in umgekehrten Zustande des Pigmalion. Das schöne Meisterstück seiner Hände wurde belebt und er höchst selig. Mir wurde der Geliebte meines Herzens zu einem unbeselten Bilde, dessen Züge mich immer an jede Tugend, an jede angebetete Eigenschaft erinnerten und mich thränend an dem Fußgestell niedersinken machten. Ich hatte ihn nicht mehr; – aber meine Liebe war noch in mir, und dieses Geschöpf meiner Seele, das so viel süsse Stunden so viel Schmerzen mir gegeben batte, dieses hätte ich ohne Ersatz vernichten sollen? Pindorf ist für mich todt, mein Herz trägt Trauer um ihn; aber ich, ich liebe alles, wo er war, wo er ging, lebte und handelte. –– Die Zeit, die Ableitung, welche meine Zärtlichkeit schon in der Vorstadt von S**, dann bey Pindorfs Kindern, und endlich hier erlitte, haben dem Ganzen eine sanfte Wendung[347] gegeben. Ich war einst für mich glücklich; nun bin ich nützlich geworden und glaube also, meine Bestimmung erfüllt zu haben. Freylich nicht auf dem allgemein vorgeschriebnen Weg, aber vielleicht ist es ein schöner Fußpfad der die Wenigen, die ihn kennen früher zum wahren Glück des Lebens führt.« ––

Nun hielt sie inne. Ich konnte, voll von Bewunderung und Liebe, nicht reden. Aber es war sonderbare Liebe, wie für ein großes Weib aus der alten Geschichte, oder für eine theure Mutter oder Schwester. Aber heilig war mir der Hain. Wir saßen während dem Gespräch auf einem Stück Felsen, mit Moos und Blümchen bewachsen, eine kleine Waldwiese von einem Viertelmorgen vor uns; rings um hohe Bäume – nur floß zu unsern Füssen eine von den Ableitungen des Teichwassers, welche der junge Zimmermann zum Nutze von Wollinghof angelegt hat. Wipfel und Aeste von großen Eichen hingen über die Wiese gegen der Buche zu, an der unser Fels lag. der vor Jahrhunderten schon vom obern Berg abgefallen seyn mag. – Nach einigen Schweigen fragte sie, ob ich noch etwas von ihr wissen wollte?[348]

»Sie sind ein und dreyßig Jahr alt; glauben Sie immer zufrieden auf diesem Wege zu bleiben? ––

Ja! weil weder meine Liebe, noch meine Einbildungskraft jemals versiegen wird, und weil ich mir von Allem, was ich in der Welt von Menschen und Sachen kenne, nichts denke, das meinen Idealen gleich kommt, die ich mir immer schaffe und ändre, je wie ein vollkommners Bild in meiner Seele entsteht. Ich will Ihnen Zeichnung davon, und auch Aufsätze weisen. – Ich bin zufrieden mit Schicksal und Menschen. Meine Wollinge sind mir alles; denen will ich helfen ihre Kinder erziehen, und des Beamten seine unterstützen. – Der junge Mooß wird einer der herrlichsten Schwarzkünstler werden und ich schicke ihn nach England, da soll er an Reynolds, Wests und der Angelika Gestalten, Ausdruck, und Gruppen, Geschmack und Kraft einsaugen. Deswegen lehre ich ihm auch die englische Sprache. – Meine Mela muß auch noch ausgebildet und glücklich werden. – In Wollings Kindern hat der Kummer der leidenden Liebe, schon von dem Augenblick ihres Entstehens an, den[349] Zung ihres Denkens und Gefühls gestimmt. Ich müßte mich sehr betrügen, wenn ihr Fortwachsen und Erziehen mir nicht viele Freude geben sollte.« ––

»Aber, theure Madame Guden; bedenken Sie, wie unendlich viel Gutes mehr Sie thun könnten, wenn Sie, in unsrer Stadt den gewohnten Ton der Leute würden umzustimmen suchen.« – –

»Ich! eine Stadt umzustimmen suchen? Ey, Herr Cleberg! entweder haben Sie in diesem Augenblick nicht mit Ihren Geist gedacht, oder Sie begegnen mir nicht mit der freundschaftlichen Achtung, die ich verdiene.« –

Ich bat sie um Vergebung und versicherte sie von der Ueberzeugung, die ich hätte, daß eine Frau von ihrem Verstand und ihrer Güte, vieles zu der gesellschaftlichen Verbesserung beytragen könne; und ob sie nicht den Beweis in der Vorstadt von S** erhalten habe? –

»An ungekünstelten Menschen, wie diese waren, und die nur Ein Bedürfniß fühlten, dem ich gleich abhalf ja, da konnt ich was ausrichten, und das meistens auch, weil ich sorgfältig meine Wohlthaten mit der Arbeitsamkeit verband. Denn fleißige Menschen[350] haben immer viel Gutes voraus. Aber, wer fühlt sittliche Bedürfnisse so stark, daß er gleich an jemands Hand sich anheftet, die ihn auf beßern Wege leiten will? – Der Wahn war in mir, nicht zu bessern, aber glücklicher zu machen; – schon lange habe ich ihn verlohren. Feine, artige Weltleute machten mich und meinen Charakter lächerlich, und ich will sehen, was der noch Gutes thun will, der einmal lächerlich wurde. Philosophische Männerköpfe, die ich unendlich schäzte, was für Rückgabe erhielt ich davon! – Aber Ihr Männer behandelt oft euch selbst, über Verschiedenheit der Ideen und Begriffe, so unbillig, unhöflich und bös, daß ich sehr Unrecht hätte, einzelne Klagen eines Weibes so laut zu erheben. Aber, sehr Unrecht hätt ich auch mich willkührlich unangenehmen Begegnissen auszusetzen die nichts nutzen würden; besonders da ich noch so fest an meinen eignen Empfindungen und der Art hänge, womit ich die Sachen und Menschen betrachte. Wenn Sie aufrichtig seyn wollen, so müssen Sie nach der großen Weltkenntniß, die Ihre Reisen und Geschäfte Ihnen gegeben haben, gerade zu eingestehen, daß die[351] Stimmung meiner Seele allein zu Leuten taugt, die aus dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und Verhältnisse herausgeworfen worden sind, wie meine Wollinge da! – Ich hörte einst in einer Gesellschaft einen Gelehrten behaupten, daß alles, was möglich sey, einmal da seyn müßte; es sey im Guten und Bösen, Klugen und Thörichten unsrer Physischen und moralischen Welt. – Ich glaube, wenn wir alte und neue Begebenheiten nach diesem Satz beurtheilen, daß er so ziemlich wahr zu seyn scheint. – Denken Sie also, da mein Charakter, Umstände und Vermögen zusammen trafen, und ich just auch diese Familie finden mußte, daß es so Recht sey, und lassen Sie mich Sie als einen Mann finden, der die Sachen ansieht und beurtheilt, wie sie sind, ohne Alles aus seinem Verhältniß auszuheben. Man nennt die Welt so oft eine Komödie, wo jedes von uns eine Rolle bat. Lassen Sie mich die meinige fortspielen. In Ihrer Stadt wär ich nichts als eine Person mehr; meinen Wollingen bin ich Alles. So bald ich aber dieser Familie weniger senn, oder als lästige Erinnerung meiner Wohlthaten erscheinen werde:[352] so gehe ich weg, und komme zu Ihnen und Rosalien.« ––

Freund! wissen Sie was gegen all dieses einzuwenden, so sagen Sie es. Ich wußte nichts, als daß ich meinen Männerkopf noch gegen den ihrigen, in der Frage setzte:

»Aber wenn Sie Herrn von Pindorf einmal sehen, was thun Sie da?« ––

»Ich sah diese Frage schon lang in Ihnen,« sagte sie. – »Vergeben Sie, wenn ich sie nicht beantworte; theils, weil ich ja nicht weiß, wenn, wie, oder in was für einer Gemüthsverfassung er, oder ich dann seyn werde, theils auch, weil diese Frage das Heiligthum meines Herzens angeht.«

