Drey und neunzigster Brief

Rosalia an Mariane S**.

[474] Ich bin seit vier Tagen allein. Ob ich schon von meinen Freunden und Bekanten mehr als sonst umgeben werde, so fühle ich doch, daß Cleberg, daß mein Oheim nicht da sind. Clebergs Abwesenheit macht mich einsam. O, ich liebe ihn, ich bin an ihn geheftet! – Gott sey Dank, daß mein langes Verwerfen und Wählen mich eine glückliche Verbindung finden ließ, mich, über mein Leben mit ihm, zu freuen; Schmerz über seine Abwesenheit, und Sehnsucht nach seiner Rückkunft zu fühlen! Ich habe noch dabey sichere Hofnung, daß er als ein noch edlerer Mann zurückkommen wird. –– Ich will Ihnen hier den Grund dazu schreiben. Mein Oheim hatte seit unsrer Zurückreise von C** öftere Unterredungen mit meinem Manne, über hundert Gegenstände, die sowohl den Fürsten, die Minister und die Räthe, als auch die Geschäfte und den Ton, in welchen sie geführt werden, angingen.[474] Manchmal war ich dabey, arbeitetete aber ruhig fort; doch freute michs innig, wenn ich meinen Cleberg Sachen sagen hörte, die den ganzen Beyfall meines Oheims erhielten, der ihn auf verschiedene Proben führte. – Zum Beyspiel: Es wäre wohl möglich, daß Cleberg einmal zu einem wichtigen Platz, und an den Hof berufen würde, wo er öfters den Fürsten, und täglich den Minister sehen, von vielen Leuten aufgesucht und beobachtet werden würde; – was wohl da sein Haupt- oder Grundplan wäre? –– »Rechtschaffenheit, unermüdeter Fleiß und undurchdringliche Verschlossenheit;« – antwortete er mit einem Gesicht und Ton voll Eifer.


»Die beyden erstern Eigenschaften kenn ich in Ihnen schon lange; aber, warum setzen Sie undurchdringliche Verschlossenheit dazu?«


»Weil ich an den Höfen, die ich sah, und an den Geschäftsführern, die ich beobachten konnte, so oft Ursach fand, zu glauben, daß ihr Ansehen und der gute Fortgang nützlicher Entwürfe, viel fester und gewisser gewesen seyn würden, wenn sie ihre Leidenschaften[475] und ihre Absichten verborgen gehalten hätten.« ––

»Es giebt aber Leidenschaften, die uns lieben oder fürchten machen; – und beyde weiß ein kluger Mann zu benutzen.« ––

»Nicht so gut, und nicht so lange, als er seine Gleichmüthigkeit benutzen wird. Denn durch unsre Leidenschaften werden Andre Meister über uns, und lenken sie, wie es ihr Eigennutz erfordert. – Und bey einem Manne, der nah an dem Fürsten ist, wird endlich die Furcht in Haß, und die Liebe in eine Vertraulichkeit verwandelt, die beyde das nothwendige Gewicht aufheben, und seiner Person und den Würkungen seiner Arbeiten schaden; so wie die Entdeckung seiner Absichten, bösartigen und neidischen Menschen den Anlaß giebt, das Beste zu verhindern, zu erschweren und zu untergraben.«

»Aber, wenn Sie so verschlossen sind, so wird sich auch niemand gegen Sie eröffnen; und das ist doch bey einem Manne, an dem Platze, wo ich Sie denke, eine sehr nöthige Sache.« ––

»Es wird einige Zeit dauern, bis ich Vertrauen habe. Aber wenn ich nun gegen[476] Alle gütig und höflich seyn werde von keinem nichts Nachtheiliges sage, und Jedem Gelegenheit gebe, sich gelten zu machen: Da soll mir schon Vertrauen zufliessen. – Behalten will ich es, indem ich niemals Jemand verrathen, oder in Verlegenheit bringen werde. Und dann, mein lieber Oheim,« fuhr er fort, »ob ich schon weis, daß man an Höfen weniger über Versäumniß seiner Pflichten, als über kleine Versäumnisse gegen gewisse Leute gestraft wird: so will ich Beydes verbinden, nichts Schädliches sagen, und nichts Ungerechtes thun.« ––

Mein Oheim faßte ihn bey der Hand, schüttelte sie freundlich, und sah ihm lächelnd ins Gesicht: »Lieber, junger Mann! wie schnell gingen Sie den Weg zur Größe der Seele, wenn diese schönen Vorsätze einst von Ihnen anhaltend ausgeführt würden!« ––

Andre Unterredungen müssen meinem Oheim noch besser gefallen haben, weil er endlich sagte: »Rosalia! Dein Cleberg hat mir die Freude gemacht, an ihm einen würdigen Gesellschafter zu einer Reise zu haben, die meinem Herzen angelegen ist. – Du mußt mir ihn acht Tage überlassen.« ––[477]

Sie denken wohl, daß ich nicht widerstrebte. Beyde reisten vergnügt ab, und heute früh erhielt ich einen Brief von Clebergen, von dem ich Ihnen das abschreiben will was Ihnen gefällig seyn kann: »Meine Reise ist eine reiche Erndte von Güte und Kenntnissen, die ich unserm Oheim verdanke. Nun weiß ich, wie es zuging, daß Du von Erde und Menschen so viel edle und richtige Begriffe sammletest. – Und weist Du, wohin ich reise? Ach, dahin, wo Du mit so viel Vergnügen warest, wo Du die Schweitzergebürge sahest, die so große Gefühle in Deiner Seele erweckten. – Morgen sind wir in Warthaußen; da soll ich Alles sehen, wo unser Oheim die besten Jahre verlebte. – Es ist eine dankbare Wallfarth,« sagte er, »zu der Quelle meines Glücks. Ich muß noch einmal, mich an dem Anblick ergözen. – Aber, er ist sehr nachdenkend dabey, unser guter Oheim.«


»Salie! ich war in Warthaußen, hatte aber das Glück nicht, Jemand von der Gräflichen Familie anzutreffen. – Sie sind in Loth- [«] [Anschlußfehler in der Vorlage][478]

[»] noch wahnsinnig genug, den jezigen Grafen, oder den ehemaligen richten zu wollen.« – Und in Wahrheit, Rosalia, es ist Alles recht schön und lobenswerth eingerichtet, denn wir wurden überall umher geführt. – Aber, als wir von dem Schloß entfernt waren, und auch alle Gebäude, der so schön eingerichteten Landwirthschaft gesehen hatten, wurde unser theurer Oheim etwas still und tiefsinnig, beantwortete auch meine Ausrufungen, über die großen, edlen Anlagen, nur mit einen gerührten Blick. Ich wurde da eben so aufmerksam auf ihn, als ich es auf die Sachen war, die er mir wies. Wir kamen auf unserm Wege auf einen herrlichen Platz, wo man zwischen schönen Kornfeldern, in einer Allee von hochstämmigen Kirschbäumen, Schloß, Amthaus, Kornspeicher, Haushaltungs-Gebäude, Gemüsgarten, Waldung und Spaziergänge, mit Einem Blick übersehen kan. Da faßte er mich bey der Hand. – »Cleberg! all das große Schöne ist Arbeit zweyer verdienstvollen Väter des jetzigen Grafen! mögen Söhne und Enkel es mit so viel Vergnügen und Würde geniessen, als diese zwey Männer Größe des Geistes, und Menschenliebe besassen!« –[480]


Mit einer Thräne der innigsten Empfindung im Auge und zusammengelegten Händen, sah er noch einmal sich um. –– »Ach, was für selige Tage lebt ich hier! – Himmel, segne ihn immer, den Wohnplatz, den der große Mann liebte und ohne Pralerey verschönerte.« ––

Dem Beamten, der bey uns war, und von dem er mir viel Gutes gesagt hatte, drückte er die Hand, und sagte dabey: »Sie haben ihn auch gekannt; – ehren Sie immer sein Andenken!« ––

Damit ging er, mit schnellen Schritten, einen, mit wildwachsenden Bäumen schön gedeckten Weg, den Berg hinunter, wo unser Wagen hielt, wir Beyde schweigend einstiegen, und eine Viertelstunde davon wieder Halte machten, und in eine Dorfkirche gingen, wo er mit dem Küster etwas sprach, der ihn dann auf einen Platz in dem Chor führte, auf den Boden wies und sagte: »Hier liegt der alte Graf.« – Ich möchte mein eigenes Gefühl und den Ausdruck beschreiben können, der nicht nur, in den Gesichtszügen, sondern in der ganzen Stellung unsers Oheims war, als er einige Minuten still [Anschlußfehler in der Vorlage, M.L.][479]

[»] Euren Herrn und seine Söhne, mit dem Geist des Verstorbenen, wie er ihm seine Güter gab.«

Er schenkte dem Küster was, kniete sich schnell hin, küßte den Stein der die Gruft deckt. – »Diese Thräne des Danks und der Verehrung, ist Alles, was ich Dir geben kan«; –– sprach er mit äusserster Bewegung. – »Aber, so lang ein Tropfen Blut in mir wallet, wird das Andenken Deiner großen Eigenschaften, und Deiner Güte, Deinem L. R** heilig seyn!« ––

Dann stand er eilig auf, ging fort, und ich saß fast eine Stunde neben ihm, eh er ein Wort sagte. Endlich fing er an: »Nun ist mir wohl! – ich habe noch einmal den Ort gesehen, wo der Mann lebte, dem ich den Anbau meiner Talente, meines Charakters, und meines Glücks schuldig bin. Wär aber auch all dies nicht, so freute michs immer, in ihm einen wahren Edlen von Deutschland gekannt zu haben, der seinem Vaterlande, seinem Stande und jeder Stelle, die er bekleidete, Ehre machte.« – Nach einigem Schweigen fuhr er fort: »Wie viel Menschen- und Sachen-Kenntniß hab ich[481] bey ihm gelernt! – In meinen Papieren, Cleberg, werden Sie einst meine wichtigsten Erinnerungen von ihm finden. –– Ihre Kinder sollen sie einst lesen, und darin die Grundzüge eines deutschen, patriotischen Ministers sehen, der Feuer, Scharfsinn, Muth, Würde und strenge Gerechtigkeit, mit wahrer thätiger Güte des edlen Menschenfreundes vereinigte. – Welch ein Herr für seine Unterthanen! Ach, wie oft erinnre ich mich sein, wenn ich durch andre Gefilde reise und –– ach! Er, – und was Er war, ist nicht mehr!« ––

Hier schwieg er wieder lange, in Gedanken verhüllt; – endlich faßte er mich, mit einer Hand, und sagte ganz Ernst: »Ich weiß nicht, was für eine Würkung diese Reise und diese Scene auf Ihre Seele machen; – aber lassen Sie mich den Wunsch sagen, daß bey dem Grabmale dieses Mannes der große Borsatz in Ihnen bekräftigt werde, ein rechtschaffener, und um das gemeine Beste verdienter Mann zu werden! –– Es ist ein Beweis meiner Achtung und Liebe gewesen, daß ich Sie mit nahm. Nun sind meine Reisen zu Ende; ich will auch Ruhe und[482] Muse geniessen. Nur ein kleiner Plan sitzt noch in mir: Ich möchte bey dem Beamten in Mahnheim, ein Paar junge Leute in die Kost und Lehre bringen, eh sie auf Universitäten gingen, damit sie durch Uebung ihre Köpfe und Herzen thätig verwendeten, eh sie gelehrt würden. Ihr junger Itten taugt ganz vortreflich dazu; und dann weiß ich noch einen herrlichen Jungen, den ich mitgeben will. Das Ende meines Lebens sollte mir süß werden, wenn ich drey wackere, junge Männer gebildet hätte, und der Erste davon mich durch das daurende Glück meiner guten Nichte belohnte!« ––

»Salie! Du kennst das Herz, das so ganz Dein gehört; – Du kannst Dir das Gelübde denken, so ich Deinem Oheim ablegte; – und, Liebe! Du sollst erfahren, daß ich es niemals brechen werde.« ––

O Mariane! wie viel Wiedererinnerung hat dieser Brief von Cleberg in meine Seele gebracht! – Ich habe auch wieder Gelübde erneuert, von Allem was ich Edles und Gutes, in meinen Lebensplan bringen kan. – Es wär auch schrecklich und unverantwortlich, wenn ich, nach so vieler Gelegenheit die besten[483] Kenntnisse für Geist und Herz zu sammlen, nichts davon in meine Handlungen legen wollte! Was hülfe mirs alsdann, Sie zu kennen, von meinem Oheim erzogen zu seyn, so viel schätzbare Menschen gesehen zu haben? –– und meine Bücher? die stillen Lehrmeister, die Gefühle und Denken des Guten in mir erwekten.

Immer will ich Hochachtung verdienen, von Ihnen, Edelste, Beste; und von den unschäzbaren Freunden, die zerstreut von mir, auf dieser Erde wohnen, und denen mein, für Tugend und Verdienste so fühlbares Herz, Verehrung und Liebe gewidmet hat. ––[484]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797, S. 474-485.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon