Verwandlung

[68] Ich sehe oft dein früheres Gesicht,

Geliebter, und es glückt mir, einen raschen

Verlornen Ausdruck, der wie Sonnenlicht

Vorbeihuscht, im Erinnern zu erhaschen.


Und manchmal überkommt mich wie ein Bangen

Nach meinen Kindern, da sie noch ganz klein

Und hilflos waren, und der erste Schein

Von zärtlichem Verstehen ihre Wangen

Sanft überflog, und das Nachmirverlangen

Und die Befriedigung, bei mir zu sein.


Und meines Vaters Bild enttaucht den Gründen

Der Ewigkeit, so wie ich ihn gekannt;

Und ob darüber Jahre auch vergingen,

Bin ich oft jäh in seinen Kreis gebannt,

Und seh mit mildem Feuer sich entzünden

Die Blicke, die so an den Fernen hingen.


Und seh mich selbst, ein Wesen, das mir glich,

Zuerst als Kind, dann jung erblüht und allen

Verkündigungen zugewandt und offen,

Vertrauen, Glück begehren, zagen, hoffen –


Und dann dies alles von mir abgefallen,

Vertraut und fremd und immer doch noch ich.

Quelle:
Hedwig Lachmann: Gesammelte Gedichte. Potsdam 1919, S. 68-69.
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