Ich erkannte, daß sie Recht hatte und sagte ihr dann, daß sie mich überzeuge, was für herrliche Früchte eine starke Leidenschaft in einem edlen Herzen hervorbringe, besonders wenn das Schicksal Unabhängigkeit, Gewalt, oder Reichthum dazu lege. ––

»Ach, wie wahr ist dieses!« sagte sie nach einigent Schweigen, »meine Leidenichaft für Pindorf stärkte den Ton meiner Seele, die das Gute schon liebte, aber ich wollte seine. Hochachtung immer verdienen; ich wollte[353] daß er auch von Andern immer Gutes und Edles von mir rühmen hörte und, o was machte ich für Entwürfe für ihn, für die Aussichten, die er zu seinen Beschäftigungen hatte! Ich wollte jede große Anlage seines Geistes zur übenden Vollkommenheit erhöhen, in jeder Gelegenheit die ausgezeichnete Würde seines Charakters bestärken, er sollte der Gegenstand der allgemeinen Verehrung werden. – Aber dieses Glück war mir nicht vorbehalten! Andre haben es. – Mögen sie es zu seinem Ruhm geniessen«

Ich sagte ihr hierauf meinen Lebensplan. Sie fand ihn gut. reichte mir, mit Rührung und Würde in ihrer Miene, die Hand. – »Erlauben Sie Ihrer neuen, aber wahren Freundinn die Bitte, fest, unbeweglich bey dem edlen Plan zu bleiben und ihn auszuführen; denn so Viele lieben und wollen das Gute, aber wenn es Arbeit und Beharrlichkeit erfordert: so lassen sie wieder ab – Sie haben auf ihrem Platz, fuhr sie fort, Niemand neben sich und nur Ihren Fürsten über Ihrem Haupt. Sonst bät ich Sie auch, an Allen Obern und Untergebenen unschädliche Fehler zu tragen, und auch von[354] den schädlichen niemals gegen Andre zu sprechen; Talente und Schwächen, die jeder hat, sorglich aufzusuchen, um die Eistern zum Dienst des Fürsten und gemeinen Besten zu gebrauchen und die Leztern zu schonen, damit Sie immer die Gewalt über ihren guten Willen behalten mögen.« – Ich sah sie hier mit vieler Aufmerksamkeit an: »Herr Cleberg! es sind keine Vorschriften, die ich einem Manne machen will, sondern wünsche, daß mein Freund den Nutzen aus Beobachtungen ziehe, die ich über kleine, aber bedenkliche Versehen andrer Männer machte.«

Denk einmal, Freund! ob Du dieses nicht brauchen kannst. Vor unserer Abreise gab sie uns noch einen schönen Tag, da sie das Abendessen im Walde veranstaltete wozu der Beamte von Mahnheim mit all seinen Kindern eingeladen wurde. Ich habe Ihnen schon oben geschrieben, wie der einsame Waldplatz aus sah, wo ich weine lange Unterredung mit van Guden hatte. – Dort war auf einem schmalen Grasplatz am Fuß eines hohen Stücks Felsen, – Milch, kalter Braten, Schinken, etwas Bäckerey und Wein aufgesetzt, um die Schüsseln herum im Grase[355] Blumen gestreut, an den Bäumen herum hingen Blumenkränze und ein, mit Bedacht ungleiches, Stück der Felsenwand war von Moos und Kräutern gereinigt, Rosaliens und mein Namenszug, sammt der Aufschrift: Clebergshayn, darein gegraben und mit grüner Oelfarbe ausgefüllt, – und von diesem Steine hing ein großes Blumengewinde bis auf den Grasplatz herunter. – Wir sangen da des unschäzbaren Claudius Waldserenate, die Wolling mit der Flöte, ein Paar Söhne des Herrn Mooß mit der Violine, und ich mit dem Baß begleitete. – Wahrlich, diesen Leuten kommt die Langemeile nicht nah. Aemsiges Arbeiten, wahrer Verstand, Güte und mäßiger Enthusiasmus für das Schöne verewigt ihr Glück. ––[356]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797, S. 337-357.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon